~5~

483 26 0
                                    

Am nächsten Morgen quäle ich mich aus dem Bett und zur Schule und erfahre dort, dass Emma krank ist. Das wird wohl ein super Tag. Traurig sitze ich auf meinem Platz und schaue aus dem Fenster. Ich kann es gar nicht erwarten endlich Schluss zu haben, da Luke mir heute Nachmittag etwas zeigen möchte. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass die Lehrerin den Raum verlässt. Sofort wird es laut in der Klasse, doch ich starre nur weiter vor mich hin. Zu sehr beschäftigt mich, dass meine Mutter nicht nur einen neuen Typen angeschleppt hat, sondern auch noch meinte, er wäre mein neuer Vater. Ich meine, hallo? Wie soll so ein ekelhafter Bürofuzzi meinen Vater ersetzen? Und nicht nur dass...Mama interessiert sich gar nicht mehr für mich und meine Depressionen...

Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als eine Papierkugel auf meinen Hinterkopf trifft. Ich drehe mich um und sehe in die spöttischen Augen von Nico, dem größten Idioten meiner Klasse. ''Na Depri'' grinst er. Genervt drehe ich mich zurück und ignoriere die weiteren Papierkugeln. Erst als ein bekritzelter Zettel auf meinem Tisch landet gucke ich hoch. ''Ist schon blöd, wenn man keine Freunde hat...aber wenn man immer so scheiße drauf ist darf man sich auch nicht wundern.'' Lachen ertönt hinter mir und ich stürme aus dem Raum. In der Tür stoße ich mit meiner Lehrerin zusammen. ''Wo willst du denn hin?'' ''Ich muss zur Toilette.'' schniefe ich, wische mir die Tränen aus meinem Gesicht und will mich an ihr vorbei schieben. Doch sie hält mich fest. ''Ist alles okay?'' fragt sie. ''Offensichtlich'' lache ich sarkastisch und reiße mich los.

Ich schließe mich in eine Toilettenkabine ein und lass mich auf den Deckel sinken. Sofort wird mein Körper von einer Panikattacke überrollt und ich zittere. Ich fühle mich eingeengt, alleine und einfach nur erbärmlich. Die Tränen hören einfach nicht auf und ich schluchze laut vor mich hin. ''Annie?'' höre ich auf einmal die Stimme meiner Lehrerin. ''Ja'' krächze ich. ''Komm bitte raus.'' ''Warum sollte ich? Niemand möchte etwas mit mir zu tun haben.'' schniefe ich niedergeschlagen. ''Das stimmt doch gar nicht.'' protestiert sie. ''Ach ja? Und wer sind dann meine Freunde?'' ''Emma zum Beispiel.'' ''Emma ist aber nicht da.'' Nach kurzem Schweigen fleht sie mich erneut aus, aus der Kabine zu kommen. Da ich mich einigermaßen beruhigt habe und die Panikattacke vorüber ist, stehe ich langsam auf und öffne die Tür. Nachdem ich meiner Lehrerin erzählt habe, was passiert ist, befreit sie mich von der Schule, versichert mir, dass die Jungs eine Strafe erwartet und ich mache mich auf den Weg nach Hause.

''Was machst du denn schon hier?'' meine Mutter und scheint nicht gerade begeistert, dass ich schon zuhause bin. ''Keine Sorge um vier gehe ich wieder.'' ''So war das nicht gemeint Annie.'' ''Ne ne ich weiß. Du meinst in letzter Zeit ganz viel nicht so wie du es sagst. Ich hab's satt Mama. Nur weil ich zwei Freunde gefunden habe, heißt das nicht, dass ich nicht mehr depressiv bin. Das geht nicht so schnell. Und glaubst du ich merke nicht, das du keinen Bock mehr auf mich hast?'' ''Annie wie kannst du so etwas sagen?'' ''Mama ICH BIN NICHT DUMM? Erst bist du immer arbeiten, hast nie Zeit für mich und dann schleppst du Mark an?! Und nicht nur das. Du sagst auch noch, dass er mein neuer Vater ist! Sag mal geht's noch? Papa war dein Mann. Wie wenig musst du ihn geliebt haben?'' Ich schreie inzwischen und mir fallen immer mehr Dinge ein, die ich meiner Mutter an den Kopf werfen kann. Aber sie unterbricht mich: ''Wie redest du eigentlich mit mir? Ich bin es ja gewöhnt, dass du mich anzickst, aber das lasse ich mir nicht gefallen! Und was soll Mark sonst sein? Er ist mein Freund, also dein neuer Vater!'' Auch meine Mutter schreit mich an. ''Du verstehst es nicht oder? PAPA KANN MAN NICHT ERSETZEN!'' ''Annie er ist seit zwei Jahren tot! So langsam kann ich ja wohl mal weitermachen! Und das solltest du auch! Weil deine Depression geht mir so langsam auf die Nerven! Wir können nicht ändern, was damals passiert ist und das weißt du! Es hat also keinen Sinn traurig zu sein!'' Mein Mund öffnet sich wie automatisch und ich spüre, wie heiße Tränen meine Wangen hinunterlaufen. ''Ich hasse dich!'' stoße ich hervor und renne die Treppen hinauf in mein Zimmer. Hinter mir schließe ich die Tür, drehe den Schlüssel herum und lasse mich auf den Boden sinken. Mein Körper wird von Schluchzern geschüttelt und ich merke, wie sich eine Panikattacke in meinem Körper breit macht. Mein Atem wird schwer und ich fühle mich eingeengt und alleine, wie immer. Niemand ist da, um mir zu helfen. Früher hat Mama mich dann immer in den Arm genommen und getröstet. Seit wir umgezogen sind, interessiert sie das alles nicht mehr. Sie ist genervt von mir. Das hat sie selbst gesagt. Plötzlich wird es schwarz vor meinen Augen.

Als ich die Augen aufschlage, ist es halb vier. Scheiße! In einer halben Stunde soll ich bei Luke sein und ich sehe schrecklich aus. Meine Mascara ist überall verteilt und meine Haare stehen wild in die Luft ab. Plötzlich fallen mir Mamas Worte wieder ein: Deine Depression geht mir so langsam auf die Nerven. Was kann ich denn dafür? Ich habe mir das garantiert nicht ausgesucht...Der Unfall ist das schlimmste, was mir je passiert ist. Papa hat mich damals von einem Konzert abgeholt. Ja ich habe früher gesungen. Meine früher beste Freundin Lauren und ich hatten zusammen Gesangsunterricht und unsere Lehrerin hatte ein paar kleine Konzerte arrangiert. Danach haben wir auch auf Schulveranstaltungen und Partys gesungen. Na ja und dann wurden wir angeschrieben, ob wir für ein Konzert den Voract von irgendeiner unbekannten Londoner Band machen können. Da haben wir natürlich nicht nein gesagt, aber Lauren war ausgerechnet an dem Tag krank. Also habe ich das alleine gemacht und Papa hatte mich nach London gebracht und wieder mit zurückgenommen. Auf dem Rückweg war ein heftiges Gewitter und es hat ziemlich doll geregnet. Papa ist von der Straße abgekommen und wir sind gegen einen Baum geprallt...Ich hatte Glück und bin mit ein paar Prellungen und Schürfwunden davon gekommen. Ich bin zu Papa gekrochen und habe seinen Kopf in meinen Schoß gelegt. Überall war Blut. Panisch und unter Tränen habe ich einen Krankenwagen gerufen, aber als der ankam, atmete Papa nicht mehr. Die Ärzte sagten mir, es sei zu spät... Es war der schlimmste Tag meines Lebens und obwohl ich nicht wirklich Schuld war, fühle ich mich schuldig, weil meine beste Freundin und ich eigentlich mit dem Zug gefahren wären. Dann wäre Papa nicht von der Straße abgekommen und das alles wäre nicht passiert. Seitdem singe ich nicht mehr. Ich kann einfach nicht. Die Erinnerungen sind zu schrecklich und ich habe Angst, dass noch einmal so etwas passiert.

Um zehn vor vier laufe ich die Treppe hinunter und verlasse das Haus. Meine Mutter schreit zwar, ich solle zuhause bleiben, weil wir noch etwas zu bereden hätten, aber ich ignoriere sie. Mit ihr habe ich gar nichts zu bereden. Ich freue mich darauf, gleich Luke zu treffen und bin gespannt darauf, was er mir zeigen möchte.

depressed. l.h. (Teil 1)Where stories live. Discover now