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Ich konnte es kaum erwarten morgen 'Kings' Gesicht zu sehen. Ich fing schon wieder an loszulachen. Oh man, wie ich diesen Idioten einfach nur verabscheute. Dachte er wäre der Geilste und kann noch nicht einmal vernünftig das ABC aufsagen, ohne nicht einmal alle Buchstaben zu vertauschen. Okay, gut das war übertrieben. Aber der Kerl war trotzdem total bescheuert im Kopf.

Ich hatte Hannah noch schnell (okay, was hieß schnell) zu ihr gebracht und war nun auf dem Weg nach Hause. Weil ich erstens in einem Dorf wohnte, zweitens es schon Winter war (und dementsprechend schon sehr dunkel) und drittens die Kirchenuhr es gerade sieben Uhr abends geläutet hatte, waren die Straßen bereits so gut wie menschenleer und da ich meine Kopfhörer vergessen hatte, konnte ich anstatt meiner Musik meinen Schritten zuhören, die auf den mit Schnee bedeckten Boden trafen.

Da ich, trotz der Erinnerung meiner Mutter, meine Handschuhe vergessen hatte, fühlten sich meine Hände bereits schon total taub an und ich versuchte sie etwas zu wärmen, indem ich diese in meine Jackentasche steckte.

Gerade wollte ich, trotz der Gefahr böse auszurutschen zu können, anfangen loszusprinten, um wenigstens etwas Wärme in meinen Körper erzeugen zu können, als ich ein leises Schluchzen hörte.
Was zum Teufel?

Verwundert blieb ich stehen und sah mich um. Da unser Dorf sich nur jede zweite Lampe komplett funktionstüchtig leisten konnte (angeblich), brauchte ich etwas länger, um die Quelle oder mehr die Richtung aus der der Schluchzer kam, ausfindig zu machen.

Etwas weiter rechts vor mir, war eine kleine Nische in eine Mauer eingebaut und als kleines Kind hatte ich mich oft darin versteckt, wenn ich meine Mutter hatte ärgern wollen.

Vielleicht saß da ja ein Kind drin (auch wenn ich das zu dieser Stunde als sehr unwahrscheinlich empfand, aber vielleicht sollte ich sicherheitshalber trotzdem nachgucken).

Oh Gott! Hoffentlich war das jetzt nicht wie in so einem schlechten Horrorfilm. Ich hasste Horrorfilme.

Langsam näherte ich mich der Nische. Und tatsächlich.

In der Nische saß ein zusammengekauertes Kind, das zu weinen schien.

Ich ging noch etwas näher ran und wollte ihn oder sie grüßen, als ich über meine eigenen Füße stolperte (ernsthaft?) und dann genau vor der Nische, vor dem Kind, in den Schnee flog.

Man, war das peinlich. Ich rappelte mich schnell auf und sah dann, dass es ein Junge war. Ich schätzte ihn auf vierzehn oder fünfzehn.

,,Oops...?", erwiderte ich und sah ihn entschuldigend an.

Aus leeren Augen (anders konnte man das nich beschreiben), sah mich der Junge an und flüsterte ein ersticktes: ,,Hi"

,,Was machst du so spät denn noch hier draußen? Musst du nicht nach Hause?"
,,Ich hab' kein Zuhause...", flüsterte er.
Er hatte kein Zuhause?
,,Ehm... Seit wann bist du denn schon hier draußen?"
,,Seit heute Mittag", flüsterte er weiterhin. Es war schwer ihn zu verstehen, da er sehr leise sprach, aber ich nahm es ihm nicht übel. Schließlich saß er ja schon seit fast zwölf Stunden in dieser Kälte und es war ein Wunder, dass er noch nicht erfroren war.

Ich konnte ihn nicht einfach hier alleine lassen. Wenn ich das meiner Mutter erzählen würde, würde sie sagen, dass sie mich nicht so erzogen hätte.

,,Hmm... Willst du vielleicht erst einmal mit zu mir kommen und dann überlegen wir, was wir machen? Du brauchst dringend Wärme"

Der Junge zögerte, nickte dann aber langsam.

Er kam vorsichtig aus der Nische und es schien darin etwas wärmer gewesen zu sein, da ihm ein kleiner Schauder über den Körper lief als er mit beiden Beinen endgültig den Boden des Bürgersteigs berührte.

,,Ist nicht allzu lang", versuchte ich ihn aufzumuntern und ignorierte die Tatsache, dass wir aber länger bräuchten, wenn wir uns so langsam fortbewegten wie wir es gerade taten. Aber seine Glieder waren anscheinend zum Teil schon fast komplett erfroren und er konnte wahrscheinlich einfach nicht schneller.

Ich wollte nicht zu viel mit ihm reden, da er seine Kräfte noch bräuchte für den Weg. Aber als wir nur noch ungefähr hundert Meter von meinem Zuhause entfernt waren, erwiderte ich: ,,Ich bin übrigens Louis, und du?"
,,H-h-harry", hauchte er und im nächsten Moment brach er neben mir zusammen.

Oh fuck.
Ich beugte mich zu ihm runter und versuchte ihn aufzuwecken.

,,Harry?", erwiderte ich und tätschelte ihm die Wange. Er reagierte nicht.

Alleine konnte ich ihn aber nicht tragen, weil er zu groß war (in der Nische sah er kleiner aus) und über den Boden schleifen, wollte ich ihn auch nicht. Vielleicht könnte ich ihn ja Huckepack tragen. Fragte sich natürlich nur wie ich ihn auf meinem Rücken bekam.

,,Mein Gott, Louis! Der Junge braucht dringend Hilfe und du stehst hier und machst nichts!"
Ich sah auf und erblickte meine ältere Halbschwester Georgia, die auf uns zugestapft kam. Sie packte Harry unter die Achseln und deutete mir ihn an den Beinen zu packen.

Innerhalb einer Minute hatten wir es geschafft und erreichten die Haustür, die Mom uns offen hielt.

,,Danke Jay", erwiderte Georgia und wir trugen Harry bis ins Wohnzimmer und legten ihn aufs Sofa.

,,Und was machen wir jetzt?", fragte ich und sah zu Georgia, die sich ihre Jacke gerade auszog. Sie verdrehte die Augen.

,,Hol einen Pulli und eine Jogginghose von Dan", erwiderte Mom.

,,Er kann doch auch welche von mir haben", erwiderte ich.
Mom lächelte.
,,Bestimmt. Aber er ist etwas größer als du und ich weiß nicht, ob ihm deine Sachen passen würden bzw etwas zu klein wären. Du kannst ihm ja deine Boxershorts und Wollsocken geben"

,,Okay", nickte ich und sprintete die Treppenstufen nach oben, um die gewünschten Sachen zu holen.

Als ich wieder unten war, bemerkte ich erstens, dass Harry immer noch schlief und zweitens, dass ihn Mom und Georgia offenbar splitterfasernackt ausgezogen hatten.

Ich schluckte. Er hatte nicht unbedingt einen trainierten Bauch, aber die bloßen Ansätze von seinen Bauchmuskeln fand ich im Moment noch attraktiver als definierte Muskeln, seine Beine dagegen waren fest und muskulös und sein Schwanz war auch nicht gerade von schlechten Eltern...

Meine Güte, Louis! Kontrollier dich! Der Junge ist da draußen fast gestorben und du denkst daran wie es wäre ihn unter dir zu spüren! Ihn zu fühlen...
Oh fuck.

Und außerdem hast du eine Freundin, ermahnte ich mich und blickte zurück auf seinen Bauch, wo ein großer Schmetterling tätowiert war.

Ich kannte diesen Schmetterling. Er gehörte zu einem Bild, von dem ich den zweiten Teil auf meiner Brust tätowiert hatte. Was für ein netter Zufall.
Aber... 'it is what it is'.

[Dée]



Rette Mich || LarryWhere stories live. Discover now