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Harry hatte mir nicht geglaubt. Er hatte mir wirklich nicht geglaubt. Ich wusste jetzt nicht, ob ich einfach nicht überzeugend genug war oder ob er gespürt hat, dass ich mir selbst so unsicher war mit meinem gegebenen Versprechen.
Ich verspürte einen gewissen Hass in mir aufflammen. Einen Hass auf Harry, weil er mich zu all' diesen Dingen zwang, einen Hass auf seinen Vater, der ihn so zerstört hat, einen Hass auf seine Familie, dass sie all' die Jahre nie etwas dagegen unternommen hatte, einen Hass auf meine Familie, weil sie mich unterstützt hatten, anstatt mich besser aufzuhalten vor diesen ganzen riskanten Dingen... und einen Hass auf mich selbst. Der größte Hass ging an mich selbst.
Letztendlich war doch alles meine Schuld. Warum habe ich Harry nicht einfach nur kurz bei mir aufgenommen und dann sobald wie möglich wieder gehen lassen? Dann hätte ich jetzt keine Konflikte mit mir selbst; müsste mich nicht fragen, ob das was ich mache, richtig ist oder nicht, da alles Folgen haben musste. Und ich wäre auch nicht so tief drin in dieser Scheiße drin wie ich es gerade war.
Verzweifelt vergrub ich meinen Kopf in meine Hände. Diese Gedanken überhaupt in meinen Kopf zu lassen, war erstens total albern und zweitens total ungerecht allen anderen gegenüber - vor allem bei Harry. Was konnte er schon dafür, dass die Situation jetzt so war wie sie eben war?
Er hatte sich schließlich nicht ausgesucht von seinem Vater vergewaltigt zu werden und dass er weggelaufen ist, ist das Vernünftigste, was er hätte tun können. Schließlich wussten ja alle, dass die Polizei bei sowas meistens zu locker ist und ihn wahrscheinlich genauso weit gebracht hätte wie seine Familie es bis dahin getan hatte.
Und es war auch nicht sein Verdienst, dass ich ihn mit zu mir genommen und behalten hatte. Er hatte mich nicht gezwungen. Theorethischerweise hätte ich ihn auch einfach damals in dieser Kuhle verrecken lassen können.

Ich seufzte ein weiteres Mal. Allerdings kannte ich mich zu gut dafür, als das ich wüsste, dass ich dazu in der Lage sein könnte. Mal davon abgesehen, hätte meine Mutter das erfahren wäre ich höchstwahrscheinlich hochkant von zu Hause raus geflogen, hätte ich das auch nie mit meinem Gewissen vereinbaren können.
Natürlich war ich zum Teil immer noch ein bisschen Kind und spielte hier und da gerne mal ein paar kleine Scherze, aber die Situation von Harry momentan war nicht sonderlich günstig, um als Witzvorlage zu dienen.

Ich musste einsehen und damit klar kommen, dass ich mich nun für Harry entschieden habe. Das mag vielleicht der schwierigere Weg sein, der mehr Hindernisse aufzuzeigen hat, als das man diese mit dem bloßen Auge sehen könnte, aber ich wusste, dass das der einzige richtige Weg sein könnte.

Ich traute mich nicht unbedingt das laut zu sagen, aber ein Teil von mir war sich bereits sicher, dass ich diesen Jungen bereits mit Haut und Haaren liebte - obwohl es mir so absurd schien nach nur wenigen Wochen; circa nur zwei um genau zu sein. Vielleicht war es doch zu früh schon zu sagen, dass das, was ich für ihn empfand pure Liebe war, aber ich war mir sicher, dass ich ihn sowieso nie wieder vergessen könnte und das ich früher oder später - ob sich unsere Wege trennen würden oder nicht - ich ihn bedingungslos lieben zu lernen werde. Allein der Gedanke ihn zu verlassen, machte mir Schmerzen und ich fühlte mich selbst dabei schon so miserabel. So schnell wie ich ihm verfallen war, kam ich da genauso schnell mit Sicherheit nicht mehr raus. Und ich wollte auch gar nicht raus.

Harry hatte etwas an sich, das mir zeigte, dass er es definitiv wert war all' diese psychische Strapazen durchzugehen. Niemand hatte es, meiner Meinung nach, mehr verdient als er und ich musste einfach mein Bestes geben, um ihm zu zeigen, dass nichts auf der Welt schlimmer wäre, als eine Welt ohne ihn. So sehr mich auch dieser ungewohnte Stress überforderte und mich an Grenzen brachte, die ich vor wenigen Wochen noch nicht einmal geahnt hatte; er war nicht halb so schlimm, als die Vorstellung ohne Harry weiterzuleben.

„Ich möchte nicht, dass du mich jemals verlässt, Harry", flüsterte ich in die Stille hinein, erwartete aber keine Antwort. Umso schockierter war ich, als Harry dann doch auf einmal sprach.
„Ich glaube nicht, dass ich das jemals könnte."
„Harry!", rief ich vor Freude laut aus.
„Louis", erwiderte Harry daraufhin nur und lächelte mich matt an.
„Mach sowas nie nie wieder!", schluchzte ich auf einmal los und wie aus dem Nichts flossen auf einmal Bäche von Tränen über meinen Wangen; dabei hätte ich schwören können, dass vor wenigen Sekunden meine Augen bloß die Normflüssigkeit beinhaltet haben.
Gott, warum war ich auf einmal so ein Mädchen?
Gerade konnte ich Gedanken total durchdacht denken und auf einmal fing ich an wie ne Memme loszuheulen?

„Louis, ich bin doch da", kam es von Harry, der vorsichtig meine Hand, die seine verkrampft festhielt, drückte.
„Bitte, mach das einfach nie wieder!", wiederholte ich einfach nur, immer noch schluchzend.
„Nein... nein... es tut mir Leid. Es tut mir so Leid.", fing jetzt Harry auch an zu weinen und das einzige, was wir beide taten, war uns fest an den Händen zu halten, als wäre der jeweils andere, der einzige Anker, den man im Leben hatte.

Es war komisch, dass mich der Schock erst richtig zu treffen schien, nachdem Harry wieder bei Bewusstsein war. Warum ich das erst so spät registrieren konnte, wusste ich zwar nicht. Aber wenigstens hatte ich ja jetzt die Sicherheit, dass er nicht vom Fenster aus gestürzt war, sondern wohlbehalten neben mir auf dem Bett lag.

Es klopfte mehrmals und ich hörte Anne von außen rufen: „Harry? Louis?"
Da ich aber gerade nicht die Kraft dazu aufbringen konnte, aufzustehen, rief ich nur schwach: „Ist auf" und in der nächsten Sekunde platzte sie auch schon ins Zimmer rein.
„Harry! Gott sei Dank! Du lebst!", schrie sie auf, rannte zu ihrem Sohn ans Bett und drückte ihn erst einmal fest an sich, sodass er meine Hand loslassen musste.

Als Anne sich von ihm löste, konnte ich erkennen, dass ihr Gesicht ebenfalls tränennass war.

„Es tut mir so Leid", schluchzte sie, ,,All die Jahre und ich habe dir nie ausreichend helfen können. Ich-"
„Ist gut, Mum", erwiderte Harry, aber Anne redete weiter: „Ich hätte einfach vorher merken müssen, dass es dir nicht ganz so ging, wie es schien. Mein Gott, wem geht es denn schon hundertprozentig gut, wenn er sowas seit der Kindheit erleben musste?"
„Mum, so schlimm war es auch ni-"
„Harry, ich weiß, aber... das was dein Vater dir angetan hat, ist mit Sicherheit nicht richtig. Es kann sein, dass dir", sie stockte, ,,der ein oder andere Akt gefallen hat, aber das sollte es eigentlich nicht."
Anne seufzte und sah dann mich an: „Wir werden jetzt zurück nach Hause fliegen und dann gucken wir was wir machen werden, ja?"
Ich nickte stumm; irgendwie wollte sich meine Zunge nicht zum Sprechen bewegen. Zu schwer fühlte sie sich gerade in meiner Mundhöhle an.

Mit einem wehmütigen Lächeln strich Anne ihrem Sohn die Locken aus der Stirn und erwiderte dann: „Wie gesagt, fliegen wir jetzt mit Gemma und Hale zurück nach Deutschland, das heißt, dass wir jetzt die Sachen einpacken und der Wagen von Ellen wird uns zum Flughafen fahren. Kannst du dich vielleicht ausgehfertig anziehen, mein Schatz? Wäre aber auch nicht schlimm, wenn du in den Sachen gingest."
Aber Harry nickte nur leicht benommen und gab ihr ein: „Klar, ziehe ich mich um und helfe mit beim Packen, Mum."

Obwohl Anne, als seine Mutter, von dem Selbstmordversuch ihres Sohnes am meisten angegriffen hätte sein müssen, war sie auf jedenfall die mit dem klarsten Kopf.

„Louis, wärst du so nett und würdest dich und Harry unten an der Rezeption einfach schon abmelden beziehungsweise denen auch Bescheid sagen, dass ihr in einer Stunde von hier abreist?"
Auch jetzt nickte ich bloß, nahm eine der Schlüsselkarten und begab mich auf den Weg nach unten, um das zu tun, was Anne von mir verlangt hatte.

Kurz bevor ich den Raum verließ, blickte ich noch einmal zurück und sah wie Harry mir nachsah und dabei ein Lächeln auf den Lippen hatte, was die Antwort zu all' meinen ungelösten Fragen zu sein schien.
Ich gab ihm dieses zurück und hoffte, dass auch er auch so ähnlich empfinden würde wie ich es gerade tat.

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Désii xx

Okay, Leute, es tut mir Leid und ich bin gerade auch selbst schockiert, dass es noch schneller ging, aber scheint so, als wäre das unser letztes Kapitel :o (nein, ich habe Daisy nicht vergessen ^^), obwohl ich dieses Kapitel iwie mega emotionslos finde, aber zu mehr bin ich momentan iwie nich imstande ._.

Ich werde noch einen Epilog hochladen (da wird auch das mit Daisy stehen und was sonst noch so wichtig scheint) und dann werden wir sehen wie es bei den beiden endgültig endet.

P.s.: ich hab diesmal kein einziges mal drüber gelesen, verzeiht mir bitte einige stark auffallenden Fehler, die werden iwann korrigiert x

Rette Mich || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt