10. Jahrestag *

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Es dauerte Stunden bis die anderen endlich gingen. Dauernd dachten sie, mich aufmuntern zu müssen oder mich zu fragen, ob ich noch Schmerzen hatte, obwohl meine Schulter schon längst wieder verheilt war. Sie tat natürlich noch weh, jedoch war es nun wirklich nichts Dramatisches und ich wollte doch einfach nur Loki sehen, denn wie ging es ihm? Wahrscheinlich waren die anderen wieder einmal sehr nett zu ihm gewesen und ich wollte nicht, dass er litt, denn es machte mir einfach zu sehr zu schaffen, wenn es ihm nicht gut ging. Es war zwar schon spät und die Sonne war schon lange untergegangen, doch das hinderte mich nicht daran, aufzustehen und taumelnd nur in einem sommerlichen Schlafanzug bekleidet zu meiner Türe zu laufen und diese zum verlassenen Flur zu öffnen. Es war totenstill im ganzen Palast und ich schluckte schwer, als ich so schnell ich nur konnte zu Lokis Türe gegenüber eilte und diese einfach, ohne zu klopfen, öffnete. Sein Zimmer war stockfinster und einzig vom hereinscheinenden Mond konnte man etwas sehen, als mein Blick auch schon auf Loki fiel, der am Geländer seines Balkons stand zum Himmel hinaufsah.

„Loki", hauchte ich und augenblicklich drehte er sich zu mir um, als ich auch schon auf ihn zu rannte und einfach in seine Arme fiel. Mir war es selbst ein Rätsel, wie wir eine so sonderbare Verbindung haben konnten, wieso ich dauernd das Bedürfnis verspürte in seiner Nähe zu sein, am besten ihn zu berühren, zu wollen, dass es ihm gut ging. War das schon immer so gewesen oder war dieses Bedürfnis erst irgendwann entstanden? Ich hatte keine Ahnung mehr.

„Wie geht es deiner Schulter?", fragte er sofort besorgt und hielt mich ein wenig auf Abstand, um meine Wunde zu begutachten, die nur noch eine feine rote Linie war, dank der schnellen Heilkunst.

„Es ist alles in Ordnung. Das war ein ganzes Drama umsonst", sagte ich und er schnaubte sauer auf.

„Ich wollte ihr am liebsten den Hals umdrehen!"

„Es war doch nicht Sifs Schuld. Ich hätte was sagen müssen, ich wusste doch, dass ich zu müde war."

„Und dennoch hätte sie vorsichtiger sein müssen", bemerkte er und ich wusste, dass das eine Diskussion ohne Sinn wäre, weswegen ich es dabei beließ und ihn einfach erneut umarmte, wo er sanft mit seinen Händen über meinen Rücken strich.

„Was haben sie wieder gesagt?"

„Nichts, was meine Gefühle verletzen könnte", lachte er und am liebsten hätte ich mich gar nicht mehr von ihm gelöst, aber so würde ich nur wieder es schaffen, dass es anfängt seltsam zwischen uns beiden zu werden und das durfte ich nicht zulassen. Er war mein Bruder und fertig. Egal was in meinem Kopf für wirres Zeug seit diesem Ereignis auch eingetroffen war, so spielte das keine Rolle mehr. Ich würde zwischen uns nichts mehr verändern, das nicht zu sehr auf die Probe stellen, denn was auch immer geschehen war, wie eigenartig der Moment von vor einigen Wochen auch war, es hatte nichts zu bedeuten und das wars.


Obwohl es wieder einmal Diskussionen gab, schaffte ich es dennoch mich durchzusetzen weiter trainiert zu werden. Wochen und Monate vergingen seit dem Übergriff und ich überstand sogar Thors Geburtstag, obwohl dieser einen wirklich zu schaffen machte. Heute konnte ich jedoch nur in meinem Bett liegen. Ich wollte am liebsten nicht mehr raus und am besten für die nächsten Tage und Wochen nur noch dort liegen bleiben, denn heute war wieder ihr Jahrestag, der Jahrestag ihres Todes. Mit Albträumen heimgesucht erwachte ich zum Sonnenaufgang und seitdem hatte ich es gerade mal geschafft mich ein wenig herzurichten, ehe ich wieder in mein Bett gekrabbelt war und mich dort zusammen kugelte, denn wie die Jahre zuvor, hörte ich ihre Schreie, sah das Blut, spürte die Klinge und es war einfach nur reine Verzweiflung, die mich da überfiel. Ich wollte nicht essen, auch nicht schlafen oder trinken, am liebsten wollte ich nur wieder in diesem Trümmerhaufen sein und dort sterben, um endlich bei ihnen sein zu können. Ein leises Klopfen riss mich schließlich aus meinen traurigen Gedanken, doch ich antwortete nicht, denn Jahr für Jahr war es eh nur das gleiche. Irgendwer wollte mich aufheitern, mir etwas schenken oder mich zum Essen bewegen.

Loki|| He will be the death of me ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt