108. Ein weiter Weg

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Loki

Es war ein Traum. Es musste einfach ein Traum sein und doch wünschte ich mir niemals wieder aus diesem erwachen zu müssen, denn das hier war der schönste Traum, den ich je gehabt hatte. Es fühlte sich so echt an, so perfekt, so berauschend sie bei mir zu haben, Marcys Körper wirklich an mich gedrückt zu haben, sie leise heulen zu hören, während sie sich mit voller Kraft an mich krallte, ihr Gesicht an meine Brust drückte und am ganzen Leib wie verrückt zitterte, doch mir ging es nicht anders. Ich konnte nur da sitzen, ihr immer und immer wieder sagen, wie sehr ich sie liebte, verehrte, wie sehr mir alles leid tat und hielt sie dabei so feste, dass ich glaubte sie längst zerquetscht haben zu müssen, doch die Angst, dass sie plötzlich wieder verschwinden könnte, war einfach zu groß. Thor, der sich neben uns niedergelassen hatte, wirkte mindestens genauso aufgelöst, wir wir beide, schien wohl ebenfalls zu glauben, dass das hier nur ein Traum sein konnte, doch die Realität war nun einmal eben, dass das hier verflucht echt war und ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umzugehen hatte. Sie war wieder da. Sie war einfach wieder da und damit war ein Wunsch in Erfüllung gegangen, von dem ich nie gedacht hätte, dass er das noch würde. Vor mehr als einem Jahr hatte ich sie in meinen Armen sterben sehen, vor mehr als einem Jahr ist mein Leben zerbrochen, als sie fort gegangen war, und doch war sie nun hier. Sie war wieder da und all der Schmerz war wie ausgelöscht. Es fiel mir schwer einen klaren Kopf zu bewahren, nicht völlig durchzudrehen, so aufgewühlt war ich von allem, was hier geschah, doch ich hatte gedacht sie wäre fort, ich hatte gedacht, dass ich sie nie wieder halten würde, dass das letzte, was ich von ihr gesehen hatte, der Moment gewesen war, als sie blass, halb eingefroren auf dem Boden dieser Kerker gelegen war, doch nun war sie hier, hatte ihre normale Hautfarbe, ihre normale Augenfarbe und war wieder so schön warm, wie ich es in Erinnerung gehabt hatte.

„Sie muss in die Heilkammer, Loki", sprach Thor mit einer brüchigen Stimme und tatsächlich viel mir da auf, dass Marcy zu heulen aufgehört und wohl das Bewusstsein verloren hatte, wo mir die Narbe an ihrem Bauch einfiel, die neue Narbe, wo unser Kind aus ihr geschnitten wurde und die nie richtig verarztet worden war, da das bei einer Toten ja nicht nötig gewesen wäre. Hastig rappelte ich mich deswegen auf, hob die bewusstlose Marcy dabei auf meine Arme und konnte es nicht sein lassen ihr nur wider einen Kuss auf ihre Stirn zu drücken, als ich gefolgt von Thor den Gang zurück eilte, dabei Schwierigkeiten hatte auf den Weg zu achten und nicht dauerhaft zu ihr zu sehen, doch ich hatte so eine Angst, dass sie plötzlich verschwinden könnte, dass der Albtraum nur wieder beginnen würde und ich schwor mir, dass ich sie nie wieder aus den Augen lassen würde. Nie wieder würde ich sie auch nur für einen Sekunde alleine lassen! Noch einmal würde ich es unmöglich überleben sie zu verlieren und wenn ich morgen aufwachen sollte, nur um festzustellen, dass nichts hiervon echt war, dann würde ich sterben, so viel stand fest.

„HILFE!", schrie Thor lautstark aus, als wir uns der Türe zur Heilkammer näherten, ich sah, wie Marcys weißes Kleid, das sie zur Beerdigung angezogen bekommen hatte, anfing sich mit Blut zu tränken und doch hatte es zuvor noch exakt so ausgesehen, wie an dem Tag, als sie aus ihrem Sarg verschwunden war. Es war als wäre sie nicht einen Tag weg gewesen, dabei waren es so viele endlos lange Tage gewesen. Augenblicklich kamen mehrere Heiler aus dem Raum zu uns gerannt, darunter auch Yael, die so wirkte, als würde sie gleich ohnmächtig werden bei Marcys Anblick, doch keiner stellte Fragen, sie entrissen mir stattdessen Marcy und schafften es nur, dass ich schneller als gedacht meinen Schwur nicht einhalten konnte, als ich aus der Kammer verbannt wurde, sie von mir getrennt wurde und hätte Thor mich nicht gehalten, dann hätte ich sicher einen Zusammenbruch gehabt, doch ich blieb standhaft, sah nur voller Sorge auf die verschlossenen Türen und wusste nicht mehr weiter.

„Das alles hier passiert wirklich, nicht wahr?" Irritiert sah ich zu Thor, als dieser mir diese Frage stellte, völlig verloren und aufgelöst wirkte, sich auf seinem Gesicht deutlich widerspiegelte, wie erschöpft und angespannt er doch war und mir wurde das erste Mal in all den Monaten bewusst, dass ich sie nicht als einziger vermisst hatte, dass es für andere genauso seltsam war, dass sie plötzlich wieder hier war, dass andere genauso gelitten hatten wie ich und ich konnte nur wie in Trance nicken, wusste gar nicht, was ich sagen sollte.

Loki|| He will be the death of me ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt