107. Völlig verloren

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Es glich einem Spiel, einem merkwürdigen Spiel, doch es verhinderte, dass ich völlig durchdrehte, dass ich nicht alles vergaß, dass ich mich zumindest an einige Dinge auch weiterhin erinnern würde. Während ich so meine endlosen Tage in dieser Schattenwelt verbrachte, längst vergessen hatte, wieso ich überhaupt hier war, was alles hierzu geführt hatte, ging ich in meinem Kopf immer und immer wieder simple Dinge meines Lebens durch, versuchte diese paar wenigen Sachen niemals zu vergessen. Mein Name war Marcy, ich war eine Prinzessin Asgards, seit meine Eltern von Eisriesen getötet wurden, Thor war mein Bruder und ich liebte Loki mehr als irgendwen auf allen neun Welten. Verzweifelt schloss ich meine Augen von dem Schmerz, der sich in mir ausbreitete, als ich versuchte mein Leben so nicht zu vergessen und doch wurde es von Tag zu Tag schwerer. Ich spürte, wie ich mehr und mehr Dinge vergaß, hatte jedoch keine Ahnung, was genau, es fühlte sich nur an wie schwarze Löcher, die in meinem Kopf entstanden und nicht mehr gefüllt werden konnten und sich als einzige Hoffnung an die Welt der Lebenden zu klammern erschien mir auch von Tag zu Tag schwerer. Anfangs hatte ich Loki gehabt, hatte in seinen Träumen zu ihm greifen können, doch selbst das war nicht mehr genug, nicht seit er angefangen hatte mit anderen Frauen was zu haben, meine Bindung zu ihm anfing dadurch zu bröckeln. Immer seltener konnte ich ihn klar vor mir sehen und wenn, dann zerbrach sein Anblick mir das Herz. Entweder weil er betrunken, ein billiger Abklatsch seines selbst war oder weil er gerade dabei war sich durch halb Asgard zu vögeln, Frauen suchte, die mir in gewisser Weise ähneln könnten und damit zerbrach er mein Herz. Ich wollte verstehen, wieso er das tat, doch es erschien mir unmöglich. Ich wusste weder, wieso er so drauf war noch wusste ich, wieso ich ihm so egal geworden war? Seit einer halben Ewigkeit erwähne er meinen Namen nicht mehr, ging nicht in mein Zimmer oder wirkte überhaupt so, als hätte ich je existiert, als hätte ich ihm auch nur irgendwas je bedeutet gehabt.

Gedankenverloren spielte ich mit dem letzten Überbleibsel meines alten Lebens herum, drehte das grüne Armband an meinem Handgelenk immer wieder hin und her, versuchte schmerzvoll mich an irgendwas zu erinnern, was mir weiterhelfen könnte, was mir sagen könnte, wieso das alles hier geschehen musste, doch bei dem Versuch die Lücken zu füllen, kamen mir nur mal wieder die Tränen vor Frustration. Leise schluchzte ich auf, als zeitgleich von meinem Schmerz geleitet Loki Gestalt vor mir annahm, er wieder wie eine Art Geist erschien, ich nur mal wieder die kurze Möglichkeit erhielt einen Blick auf die reale Welt zu werfen, die mir immer so vorkam, als würde sie hinter einem Schleier liegen. Ich versuchte meinen Tränen zum stoppen zu bringen, als ich meinen persönlichen Anker vor mir sah, auch wenn die Bindung zu Loki schwach geworden war. Nach all dem, was war, nach all dem, was er getan hatte, seit ich fort war, es war als würde es uns immer weiter voneinander trennen und ich war machtlos dagegen. Ich lächelte verbittert, als ich sah, wie betrunken er um die frühe Zeit war, dass er, kaum war er aufgestanden vom Bett, schon ein Glas Wein zur Hand hatte, das er jedoch nun gegen die Wand schmetterte und recht aufgelöst zu wirken schien. Ich hatte keine Ahnung, was ihn so durchdrehen ließ, doch es war fast schon normal geworden. Die meiste Zeit über war er entweder völlig betrunken oder todtraurig, so dass ich mir die meiste Zeit Sorgen machte er könnte sich noch irgendwas antun, wo ich hoffte und Thor manchmal anschrie, dass er ihm doch helfen, ihn wenn es sein musste einsperren sollte, doch natürlich hörte er mich nicht und anders als ich, schien Thor Loki längst aufgegeben zu haben.

Ich sah mit Tränen in den Augen zu der Liebe meines Lebens, zu meinem einzigen kleinen Lichtblick in all dieser Dunkelheit und auch wenn ich von Tag zu Tag mehr Dinge über ihn vergaß, ich wusste, dass er bei mir sein würde bis zum bitteren Ende, dass ich wahrscheinlich noch immer wissen würde, wer er war, selbst wenn ich nicht einmal mehr wüsste, wie mein eigener Name lautete. Loki schien nicht vorzuhaben noch länger in seinem Zimmer zu bleiben und da ich es nicht ertragen würde wieder völlig alleine hier zu sein, folgte ich ihm einfach aus dem Zimmer heraus, schaffte es mühevoll mich aufzurichten, auch wenn meine Beine unter meinem Gewicht zitterten, doch hier zu sein zehrte an all meinen Kräften. Es war nicht nur so, dass ich von Tag zu Tag weniger wusste, ich wurde auch schwächer, kränklicher und konnte nichts dagegen machen. Es gab hier in dieser Welt keine Nahrung, doch sterben tat ich ohne auch nicht. Ich musste ja nicht einmal schlafen, denn egal wie viel Schlaf ich auch kriegen würde, ich würde immer gleich erschöpft wieder aufwachen. Natürlich gab es auch ein paar Dinge, die alles hier ein wenig erträglicher machten, mal abgesehen von Lokis Anwesenheit. So sah ich eben all diejenigen, die wie ich auch in dieser Zwischenwelt waren, nur mit dem Unterschied, dass all diese Leute lediglich auf der Durchreise waren, weiterziehen durften, während ich hier feststeckte und weder zurück noch vorwärts konnte. So war es jedes Mal aufheiternd eine Person in dieser Welt zu sehen, die auch wirklich hier war, nicht nur ein Schatten der echten Welt war und auch wenn diese Leute nie sehr lange da waren, viel zu verwirrt von ihrem Tod waren, um mir Fragen über das was alles auf Asgard geschehen war zu beantworten, so war es erfreulich wenigstens kurz mit jemanden zu reden. All die Alten, Kranken und an gewöhnlichen Dingen Verstorbenen kamen erst in diese Zwischenwelt, ehe sie weiter nach Helheim ziehen würden. Ich beneidete sie alle darum, dass sie weg von hier konnten, ob sie nun tot waren oder nicht, sie wussten wenigstens, was sie waren, sie würden irgendwohin gelangen, ich nicht. Ich war eine Gefangene dieser Welt, verdammt dazu mich selbst und alle die ich liebte zu vergessen, unmöglich von hier fortzugelangen.

Loki|| He will be the death of me ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt