Kapitel 1

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Ich liebte die Stadt. Die Lichter. Die Gebäude. Den Donutladen. Einfach alles.

Ich stand, mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, vor unserer Fensterfront im Wohnzimmer und blickte nach draußen.

Leider war unser Apartment im obersten Stockwerk, sodass ich die vorbeiziehenden Menschen nur als kleine Punkte identifizieren konnte.

Am Abend war es besonders schön und manchmal, bevor ich Zubett ging, setzte ich mich an das geöffnete Fenster und lauschte den sanften Klängen der Stadt, die der Wind zu mir hinauf trug. Wo all diese Menschen wohl hingehen? Nach Hause? In einem Club?

Auch die gelegentlich vorbeifahrenden Krankenwagen mit ihren Sirenen oder das Hupen der ungeduldiger Autofahrern erfreute mich. Die Stadt lebte und pulsierte nun unter meinen Blick wie ein kräftig schlagendes Herz.

Ich betrachtete mit respektvollen, neugierigen, aber zugleich auch ängstlichen Blick die Skyline.

"Was gibt es da Spannendes zu sehen?", fragte eine mir wohlbekannte Stimme. Die Stimme jener Person, der ich am meisten auf der Welt vertraute. Der ich als einziges vertraute.

"Die Stadt ist so wunderschön," flüsterte ich als mein großer Bruder neben mich trat.

"... Also... Naja... Stimmt... Riesige Klötzer aus Metall und Glas... dazu jede Menge Gestank... soviel Lärm d..."

"Owen!", unterbrach ich ihn etwas lauter als beabsichtigt. Jedoch klang meine Stimme immer wie die einer Sechsjährigen, weshalb ich oft jünger eingeschätzt wurde, als ich eigentlich war. Nämlich stolze 17.

"... nicht zu vergessen die ganzen Massen an Menschen mit ihren...", sprach er weiter, ohne auf mich zu achten.

Ich verdrehte nur die Augen, worauf er in schallendes Gelächter ausbrach.

"Ich mach doch nur Spaß, kleines Schwesterlein," sagte er und tätschelte meinen Kopf. Ich war zwar nicht gerade klein mit meinen 1,77 m, aber Owen war nun einmal fast 2 meter und das kostete er immer -wann sich die Gelegenheit dazu ergab- aus.

"Das weiß ich doch ...," sagte ich und schenkte im ein kleines Lächeln, da es stimmte. Owen war eine unglaublich sarkastische Person, die in jedem Moment irgendeinen lustigen Spruch rausbrachte. Sein Gesicht zierte ein dauerhaftes, spitzbübisches Grinsen und seine unglaublich intensiven blauen Augen funkelten immer belustigt.

"So ist es doch gleich viel besser, oder Belle?" erwiderte er, als er es bemerkte.

Belle. Ja, mein Name ist Jessabelle Elara Linett Morgenstern. Bin in New York geboren und in meinen Leben oft umgezogen. Mein Bruder Owen und ich bekamen deshalb Privatunterricht und beherrschen sogar ganze 4 Sprachen fließend.

"Wie auch immer. Morgen Abend gehen wir auf eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Vielleicht triffst du da mal jemanden, der dir gefällt?", meinte er und warf mir einen Blick von der Seite zu.

"Jemanden, der mir gefällt? Was meinst du damit?" fragte ich sichtlich verwirrt. Owen hatte noch nie etwas Derartiges zu mir gesagt. Eher das Gegenteil war der Fall gewesen. Er war eben der typische Große-Beschützer-Bruder.

"Ich meine einen Mann, verstehst du? So ein Wesen aus Fleisch und Blut mit Haut und Haaren und einem großen Schw..."

Ich verdrehte nur die Augen und Owen hielt mitten in seinem Satz inne. Er redete immer komisches Zeug, aber meistens brachte mich dieses zum Lachen.

"Ich weiß, was ein Mann ist, Owen! Und nein, kommt gar nicht in Frage. Du hast mich doch immer vor Männern 'gewarnt' und wenn ich einen mochte, kamst du und hast ihn vergrault! Also nein, danke, nicht noch einmal."

"Hey, die waren nicht gut genug für dich, okay? Dieser komische Blonde wollte doch nur das Eine. Und ausserdem ist das schon Jahre her", verteidigte er sich und murmelte dann eher zu sich selbst. "Und nur mal nebenbei bemerkt, war er richtig hässlich...sah irgendwie aus wie eine Mischung aus einem Ork und einem Gartenzwerg."

Seinen letzten Satz ignorierend, drehte ich mich zu ihm hin und konnte meine Empörung kaum verbergen. "So lange nun auch wieder nicht. Und woher willst du das Bitteschön wissen? Du kanntest ihn doch gar nicht! Und außerdem hat das Äußerliche nichts mit dem Charakter zutun."

Das war wieder mal typisch mein Bruder. Er sagte immer, der erste Eindruck zählt. Aber ich fand, dass der erste Eindruck auch täuschen konnte. Manche Menschen sind anfangs eben einfach sehr schüchtern und man lernt diese Person erst so richtig kennen, wenn sie sich wohl bei einem fühlt und sich öffnet. Und das kann bei einigen echt lange dauern.

"Du doch auch nicht. Ausserdem weiß ich sowas einfach. Das ist eine Art... männlicher Instinkt, verstehst du? Ich kann eben spüren, wenn jemand etwas ernst meint oder einfach nur das Eine will. Und dieser schmierige Sack wollte definitiv nur das Eine. Ausserdem bin ich dein großer Bruder und muss eben auf dich aufpassen, Kleine."

"Na, wenn du das sagst... Aber wie läuft es denn so bei dir? Was ist mit der hübschen Rothaarigen vom Samstag? Ich hab gesehen, wie du mit ihr nach Hause gegangen bist", fragte ich ernsthaft interessiert. Owen bleibt nämlich nie länger, als eine Nacht mit einem Mädchen zusammen, was ich ziemlich schade fand.

"Du weißt doch, dass das nichts Ernstes ist... Ich bin noch nicht bereit, mich zu binden. Das ist nicht mein Ding", sagte er grinsend. "Aber wie auch immer... Weißt du schon, was du morgen anziehen wirst? Wenn wir dieses furchtbar langweilige Wohltätigkeitsprojekt vorstellen, müssen wir auch einen guten Eindruck machen. Vielleicht schaffen wir es ja bis ins Schloss damit! Kannst du dir das vorstellen?"

"Mit deiner Redegewandheit? Auf jeden Fall!", gab ich lachend zu.

Auf dieser Veranstaltung trafen sich alle, denen das Wohlergehen der ärmeren Menschen am Herzen lag. Die meisten von uns stellten ein Projekt vor, welches den Menschen zu Gute kommen soll. Danach wird abgestimmt, welches das Effektivste ist und dieses wird dann der Königsfamilie vorgestellt. Dann wird entschieden, ob das Projekt in die Tat umgesetzt werden kann.

"Wollen wir es hoffen..."

My Beauty -Abgeschlossen-Where stories live. Discover now