Kapitel 29

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Langsam glitten meine Finger zu dem Schlüssel und ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich aufschloss.

Sofort öffnete er die Tür und stürmte direkt auf mich zu. Er packte mich an den Schultern und zog mich zu sich heran. Seine Hand legte sich um mein Kinn und drückte es nach oben, sodass ich ihn in die Augen sehen musste. Er drückte seine Mund hart auf meinen und ignorierte meinen Versuch, mich von ihm wegzudrehen.

"Wag es nicht noch einmal, vor mich wegzulaufen, " knurrte er mir leise ins Ohr.

Ich konnte ihn nur völlig entsetzt ansehen. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Meine Augen flatterten und mir war plötzlich eiskalt.

"Ich... also...", stotterte ich verzweifelt. Er hielt mich immernoch grob an den Schultern fest.

Ich fing an zu zittern. Als er das bemerkte, zog er mich an sich, doch ich versuchte ihn wegzudrücken.

Ich will zu meinem Bruder!

Doch dieser war im Gefängnis. Wie kann ich also zu ihm? Und was hatte er überhaupt verbrochen? Sicherlich war das alles nur ein Missverständnis. Owen war bestimmt schon lange wieder entlassen worden, als er den Beamten erläutert hat, was wirklich passiert ist.

"Du bleibst bei mir", sagte Alexander leise und ignorierte meinen schwachen Versuch, ihn von mir zu stoßen.

"Ich will zu meinem Bruder!", schrie ich mit einer viel zu schrillen Stimme, welche seltsam hoch klang.

Alec drückte mich ein Stückchen von sich, um mir in die Augen sehen zu können. Ich schaute zu Boden, da ich nicht bereit war, es im Gleich zu tun. Normalerweise hätte ich unter anderen Umständen die Beine in die Hand genommen und hätte das Weite gesucht. Doch ich musste meine Angst unterdrücken und Owen suchen, damit wir hier verschwinden konnte.

Er hob eine Hand, um mir über die Wange zu streicheln, doch ich drehte meinen Kopf weg.

Das kann doch nicht sein Ernst sein! Ich hasse ihn!

Bist du dir da sicher? Fragte eine kleine Stimme tief in meinem Kopf, doch ich befahl ihr, still zu sein.

Alexander schloss derweilen seine gehobene Hand zu Faust. Offenbar passte es ihm ganz und gar nicht, dass ich seiner Berührung ausgewichen war. Er holte scharf Luft, bevor er sprach: "Ich werde dich zu ihm bringen. In Ordnung?"

Nichts ist in Ordnung, würde ich ihm am liebsten entgegen schreien, doch ich besann mich eines Besseren und hielt den Mund. Meine Haut fing sofort an zu prinkeln, als er seine Hände davon wegnahm. Ich rieb mir über die schmerzenden Stellen. Dort würden bestimmt blaue Flecke entstehen.

Wir setzten uns langsam in Bewegung und ich versuchte mein Atem zu kontrollieren. Durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. War das so überhaupt richtig? Ich hatte seit Langem keine Panikattacke mehr bekommen. Doch Alexander hat mir wirklich Angst gemacht. Und tut es immer noch.

"In welchem Gefängnis ist er?", flüsterte ich zögernd. Irgendwie beruhigte es mich, wenn ich die Tatsache nicht laut aussprach. Ich weiß nicht warum. Vielleicht kann ich mir dadurch einreden, dass das alles nur ein Missverständnis ist und Owen kein Verbrechen begannen hat -auch wenn ich mir das so oder so nicht vorstellen konnte.

"Hier im Schloss. Allerdings wird der Kerker sehr selten genutzt. Wenn zum Beispiel jemand im Schloss Mist baut, dann kommt er da hinein, solange bis ein Urteil gefällt wurde. Dieses beschließen wir übrigens im Palastrat, welcher aus meinen Vater, mir und sorgfältig ausgewählten Beratern besteht. Das letzte Wort hat allerdings immer Dad. Deswegen konnte ich deinen Bruder noch nicht befreien. Vielleicht unter anderen Umständen, aber nicht unter diesen...", den letzten Satz sagte er eher zu sich selbst, anstatt direkt mit mir zu sprechen. Es wirkte fast so, als fände er das sehr... bedauerlich, ja fast schon als würde ihm das traurig machen. "Ich werde mich allerdings schnell um eine Freilassung bemühen. Allerdings ist mein Vater zur Zeit nicht im Haus. Daher wird es noch ein Weilchen dauern. Spätestens heute Abend ist Owen dann aber wieder draußen."

Er klang sehr optimistisch. Dabei tat er so als wäre alles wie immer. Als wären diese ganzen Dinge niemals passiert. Ich spürte tief in mir drin eine Leere. Es war, als hätte mir jemand ein lebenswichtiges Organ genommen. Ich konnte weder lächeln, noch irgendetwas anderes außer Angst fühlen.

"Wie du meinst", sagte ich tonlos und schaute stur gerade aus. Wieder kamen uns Wachmänner oder Dienstmädchen entgegen, welche vor uns anhielten und knicksten. Naja, wohl eher vor Alexander, doch dieser würdigte sie keines Blickes. Ich versuchte erst gar nicht ihnen ein Lächeln zu schenken, da sie sowieso sehen würden, dass es gequält und unecht war.

"Es tut mir leid", platzte es aus dem Prinzen heraus und er blieb stehen.

Ich schaute immernoch zu Boden und nickte nur. Dabei setzte ich mich wieder in Bewegung, als Zeichen, dass wir weiter laufen können. Zudem hatte ich keine Lust, mich mit ihm zu unterhalten. Alles in mir schrie nur Mach, dass du wegkommst!

"Ich meine das ernst, Belle", sagte er und beschleunigte seine Schritte, um wieder zu mir aufzuschließen.

"Ist in Ordnung", murmelte ich und schluckte. Er soll sich gefälligst beeilen!

Den restlichen Weg über schwiegen wir. Es schien, als wäre Alexander in Gedanken. Er bog am Ende des Ganges links ab und bewegte sich auf eine kleine Tür im hinteren Teil des kleinen Flurs zu. Nun öffnete er sie und dahinter kam eine lange Steintreppe zum vorschein, welche tief hinunter in die Erde führte. Rechts und Links waren in regelmäßigen Abständen Fackeln an die Wand gehängt worden. Es war wie in einen schlechten Horrorfilm, als Alexander die Hand nach einer dieser Fackeln ausstreckte und mir deute, ihm zu folgen.

"Dieser Weg ist eigentlich nur für die Wachmänner oder Zofen gedacht. Normalerweise könnten wir den normalen Eingang benutzen, aber ich will nicht riskieren, jemanden zu begegnen, der mich dann bei meinen Vater verpfeift. Es ist mir nämlich verboten, hierher zu kommen, wenn...", doch er brach ab und zuckte mit den Schultern.

"Wer soll dich den verpfeifen? Du bist doch der Prinz", fragte ich leise.

"Mike Mitchells zum Beispiel. Oder einer der Berater. Das Personal weiß nichts davon und so soll es auch bleiben. Wir sind da", sagte er.

Mittlerweile waren wir am Fuße der Treppe angekommen und standen in einem langen Gang welcher ebenfalls nur von Fackeln erleuchtet wurde. An beiden Seiten des Ganges befanden sich schwere Holztüren. Bestimmt waren dahinter die Gefangenen und... Owen.

"Er ist gleich hier. Du hast kurz Zeit, um mit ihm zu reden. In fünf Minuten allerdings müssen wir wieder draußen sein", sagte er und deutete auf die Tür, die uns am nächsten stand.

Rechts etwas oberhalb der Tür war ein Hacken, an dem ein großer, verrosteter Schlüssel hing. Alexander griff nach diesem und schloss damit die Tür auf.

Ich trat hinein und musste kurz blinzeln, um mich an das spärliche Licht zu gewöhnen, welches durch ein kleines Fenster - hoch oben in der Außenmauer- hereinfiel.

Davor lag auf dem Boden eine Gestalt mit dunklen Haaren und blutverschmierten Gesicht. Heiße Tränen schossen mir in die Augen und bahnten sich einen Weg über meine Wangen.

"Owen...", brachte ich flüsternd hervor. Doch er reagierte nicht. Er hatte nach wie vor seine Augen geschlossen und seine aufgeschürften Hände lagen neben seinen Kopf. Lediglich das sanfte Heben und Senken seiner Brust wies daraufhin, dass er noch lebte.

My Beauty -Abgeschlossen-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt