Kapitel 40

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Ich versuchte nicht zu weinen. Ich saß nur da und wartete. Wartete darauf, dass jemand aufsprang und sagte 'April, April!' oder 'Verstehen sie Spaß?'. Vielleicht war ich auch einfach nur in einen fürchterlichen Alptraum gefangen und würde jeden Moment aufwachen.

Der König redete immer noch, doch ich hörte nur mit einem Ohr zu. Ich saß stumm auf meinem Stuhl und starrte geradeaus. Erst als alle Augen auf mich gerichtet waren, bemerkte ich, dass ich etwas gefragt worden war, "Entschuldigung. Was haben Sie gesagt? Ehhh... ich meine: Was hast du gesagt? "fragte ich den König, welcher den Kopf schief gelegt hatte.

"Ich habe dich gefragt, ob es dir gut geht. Du siehst ein bisschen blass aus. Liegt es daran, dass ich gerade über die Zukunft von...," fing Quentin an, wurde allerdings von Alexander unterbrochen, der ihm einfach ins Wort fiel.

"Vater... bitte, "sagte Alec und legte mir einen Arm um die Schultern, "Sie hat noch nicht Ja gesagt. Die Hochzeitsvorbereitungen sind zwar im vollen Gange, aber wenn sie Nein sagen sollte, war sowieso alles umsonst."

"Aber warum sollte denn jemand zu dir Nein sagen? "fragte mein Vater und fing an zu lachen, "Du bist der Prinz und zukünftiger König dieses Landes. Was will eine Frau mehr?"

Alexander fing leise an zu lachen und ich sprang auf, "Entschuldigung, aber ich muss mal kurz für... kleine Mädchen, "ich schob meinen Stuhl zurück und schenkte den Männern ein warmes Lächeln.

Jedenfalls hoffte ich, dass es auch so rüber kam. Sie sollten nicht meine Traurigkeit sehen. Schnell verließ ich den Raum und schloss die Tür hinter mir. Ich ging die Treppen hoch zur dritten Etage. Ich erreichte das Ende des Ganges und öffnete die großen dunkelbraunen Schiebetüren. Dahinter kam der Heerensalon zum Vorschein. Eigentlich war dieser Raum für Frauen tabu, aber Dad nutzte ihn kaum. Er war nur hier, wenn seine Freunde zu Besuch kamen. Bestimmt war er auch schon mit dem König hier gewesen, aber im Moment befanden sie sich ja noch im Wintergarten.

Der Raum war groß und die gegenüberliegende Wand zierten sieben lange Fenster, welchen eine atemberaubende Aussicht auf den Wald boten. In der Mitte standen, vor einem alten Kamin, in U-Form drei schwarze Ledersofas. Mein Vater legte viel Wert auf Traditionen. Er hatte das Anwesen genauso weitergeführt, wie unsere Vorfahren schon vor über einhundert Jahren. Auch die Einrichtung stammte aus dieser Zeit.

Dunkle Böden und dunkelrote Teppiche auf dem Fluren. Alte Möbel aus dunkelbrauner Eiche, Nussbaum, Mahagoni oder hochwertigen Ebenholz schmückten die Räume. Es war alles sehr gemütlich. Im Moment allerdings hatte ich nicht das Bedürfnis mich in einem der alten Sessel zu werfen, sondern meine Aufmerksamkeit galt der Person auf dem Porträt über dem Kamin. Es zeigte meinen Großvater in seiner Glanzzeit. Er hatte ebenso wie mein Vater schwarze Locken und markante Gesichtszüge. Er schaute mit eiserner Miene streng auf mich hinab. Sein Blick war fast schon tadelnd und erinnerte mich an längst vergangenen Zeiten.

Mein Großvater hatte sich oft in diesen Raum aufgehalten. Ich wusste nicht warum. Ich wusste nicht ob es der Geruch nach frisch polierten Leder war oder die Wärme des knisternden Feuers, welches immer im dem Kamin brannte. Er saß oft auf dem alten schwarzen Sofa und hielt in der einen Hand ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Meist hatte er sich zurückgeleht und den sanften Klängen des Schallplattespielers gelauscht. Dieser spielte ein sehr altes Lied von einem Mann mit einer hohen Stimme. Die Platte war offenbar kaputt gewesen, denn die Stimme stockte manchmal und es ertönte zwischen drin ein seltsames Rauschen. Daher fand ich den Schallplattenspieler immer sehr gruselig und hatte gehofft Großvater möge ihn doch ausschalten.

Ich hatte meinen Großvater vergöttert. Er war zwar sehr streng, aber dafür war er immer für uns da gewesen. Oft sind wir in den Wald gegangen und er hat uns erklärt, wie wir uns in diesem orientieren können zum Beispiel anhand der Position der Sonne oder dem moosbewachsenen Bäumen, welche in die entsprechende Himmelsrichtung hinwiesen. Er war ein guter Lehrer gewesen und brachte uns alles bei was wir wissen mussten.

Nun saß ich vor dem Kamin auf dem Teppich und starrte zu meinen Großvater hinauf. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, dass ich dadurch der Lösung eines Problems am nähsten kam.

"Was soll ich nur tun..., "flüsterte ich leise in den Raum und schaute dabei hoffnungsvoll zu ihm empor.

"Am besten abwarten und Tee trinken. Obwohl ich ja finde, dass Tee in einer schwierigen Situation rein gar nicht hilft. Ich frage mich auch warum es ausgerechnet 'Tee' sein muss. Warum nicht Kaffee oder eine heiße Schokolade, "sagte eine männliche Stimmen, wobei ich unwillkürlich zusammenzucken musste.

Rückartig drehte ich mich in Richtung Tür, woher diese Stimme gekommen ist, "Um Gottes Willen! Kannst du nicht anklopfen? Du hast mich fast zu Tode erschreckt! "stieß ich aufgebracht hervor und funkelte wütend den Eindringling an.

"Ach komm schon! Du bist doch in Wirklichkeit froh mich zu sehen. Gib es zu, "sagte mein Bruder und ließ sich im Schneidersitz neben mir nieder.

Ich mussterte ihn von der Seite. Seine dunklen Locken waren verwuschelt und er wirkte durchaus befriedigt.

Irgh, wie eklig!

Ich schüttelte den Kopf um die unangenehmen Gedanken zu vertreiben. Sowas will ich gar nicht wissen! Mein Blick richtete sich wieder auf die jüngere Version meines Großvaters, "Lange Nacht gehabt? Um ehrlich zu sein hätte ich mit dir frühstens zum Mittag gerechnet."

"Ja. Ich eigentlich auch, aber ich bin extra früh aufgestanden um schnell wieder hier zu sein, "sagte Owen und streckte seine Beine aus, "Was ist eigentlich passiert?"

Fragend blickte ich ihn an, "Woher willst du wissen, dass etwas passiert ist?" Es verwunderte mich jedes Mal aufs Neue. Es war wie als hätte er einen sechsten Sinn mit dem er spüren konnte, ob es mir gut ging oder nicht.

"Tja, ich war im Wintergarten und habe dich nicht gesehen. Ich hab also gefragt wo du bist und sie sagten mir du bist 'mal austreten'. Aber irgendwas sagte mir du bist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht 'mal austreten'. Also bin ich ein wenig im Haus umhergewandert und siehe da! Meine Füße haben mich hier her geführt. Außerdem gehst du nur in diesen Raum, wenn du vor einem Rätsel stehst oder eine Antwort auf eine Frage brauchst, "meinte Owen und traf damit genau ins Schwarze, "Sagst du mir was mit dir los ist?"

Ich seufzte laut und sagte, "Nun ja. Alexander wird heiraten. Aber nicht mich, "ich zuckte mehrmals mit den Schultern, schüttelt den Kopf und stieß ein trostloses Lachen aus.

Für einen kurzen Moment war es still im Raum. Einzig und allein das Ticken der großen Uhr war zu hören.

"Bist du dir sicher? "fragte mein Bruder nach einer Pause.

"Natürlich. Der König hatte vorhin gesagt, dass die Hochzeit wohl nicht mehr lange auf sich warten lässt und Alexander seine Zukünftige schon gefragt hat, "erneut zuckte ich mit den Schultern und blinzelte um die Tränen zurückzuhalten, "Nora hatte es mir gesagt. Als wir im Schloss waren sagte sie, dass sie die Frau von Alexander werden würde. Ich hatte es verdrängt. Wollte es nicht wahr haben. Das hatte ich nun davon. Ein gebrochenes Herz..."

Ich schlug die Hände vors Gesicht und zog die Knie an meine Brust. Owen legte die Arme um meine Schultern und stützte seinen Kopf auf meinen Scheitel. Er sagte nichts sondern saß einfach nur da. Und das genügte mir. Er stellte nicht irgendwelche nervenden Fragen, welche mich nur noch trauriger machen würden oder machte mir Versprechen die sowieso nie eingehalten werden konnten. Er sagte nicht 'Es wird alles gut' nur um mich aufzuheitern. Mein Bruder wusste genau, dass nichts 'gut' war und ich diese Sache auch nicht so leicht vergessen würde. Im Gegenteil, ich würde sogar noch sehr lange daran denken. Ich würde mich in die hinterste Ecke zurückziehen und meine Wunden lecken. Vielleicht würde ich auch ein bisschen in Selbstmitleid baden, wer weiß. Im Moment genoss ich einfach nur diese wohltuende Wärme.

Wie in Trance bemerkte ich wie sich nach einer Weile die Tür öffnete und eine männliche Stimme sagte, "Ach hier seid ihr. Wir hatten euch schon vermisst."

"Alexander, "flüsterte ich heißer und hob den Kopf.

"Der kann was erleben!" hörte ich Owen sagen als er sich langsam erhob, wie ein Löwe der seine Beute witterte.



My Beauty -Abgeschlossen-Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz