Kapitel 47

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Wie vom Blitz getroffen schellt seine Sicht zu mir, weshalb ich verwirrt zu ihm rüber sehe. "Was?", ist alles, was ich sage. "Nicht wichtig", antwortet Fabian leise. "Was ist mit deinem Bruder?" Er sieht nicht mehr zu mir, ist völlig abgedriftet von der aufgedrehten Spur, auf der er gerade eben noch war. Sein linkes Bein wippt immer wieder auf und ab, sodass das nervöse Tippen seines Fußes mich förmlich unruhig werden lässt. "Nicht wichtig", wiederholt er. "Ich finde schon, es ist wichtig", entgegne ich zurückhaltend. Zwei Sekunden später liegt meine Hand auf seiner Schulter, ich drücke sanft zu.
Gleich darauf sieht er mich an.

Er selbst wirkt kreidebleich und seine Gestalt so kalt, alles an ihm, seine Lippen, seine Haut, seine Ausstrahlung, nur nicht seine Augen.
Sie sind rot, und unglaublich wässrig. Verzweifelter könnte sein Blick gar nicht sein, wie ich finde. 

Ich habe den Mut verloren, noch etwas zu sagen und mustre ihn wie er mich mustert.

Jeden Moment müssten die Wörter über Fabis Lippen prasseln, das sehe ich ihm an. Jedenfalls wirkt er, als wollte er. 

Vielleicht erklärt er mir, was los ist und was er gemeint hat. Oder er redet über vorhin, als er mein Gesicht betatschte und mir erzählte, dass er mich vergewaltigen würde. Um fair zu bleiben: Das hat er sicherlich nicht genau so gemeint. Er würde jemanden wie mich vergewaltigen. Nein, nein, das Wort vergewaltigen klingt so schroff. Er würde jemanden wie mich eher vergewaltigen als manch andere Person.
Das hat er zumindest gesagt. Hat er das wirklich so gemeint? Womöglich ärgerte er mich lediglich. Womöglich aber auch nicht. Und wenn letzteres stimmt, und er jemanden wie mich vorziehen würde... meint er damit mein Geschlecht oder die Person an sich vermischt mit all den Charakterzügen?

Ich schrecke unmittelbar auf, als seine kühle Hand meinen Nacken erreicht. Kurz darauf meine linke Wange. Er wirkt zur selben Zeit so konzentriert und außer Fassung. 

Alles in mir möchte reden, aber das drückende Gefühl, welches mir, verbunden mit dem stark spürbaren Herzpochen, allmählich den Atem raubt, versetzt mich in eine unüberwindbare Starre. Gleich dann geschieht alles im selben Moment. Kaum blinzelt er einmal, so zieht er sich zu mir, und küsst mich.

Nicht sehr lange, denn er löst sich schon gleich binnen zwei Sekunden von mir. Dabei lässt er mich los und starrt mich entmutigt an. Fabis Augen glänzen und er unterdrückt sich ein Schluchzen, derweil ich vollends baff aufatme.

Fabi richtet sich ein Stück auf und verharrt auf der vordersten Spitze des Bettes. 

"Mein Bruder wusste es schon immer, Maurice, und ich hab ihm nichts abgekauft. Warum denn auch? Er hat mich immer nur geneckt, da würde jeder denken, dass er es dabei auch tat." Fabi atmet schwer, sein Blick verharrt vorne auf meinem Rechner, und ich lasse ihn keinmal aus den Augen. Das kann ich nicht. "Das was er immer sagte, das würde es erklären... es erklären warum ich so vieles-" Kurz lacht er auf. "Scheiße."

"Ich denke, ich sollte ehrlich zu dir sein." Er sieht mir direkt in die Augen. "Ich habe dir etwas vorgemacht, und- und ich fühle mich seitdem so abgrundtief beschissen. Ich hätte das einfach nicht tun sollen." Eine Träne rinnt über seine Wange. Und so angeschlagen wie er klingt, macht es mir wirklich Sorge. "Fabi", flüstre ich, doch er unterbricht mich. "Nein. Hör zu."

Mein Nicken gibt ihm die Bestätigung, nach der er suchte. "Echt, ich habe es nicht verstanden, die ganze Zeit nicht. Keine Ahnung, weshalb ich plötzlich zur dir kam, geradewegs in deine Heimat gefahren bin. Ich konnte nie verstehen, wieso ich mich dort anmeldete, bei diesem verdammten Kurs. Und wieso ich bei meinem Onkel stundenlang mit Duden und Lernbüchern Französisch übte, damit du mich wahrnimmst und vielleicht beeindruckt bist. Weshalb ich auf Zombey wütend war, und ihn als egoistisch und mutlos empfand, obwohl ich doch wirklich viel schlimmer bin.
Ich habe so gut wie immer gelogen und mich herausgeredet, meine Stimme versucht zu verstellen, und wenn du mich schief ansahst, dachte ich: "Shit, jetzt hat er mich erkannt", und habe laut angefangen zu husten. Ich habe sogar meinem Bruder aus Paranoia einen falschen Namen gegeben, damit du nichts erahnst. Schließlich habe ich auf dem TS oft von Bastian erzählt, und hab ihn einfach gebeten seinen Modelnamen Edwin zu verwenden, wenn wir mit dir unterwegs sind, weil diesen kanntest du noch nicht. Ich hatte keine Ahnung wieso, und nahm an, hinter all dem Zeug gäbe es keinen Sinn", erklärt Fabian. Verweint hält er seine Hände vor sein Gesicht und lässt sein Kopf fallen.

"Am Mittwoch, wir haben Overwatch gespielt, da hast du mich gefragt, wie es ist. Wie es mit mir in einer Beziehung ist. Du hast mich das einfach so gefragt, gerade heraus, ohne weiteren Gedanken. Es war vermutlich wirklich nur schnell gedacht und nicht von ernst. Aber in diesem Moment, da- da dachte ich an alles, nur nicht daran, dass es beiläufig war. Nein, nein, ich wollte, dass du tatsächlich darüber gegrübelt hast, und hab es schließlich geglaubt.
Immerhin hast du dich sofort versucht rauszureden, weißt du, und du hast unheimlich nervös geklungen. Für mich war es offensichtlich. Das hat so einiges angerichtet.
Mein Bruder wusste davon, ich hab es ihm erzählt. Grund genug für ihn, anzufangen mich wieder aufzuführen. Er hat mir förmlich die Hölle heiß gemacht, mit dir zu reden.
Denn er dachte, dass ich völlig falsche Schlüsse zog. Dass ich lediglich aus reinster Hoffnung annahm, du wolltest mit mir in einer Beziehung sein. Und von früher noch gewohnt, stritt ich es ab, sagte, das es nicht so ist, dass ich das nicht hoffte und mir nichts vormachte.

Er sagt, ich mag Jungs. Er sagt das seit meiner ersten Freundin. Er sagt es immer und immer wieder, bei dir und bei den anderen. Bei allen meinen Freunde, ob männlich oder weiblich. Bei allen beharrt er darauf: "Du stehst auf Männer, Fabian." Wenn er vor fünfzehn Minuten hier gewesen wäre, da hätte ich das nach wie vor verneint. Aber jetzt, maudado, jetzt nicht. Ich habe mir praktisch selbst ein Tor geschossen, als ich dir sagte, ich würde eher dich als jemand anderen wählen, sofern ich jemanden vergewaltige.
Das macht mich fertig, denn das ist wohl die Antwort, maudado. Die dumme und nervige und alles vernichtende Antwort, welche wäre, dass ich offenbar auf dich stehe. Ja, und deshalb-" Fabis Worte sind ein reines Schluchzen, bestehend aus halbem ersticken, weinen und reden. "... deshalb habe ich mich dir nicht wirklich vorgestellt, und erfand eine neue Persönlichkeit, welche dir vor ein paar Wochen zum aller ersten Mal über den Weg lief. Ich wollte dir einfach nah sein, und habe dich nur deshalb angelogen, vor dir geschauspielert und geschauspielert. Ist das nicht verrückt? Ich habe keine simple Ausrede wie Zombey sie hatte. Ich war einfach nur ein Arschloch und vollkommen auf meine eigenen Sorgen und Wünsche fixiert, und ja... ich habe praktisch unseren maudado ausgenutzt."

"Fabi..." Sehr langsam nimmt er seine Hände aus seinem Gesicht. Es ist absolut rot, wie auch seine Augen, welche gemeinsam mit seinen Wangen restlos mit Tränen befleckt sind. "Hast du es verstanden?", haucht er. Zaghaft und unentschlossen nicke ich. "J- ja, sch- schätze schon."

Auf einen Schlag befinde ich mich in seinen Armen. Unsicher streiche ich mit meinen Händen über sein Rücken, hin und her. "Ich kann es dir  echt nicht wortwörtlich sagen. Das bekomme ich einfach nich hin." Etwas nasses landet auf meiner Schulter, er schluchzt auf und bringt ein verstummtes "Es tut mir so leid" über seine Lippen. Und ich flüstre ihm leise: "Ist schon okay, Osaft."

Herr Doll... Zomdado & DadosaftWhere stories live. Discover now