Kapitel 49

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"Du willst wegfahren?" Ich nicke. "Am Donnerstag?" Ich nicke nochmal. "Wo geht's hin?" Ich zögere. Beschämt blicke ich auf meine kantigen Knie, umgreife meinen Eistee noch fester. "Osten." "Fährst du allein?" Ich nicke, spähe wieder auf und sehe auf den kleinen Röhrenfernseher neben dem Regal. "So war der Plan."

"Marice, noch ein Keks?", fragt mich plötzlich jemand von der Seite. Es ist Rons Schwester Jula. Bevor ich sie heute kennen lernte, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, dass er und seine Familie zuvor eigentlich woanders lebten. Jula hat einen stark osteuropäischen Akzent, fiel mir dann auf, aber ich habe mich nicht getraut zu fragen, woher sie kommen. "Nein, danke." Sie zuckt mit den Schultern und hält es Ron vor. Er bedient sich großzügig. "Wir können dich mitnehmen", schmatzt er. "Jula und ich fahren auch weg. Komm mit, ist sicher witziger als allein." Ich zögere mit der Antwort. Ich weiß nicht so wirklich, was ich von der Idee halten soll. "Ist das kein Umweg? Ich muss nach Ba-" Ich räuspre mich, denke für eine Sekunde darüber nach, ob ich es Ron wirklich sagen soll. "Bayern." Warum sollte ich nicht? Schließlich ist er kein Mongo. Keiner der sofort Bescheid wüsste.

Jula grinst. "Liegt auf'm Weg, Marice. Fahren nach Polen", antwortet sie guter Dinge. Polen also. "Wir fahren durch Tschechien", erklärt ihr Bruder und knabbert seelenruhig an seinem Butterkeks weiter. "Was wollt ihr in Polen?" Kurzerhand sehe ich zwischen den beiden her. "Was willst du in Bayern?", entgegnet Ron stumpf, was mich erneut wegsehen lässt. Ich kann es mir ohnehin denken. Familienbesuch oder so etwas.

"Wollten aber morgen Abend fahren - nicht übermorgen. Geht das in Ordnung? Ist viel angenehmer. Kein Verkehr und man kann schlafen..." Jula blickt mich erwartungsvoll aus ihren grauen Augen an, während sie mir Eistee nachschenkt. "Wir holen dich auch ab", ergänzt Ron. "Ja", nickt Jula. "Natürlich."
Ich stimme letztlich zu, doch selbst am nächsten Tag sitze ich mit einem flauen Magen in der Universität und höre mir die vor Vorfreude platzenden Monologe Rons an, welche mir immerzu versichern wollen, wie toll diese Fahrt doch sein wird.

Als ich daheim meine große Reisetasche unter meinem Bett hervorfische, platzt auf einmal Mara in den Raum. "Mama sagt, dass du, dass- eh. Warte", nuschelt sie und läuft zugleich davon. "Mama...", ruft sie die Treppen herunter. "Was soll ich nochmal sagen?" Leise trampelt sie diese hinunter.

Wenig später, gerade dann, als ich meine nötigen Sachen aus dem Bad besorge und diese mit Sorgfalt in der Tasche verstaue, klopft meine Mutter an den Türrahmen und tritt mit zwei Schritten in das Zimmer. "Tut mir leid wegen Mara. Sie sollte dich eigentlich nach unten bitten." Ich winke es ab. "Bist du schon fertig?", fragt sie schließlich und blickt auf die Tasche. "Ja", antworte ich und setze mich daneben.

"Hör mal, Maurice..." Mit ernsten Blick kniet sie vor mir und lässt ihre Hände auf ihre Beine fallen. "Ist etwas passiert?", frage ich erschrocken, doch sie verneint schnell.
Es bleibt für ein paar Sekunden still, bis sie zu reden beginnt. "Dein Bruder spinnt immer noch so dermaßen herum. Weißt du, er hat zwar erst ab Freitag Pfingstferien, aber ich würde ihm auch die beiden Tage entschuldigen, wenn es sein muss."
"Er soll mitkommen", stelle ich fest. Es klingt nicht einmal nach einer Frage, auch wenn es eigentlich zu einer werden sollte, doch meine Mutter erklärte ihr Anliegen so offensichtlich und klar, dass es dabei keine andere Auswahl gegeben hätte. "Ja", meint sie zögernd. "Wenn es für dich keine Umstände bereitet, Schatz."

"Ich bin mir nicht sicher. Ich fahre mit jemand anderem mit." Nachdenkend sehe ich auf meine Tasche. Außerdem wäre da noch diese Sache mit ihm. Meine Sicht fliegt zu meiner trübselig daher sehenden Mutter. "Noah braucht wirklich eine Auszeit von uns. Wir rasten sonst bald noch aus." "Klingt für mich, als bräuchtet wohl eher ihr eine Auszeit." Ich versuche möglichst ruhig zu klingen, verständnisvoll, kein Stück gereizt und verurteilend, aber es reichte nicht aus. Erbittert richtet sich meine Mutter auf und blickt mich finster an. "Ich meine es nur gut", entgegnet sie rechtfertigend. Eingeschüchtert schließe ich meine Augen, murmle: "Tu- tut mir leid. Ich kann sie fragen. Ich kann sie fragen, ob es okay ist."

Herr Doll... Zomdado & DadosaftWhere stories live. Discover now