Ein weiteres Abenteuer stand vor der Tür

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Meine Nacht war kurz gewesen. Zwar musste ich nicht reiten, dennoch entschied ich mich früh aufzustehen und mit Onyx ein Spaziergang zu machen. Der Nebel hing über den Wiesen und da Onyx geschoren war, entschied ich mich ihm lieber eine Decke überzuwerfen. Mit dem jungen Hengst am Strick ging ich an den Wiesen vorbei über die Spurbahn, die normalerweise scheinbar nur von Treckern genutzt wurde. Hier im Gelände war Onyx deutlich gelöster, als in der Hektik des Turnierbetriebes. Die Sonne ging am Horizont langsam auf und schien durch den dichten Nebel. Noch immer hingen die Gedanken der vergangenen Nacht in meinem Kopf. Noch immer kreisten sie so sehr um Nightwish. Wie gerne war ich mit ihm spazieren gegangen.

Ich erinnerte mich zurück an den Tag, an welchem er starb. An die Nacht, als ich ihn gemeinsam mit Jason zu der Pferdeklinik nahe des Camps brachte. Ihn in die Box ließ, welche sein Todesbett sein würde. Wie er sich im Kreis drehte, schnaubend voller Vertrauen ins Stroh legte und ich mich zu ihm setzte. Ich fragte mich immer wieder, ob er wohlmöglich schon Schmerzen gehabt hatte. Ich weiß noch, wie Jason mir bei der Entscheidung half, dass es endlich seine letzte Stunde schlagen sollte. Er war da gewesen, als ich am Boden war. Ich war da gewesen, als das beste Springpferd dato seinen letzten Atemzug machte. Als er zum letzten Mal mich ansah, voller Liebe und Vertrauen und mir in dem Moment klarmachte, auf was es wirklich im Leben eines Reiters ankam. Als Jonny seinen letzten Atemzug machte, war es kein Moment der Trauer, der Verzweiflung, der Ungewissheit – nein, es war ein Moment voller Liebe und Nähe. Wohlmöglich einer der wichtigsten und ehrenvollsten Momente meines Lebens. Ich will nicht sagen, dass es ein schöner Moment war, aber er hatte etwas Magisches. Nicht nur im negativen Sinn. Irgendwo war da schon ein Gefühl des Glücks und definitiv eins der Dankbarkeit. Oh man, ich war diesem Pferd so dankbar.

Trotz all dem, manchmal wunderte ich mich echt, wie die Welt sich weiter drehen konnte, wie ich weitermachen konnte. Und obwohl ich ihn noch immer so sehr liebte, wusste ich, dass er nicht das letzte Pferd in meinem Leben gewesen ist.

Ich sah über die Wiesen und dann Onyx an. Er blieb stehen, hob den Kopf und blies die Nüstern auf. Er wieherte leicht und ich dachte an Nightwish, wie er immer ungestüm über die Weiden geprescht war. Buckelnd und laut Wiehernd. Er war so ein Freiheitsliebendes Tier gewesen. Manchmal dachte man echt, er wäre ein Wildpferd, wenn man ihn vom Strick ließ. Er ist in seinen ganzen 12 Jahren nie erwachsen geworden und ich hab das so sehr geliebt. Ich grinste vor mich hin, wie ein Idiot. Diese Erinnerungen machten mich wehmütig und glücklich zugleich.

Ich vermisste alles an ihm, alles aus das Leben in der Öffentlichkeit. Die Ruhe, die mit seinem Fehlen eingetreten ist, zeigte mir zum ersten Mal, welch eine große Rolle die Medien in meinem Leben gespielt. Es war erschreckend gewesen. Nach der letzten Pressekonferenz zu Nightwishs Tod hatte mein Leben sich drastisch geändert. Lynn war nun im Licht der Medien, da King Star aufgrund seines Stammbaumes von klein auf das Interesse der Öffentlichkeit auf sich gezogen hatte. Da Lynn dann auch noch zu den Michaels gehörte, hatte das doppelten Einfluss. Ich war gespannt, wo das noch hinführen würde. King Star und Lynn passten gut zusammen. Sie konnten großes Schaffen und ich wünschte es mir sehr für die beiden. Ich würde sie unterstützten, wo ich nur könnte.

Seufzend zog ich leicht am Strick von Onyx und ging weiter entlang der Weide. Mir wurde wieder bewusst, was Peter uns vor zwei Wochen am Mittagstisch offenbart hatte. Etwas, was ich nie für möglich gehalten hatte, aber was bald eintreten würde.

*Flashback*

Mom stellte den Topf mit der Kürbissuppe auf den Tisch und Lynn brachte den Korb mit dem warmen Brot. Peter betrat die Küche mit einem Zettel in der Hand, gefolgt von Jason in Arbeitsklamotten

„Der Trecker ist heil, kann verkauft werden", kam es von dem braunhaarigen Jungen und er setzte sich an den runden Küchentisch. Wir nahmen alle Platz und Peter sah noch immer auf den Zettel, griff dann zu einem Stift und unterschrieb das Papier unten der Ecke.

„Hast du uns was zu sagen?", fragte Lynn skeptisch. Der Mann setzte sich gerade hin, seufzte und verzog leicht das Gesicht.

„Wir werden umziehen", fiel er mit der Tür ins Haus.

„Wie jetzt wir? Wir fünf?", wollte meine Schwester verwundert wissen.

„Nein, das ganze Reitzentrum. Das ganze Reitzentrum und mit ihm all die Pferde, Pfleger, Fahrzeuge und das Equipment", erwiderte er

„Wie stellst du dir das vor?", hakte ich skeptisch nach.

„Der größte Teil des Inventars geht mit Containern rüber zum neuen Stall. Die Pferde werden so gut wie alle gleichzeitig fahren, weil sie bis Anfang November hier weg sein müssen", erklärte er

„Alle 250 Pferde?", kam es verwundert von Jason.

„Nein, wir werden unser Inventar verkleinern. Einige werden verkauft, andere gehen zu ihren Besitzern zurück", meinte er

„Warum das alles? Das hier ist unser Zuhause. Unser Rückzugsort. Unsere Wahlheimat", gab Lynn wehmütig von sich

„Weil wir in den nächsten Jahren Unmengen an Geld in die Stallungen, Hallen und Zäune investieren müssen. Ich hab durch eine Zwangsversteigerung ein deutlich attraktiveres Zuhause für uns alle gefunden. Eins, wo wir nicht das Problem haben, dass wir die alten Pferde ständig von A nach B schieben müssen, weil die Möglichkeiten begrenzt sind. Die Stallungen des neuen Hofes sind so aufgebaut, dass wir uns viele Arbeitsschritte sparen und wir müssen nicht ständig die Weiden mit einem Zeitplan belegen. Dort können die Pferde morgens raus und erst abends wieder rein.", entgegnete Peter.

„Außerdem möchte ich gerne züchten und das geht hier nicht", brachte sich Mom ins Gespräch ein, „wir haben bis jetzt drei Fohlen, die auf dem Weg sind und ich kenne es noch von früher. Ich liebe einfach dieses Wissen, neues Leben zu schaffen. Ich werde in den nächsten Jahren auch Schritt für Schritt aus dem Turniersport zurücktreten, möchte dann aber Sportpferde züchten. Solche Talente wie Harmony, Nightwish oder Mister X. Wir können für solche Pferde den Grundstein legen und das sollten wir auch"

*Flashback Ende*

Für uns würde es also in wenigen Wochen nach Jasper gehen. Eine kleine Stadt nördlich von Calgary, Kanada. Was ich davon hielt? So richtig wusste ich es nicht. In Shelby hatte ich das Gefühl, auch nach Nightwishs Tod ihm noch nah zu sein, doch das Gefühl würde mit dem Umzug verschwinden, das war ich mir bewusst. Hinzu kam die Tatsache, dass der ganze Umzug mit relativ viel Chaos verbunden war. Alle unsere Pferde würden für einige Tage in einem Transitstall leben, welcher eine alte Fabrikhalle, zum Stall umgebaut ist. Die gesamte Fahrt von Shelby nach Jasper würde nur 8 Stunden dauern, doch wir müssten in Lethbridge in dem Transitstall einen Zwischenstopp machen, da wir mit so einer großen Anzahl an Tieren in das Land reisten, dass alle kontrolliert werden mussten.

Ein weiteres Abenteuer stand vor der Tür. Das Hoffest dieses Jahr, wäre das Letzte, welches je am Reitzentrum Thompson in Shelby veranstaltet werden würde.

Close To Heaven.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt