Roccostrado.

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Am vierten Tag am Gestüt hatte ich mir eine Auszeit gegönnt. Onyx war soweit wieder in die richtige Bahn gelenkt worden und ich hatte Tommy genug Dinge gezeigt, welche den Grauschimmel bei seiner Übermut, wieder zur Vernunft brachten. Ich wollte heute mir einfach nur ein Pferd ausleihen und ein wenig reiten. Die letzten drei Tage hatte ich mal wieder ein paar Minuten auf Onyx gesessen, aber das war auch nur um Tommy zu erklären, was ich mit meinen Erziehungsmethoden meinte.

Ich schlenderte durch den Stallkomplex der Verkaufspferde und blieb verwundert vor der Box eines Schimmels stehen. Allein durch seine Farbe stach er heraus. Schneeweißes Fell und ebenso weiße Mähne, ließen ihn majestätisch wirken. Er stand einfach nur in seiner Box und hatte seinen Kopf in die Stallgasse hängen, doch irgendwas Faszinierendes hatte er an sich. Ich strich über seine breite Stirn und stellte fest, wie vertrauensvoll er war. Zwar war ich die letzten Tage gefühlt 100 Mal an seiner Box vorbeigelaufen, jedoch hatte ich nie Kontakt zu ihm gehabt. Der Schimmel interessierte mich und ich trat ein Schritt zurück, um seinen Boxenschild zu Lesen. Roccostrado. Ein toller Name. Er klang wie süd-europäisch. Ich sah den Hengst noch einmal an. Der Name passte zu ihm. Er hat sowohl etwas Ehrenvolles und Anmutigendes an sich, als auch etwas Temperamentvolles. Ich studierte sein Boxenschild weiter und hielt fassungslos inne. Ungläubig las ich immer wieder und wieder, bis ich mein Handy zückte und nachschaute, ob es stimmte. Ich verglich die abfotografierten Papiere mit den Angaben auf dem Boxenschild und musste erst staunen, dann leicht lachen. Roccostrado war Rocky Rubins, 10 Jahre jüngerer Voll-Bruder.

Einer der Angestellten des Gestüts kam mit zwei Pferden vorbei

„Ähm, Entschuldigung", richtete ich mich an ihn. Fragend blieb er stehen und sah mich abwartend an

„Dürfte ich Roccostrado Probereiten?", erkundigte ich mich. Er sah mich verwundert an, nickte dann aber eifrig.

„Ich bringe eben nur die beiden in die Führmaschine", meinte er und verschwand aus der Stallung. Wenig später kam er mit einem Schlüssel wieder.

„Halfter hängt da. Ich schließe Ihnen eben seinen Sattelschrank auf", erklärte er und ging in die große Sattelkammer, die bis unter die Decke mit Sätteln voll war. Er zeigte mir den Holzschrank Roccostrados und erklärte mir dann ein paar Sachen zum Pferd.

„Ja, also Roccostrado ist seit vier Jahren bei uns, wir haben ihn ausgebildet. Er ist jetzt 8 Jahre alt, ist in der Vielseitigkeit einsetzbar, eigentlich ein lieber Kerl, mag aber nicht jeden. Darum steht er auch schon länger zum Verkauf, weil Pferd und Reiter einfach zusammen passen müssen. Er ist nichts für unsichere Reiter", meinte der Stalljunge und gab mir das Halfter. Ich holte Roccostrado aus seiner Box und sah zum ersten Mal die volle Schönheit des Hengstes.

„Woher kommt Ihr Interesse für ihn? Ich dachte sie seien nur hier, um Onyx zu Vernunft zu bringen?", erkundigte er sich interessiert. Ich musste leicht lächeln und strich mit der Bürste über das seidige Fell des Schimmels.

„Um ehrlich zu sein kommt das Interesse wegen meiner Schwester. Sie sucht momentan ein Pferd und er hat gute Chancen zu ihr zu passen", erwiderte ich.

„Aber das können Sie doch gar nicht beurteilen, ohne dass Ihre Schwester ihn geritten ist", argumentierte der Stalljunge. Ich wiegte meinen Kopf hin und her und sattelte Roccostrado auf.

„Das jetzige Pferd meiner Schwester ist ein Rentner. Rocky Rubin. Ich weiß nicht ob Ihnen das was sagt?", entgegnete ich und sah ihn abwartend an.

„Ja doch. Sie ist viel auf Landesebene geritten mit ihm, oder?", schien der Stalljungen sich zu erinnern. Ich nickte

„Genau. Er ist Roccostrados Voll-Bruder. Wenn Roccostrado ähnlich tickt wie Rocky Rubin, dann steht die Chance gut, dass das passt", erklärte ich ihm. Mit großen Augen sah er mich an

„Echt? Das wusste ich ja gar nicht", gab er begeistert von sich. Ich trenste den Schimmel auf und sah dann den Stalljungen fragend an

„Wo kann ich reiten?", wollte ich wissen.

„Steigen Sie auf. Ich begleite Sie", meinte er und deutete auf den Hocker, von welchem aus ich problemlos auf das große Pferd kam. Im Schritt ritt ich über das Gestüt und wurde von dem Stalljungen in eine Halle gebracht. Dort ritt ich Schritt, Trab und Galopp. Es fiel auf, dass Roccostrado eine andere Ausbildung genossen hat als Rocky Rubin damals, doch die Parallelen zwischen den Pferden waren auffällig. So spürte man diese bei jedem Galoppwechsel und wie die Zügel in den Händen lagen. Roccostrado zeigte einem was er verlangte und so konnte man gut auf ihn eingehen und so reiten, wie es am besten für Mensch und Pferd war. Ich spürte eine Leistungsbereitschaft des Schimmels, welche mich davon überzeugte, dass er das ist, was Lynn jetzt braucht. Meine Schwester hatte Gestern Geburtstag und die Familie hatte ohne mich gefeiert, doch ein vernünftiges Geburtstagsgeschenk nach all den letzten Monaten, welche für uns alle stressig waren, war das mindeste was sie verdient hatte. Ich überlegte, wie ich Roccostrado am besten kaufen könnte, ohne danach Pleite zu sein und erinnerte mich an unsere Verkaufspferde. Wir hatten eine Sport- und Zuchtstute, welche zum Verkauf stand und welche mindestens genauso viel Wert war wie Roccostrado. Ich müsste nur Peter davon überzeugen, dass es das Richtige wäre und könnte dann diesen Deal dem Gestüt anbieten.

Am späten Abend, als draußen bereits das Flutlicht den Parkplatz erhellte und ich eigentlich auf dem Weg in mein Gästezimmer sein sollte, ging ich noch einmal in die Stallung. Ich sah nach Onyx, welcher dösend mit Heu im Maul in seiner Box stand und zufrieden wirkte. Mit einem Lächeln ging ich über in den Trakt der Verkaufspferde und sah nach dem Schimmel. Liebevoll strich ich über seinen Hals. Dann fiel mein Blick an seine Boxentür. Dick und fett klebte ein Banner an dem Holz. ‚Verkauft'

Morgen würde der Gestütsleiter zu Peter fahren, einen unserer Anhänger und die Stute nehmen und von da aus zurückkommen. Ich würde am Ende der Woche mit Roccostrado im Schlepptau nach Hause fahren und Lynn ihr Geschenk überreichen.

Close To Heaven.Where stories live. Discover now