Ich habe mit Nightwish abgeschlossen,

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Die Wochen waren vergangen und der Dezember hatte in Kanada eingekehrt. Jeanny ging mit ihrer Stute Indoor-Turniere, Daniel nahm einigen Cups teil und Lynn drehte völlig auf. Sie ging mit Roccostrado auf mehrtägige Championate. Es waren kleine, aber es waren welche. Sie machten zusammen ihre ersten Erfahrungen im Cross Road Reiten und Lynn entdeckte die Dressur für sich. Von klein auf hatte sie gelernt sowohl Dressur zu reiten, als auch Springen. Nun konnte sie beides anwenden. Ich hatte unfassbaren Spaß dabei, ihr zu zusehen, wie sie tagtäglich mit einem breiten Lächeln auf den Lippen die Stallung betrat, ihr majestätisches Pferd aus seiner Box holte und fürs Training vorbereitete. Tatsächlich hat der Erfolg auch nicht lange auf sich warten lassen. Bei einem mittelgroßen Turnier belegte sie den zweiten Platz. Roccostrado und Lynn passten zusammen wie keine Pferd-Reiter-Konstellation, die ich zuvor gesehen hatte. Lynns Talent und Roccostrados Talent in Kombination, würde für großes sorgen. Das wusste ich. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis beide sich komplett aufeinander eingestellt hatten.

Heute war eine Jahresabschlussveranstaltung in Calgary mit geladenen Gästen und großen Publikum. Daniel, Peter, Lynn, Jason, Mom und ich fuhren mit Rocky Rubin, Roccostrado und Nevados dort hin. Ursprünglich war auch Onyx eingeplant, doch ihn nur für diesen Anlass aus dem Training zu reißen, hielt Peter für unnötig. Daniel würde in einem Freundschaftsturnier mit Nevados antreten und Lynn und ich ritten gemeinsam einen Parcours mit den beiden Brüdern. Auch wenn beide Schimmel bei uns zum ersten Mal aufeinander traten und zwischen ihnen 10 Jahre lagen, verstanden sie sich auf Anhieb bestens. Jeden Tag durften sie zusammen auf den Paddock oder in die Halle und hatten sich schnell angefreundet.

„Luna, komm. Wir müssen", meinte Lynn zu mir und nahm die Zügel ihres Pferdes.

„Ich hab nicht viel Zeit, um das zu proben", entgegnete ich und schloss den Verschluss meiner Reitkappe. Ich musste in etwa 1,5 Stunden bei einem wichtigen Pressetermin sein. Ich wurde nominiert dafür, um einen Eintrag für die populärste Reitzeitung zu schreiben. Die Kategorie lautetet „Das Pferd meines Lebens" und es war wohl mehr als selbstverständlich, dass ich über Nightwish schreiben würde. Anfangs hatte ich meine Zweifel, ob es das Richtige wäre, dies nach all den letzten Monaten zu tun und damit alles wieder aufzuwühlen, doch ich fühlte mich geehrt, dass auch nach seinem Tod noch immer Menschen an seiner Geschichte und seinem Werk Interesse hatten.

„Luna. Komm schon. Du musst Rocky von Anfang an fordern. Du kennst ihn doch", meinte Lynn auf einmal zu mir, als sie mich im Schritt durch die Gegend schlendernd sah. Knapp 45 Minuten kämpfte ich mich mit Lynn durch die Halle, probte den Parcours und den Ablauf. Alles lief gut und ich hatte Spaß daran meine Schwester mit ihrem neuen Pferd zusehen. Die beiden harmonierten so gut, wie Rocky Rubin und sie es früher taten. Ich war stolz.

Nach der Probe brachte ich Rocky Rubin zurück in seine Box, kümmerte mich um sein Sattelzeug und suchte dann den Weg zu dem Pressetermin. Ein wenig aufgeregt war ich schon. Nicht wegen der Tatsache, diesen Eintrag für die bekannte Zeitschrift zu schreiben, sondern weil ich ihn über Nightwish schreiben würde. Der Umzug, die vielen neuen Pferde und das Leben hier in Kanada hatten mich so sehr abgelenkt, dass ich den ganzen Schmerz verdrängen konnte. Jetzt würde ich mich das erste Mal wieder ihm stellen.

„Ah Luna Michaels. Schön Sie zu sehen", begrüßte mich eine Frau, als sie mich im Backstagebereich der großen Arena erblickte. Sie zeigten mir den Weg zu dem Raum, in welchem die Reitzeitschrift untergebracht war und stellte mich einigen Leuten vor. Anschließend deutete sie auf einen Stuhl hin, welcher vor einem großen Tisch stand. Auf ihm lagen ein Blattpapier, ein Stift, zwei Ausgaben der Zeitschrift und eine Schleife. In einem Bilderrahmen sah ich das Abbild meines Pferdes. Erinnerungen kamen hoch. Die nette Frau erklärte mir, worum es genau ging, wie viel Platz ich hatte zum Schreiben und welche Themen ich möglichst anschneiden sollte. Dann zog sie sich zurück und ich nahm unschlüssig den Stift in die Hand. Die Vorfreude auf diesen Pressetermin verflog. Mein Kopf wurde leer. Ungefähr so wie in einer Klassenarbeit in Mathe. Ich saß da und alles machte auf einmal keinen Sinn mehr. Gedankenverloren sah ich das Bild von Nightwish an, nahm den Bilderrahmen in die Hand und dachte lange nach. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich nahm den Stift in die Hand.

‚Das Pferd meines Lebens – Nightwish

Ganz egal wie gut oder schlecht du draußen im Parcours warst, erinnere dich nur daran, dass du einst ein junges Mädchen warst, welches eine Liebe für Pferde hatte und einen Traum, den du wahr werden lassen hast. Vergiss dies nie.

Mit Nightwish, oder besser gesagt Johnny, wurden viele Träume war. Der Traum vom eigenen Pferd, der Traum ein Stück meines Vaters am Leben zu erhalten, der Traum der Eigenständigkeit und auch der Traum des Profisportes, der ehrlich gesagt nie ein Traum war. Nein, er war eigentlich das, was ich nie wollte und dennoch bekam. Und genau deswegen bin ich meinem Pferd dankbar, dies erlebt haben zu dürfen, denn ich weiß, wie viele Reiter es wegen Fehltritten nicht schaffen.

Nightwish ist nicht nur das Pferd meines Lebens, weil ich diesen Erfolg mit ihm hatte, er ist auch das Pferd meines Lebens, weil er mir viel beigebracht hat. Ich erinnere mich gerne an die Situation zurück, als ich in Cleveland beim Olympiateam trainierte und mir zwei Pferde im Training anvertraut wurden. Mir wurde damals gesagt, ich sei eine so gute Reiterin und ich widersprach: „Die ganzen Leistungen, das ist immer alles Nightwish" Denn es war so. Doch als Antwort bekam ich nur: „Du fällst nicht runter, das ist eine beachtliche Leistung" Ja, Recht hatte mein Trainer damals. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass ganz egal wie schlecht das Training verlief oder wie das Pferd sich verhalten hat, ich in den Stall gehe und mich bei ihm bedanke. Denn ich und jeder andere im Stall wusste, dass er mich hätte töten können binnen zwei Sekunden, aber er hat sich jedes Mal entschieden, es nicht zu tun.

Man sagt, dass manche Pferde einen testen, andere bringen einem etwas bei und dann gibt es noch die Pferde, die holen das Beste aus dir heraus. So ein Pferd war Nightwish. Das was ich von ihm gelernt habe ist heute das, was ich kann. Von keinem Pferd habe ich je so viel gelernt, wie von ihm. Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und meine Freunde, die Nightwish und mich jahrelang begleitet haben.

Es ist auch kein Geheimnis, dass Nightwish zwei Seiten in sich trug. Nicht nur Charakteristisch, sondern auch zwei Seiten, mit denen man ihn in Verbindung setzte. Seine Mutter und seinen Vater. Einmal Heaven, die panische, nervöse und sensible Stute und einem Mister X, den robusten, schwierigen und explosiven Hengst. Diese Mischung machte etwas Einzigartiges aus ihm. Doch hat seine Vorgeschichte, bezogen auf Mister X, all die Jahre einen dunklen Schatten mit sich gezogen. Dass Nightwishs Vater meinen Vater, Steve Michaels, im Training bei einem Missverständnis umbrachte, ging nie aus unseren Köpfen. Doch ich lernte eins: es gibt keinen besseren Platz um ein gebrochenes Herz zu heilen, als auf dem Rücken eines Pferdes. Alle Bindungen werden auf Vertrauen gebaut. So war es bei Nightwish und mir und später auch bei Mister X, mir und meiner Familie.

Manchmal frage ich mich, wo Nightwish und ich heute stehen würde, wäre die Krankheit nicht dazwischen gekommen und um ehrlich zu sein möchte ich die Antwort niemals wissen. Vor etwa einem Jahr wurde die Krankheit diagnostiziert. Ich nahm mein Pferd aus dem Turniersport, er wurde zu einem Freizeitpferd und Weidehengst. Wenn ich heute darüber nachdenke, starb Nightwish lange vorher, bevor es Johnny tat. In seinen letzten Monaten war mein Pferd einfach nur es selbst. Er durfte alles was er wollte und es war das Mindeste, was er verdient hatte.

Johnny, oder Nightwish, war das Pferd meines Lebens. Nicht nur sportlich gesehen, sondern auch, weil er einfach so viel Freude in das Leben der Michaels brachte. Vergessen werde ich nie und der Reitsport wohl auch nicht.

Ich habe mit Nightwish abgeschlossen, doch Johnny werde ich für immer in meinem Herzen tragen'

Close To Heaven.حيث تعيش القصص. اكتشف الآن