Der Grauschimmel

714 49 2
                                    

Ich öffnete die Tür zu der Scheune, welche sich neben dem alten Carport mit dem blauen Oldtimer befand. Ich konnte in der ruhigen Luft meinen Atem beim ausatmen sehen. Irgendwo musste hier doch ein Schraubenzieher liegen. In Mitten des Chaos wurde ich kaum fündig. Auf einem Regalbrett dann erblickte ich das gesuchte Objekt. Zögerlich nahm ich es in die Hand und verließ die unaufgeräumte Scheune. Neugierig kamen die beiden Golden Retriever Amber und Odin angelaufen, welche Peter vor einer Woche aus dem Tierheim geholt hatte. Sie begleiteten mich zu der Stallung. Ich hörte jeden meiner Schritte auf dem gepflasterten Boden der Stallgasse. Aus sämtlichen Boxen sahen mich Wallache und Stuten neugierig an, doch mein Weg führte in den Hengst-Trakt. Vor der Box des Grauschimmels blieb ich stehen. Mit einem leisen Schnauben begrüßte er mich und ließ mit Heu im Maul seinen Kopf durch die Gitterstäbe seiner Boxentür hängen. Mit einem zaghaften Lächeln strich ich über seine Stirn und spürte den warmen Atem von ihm gegen meinen Hals strömen. Frech stupste er immer wieder seine Lippe gegen mich und ich musste breit grinsen. Er war einfach ein tolles Pferd. Zögernd steckte ich den Schraubenzieher in meine Hosentasche und ging zur Sattelkammer, in welcher ich einen Eimer mit Müsli, Karotten und Äpfeln vorbereitete. Mit einem flauen Gefühl im Bauch brachte ich den Eimer zu Onyx und öffnete die Boxentür. Aufgeregt erblickte er den Eimer und begann auf der Stelle zu tänzeln. Als ich ihm dem Eimer hinhielt, begann er gierig zu fressen und ich strich immer und immer wieder über das graue Fell auf seiner Stirn. Onyx wurde immer älter, doch die graue Farbe blieb. Er würde scheinbar niemals ein richtiger Schimmel werden. Ich ließ den jungen Hengst mit seinem Futter alleine und machte mich in der Sattelkammer daran, seine beiden Sättel, die Trense, seine Schabracken, Decken, Gamaschen, Bandagen und Halfter nach und nach in einen Sattelschrank auf Rollen zu verstauen. Über die beiden großen Sattelhaken hing ich den Spring- und Freizeitsattel. An der Tür des rollenden Schrankes waren Haken für seine Trense und die Halfter. In das Fach, welches ganz oben im Schrank war, verstaute ich Schabracken, Gamaschen und Bandagen. Auf dem Fußboden des Schrankes legte ich die Decken ab und oben drauf stellte ich einen sauberen Eimer. Aus dem Futterschrank, welcher sich ebenfalls in der Sattelkammer befand, nahm ich zwei Tüten seines Lieblingsmüslis, eine Tüte seiner Lieblingsleckerlies und ein paar Karotten. Alles verstaute ich in dem Eimer. Der Sattelschrank war so gut wie voll, doch ich griff in meine Innentasche meiner dicken Winterjacke und nahm einen Umschlag heraus. Prüfend sah ich nach, ob alles Wichtige drinnen war. Der gefaltete Brief, die zwei Fotos und der kleine Anhänger, welcher immer am Halfter von Onyx hing, als er ein Fohlen war. Leicht seufzend klebte ich den Umschlag zu und legte ihn unter den Sattelschoner des Springsattels. Dort würde man ihn am schnellsten finden. Mit einem unwohlen Gefühl schloss ich den Sattelschrank und verdrehte das Zahlenschloss, sodass dieser fertig war für den Transport. Auf der Tür des Sattelschrankes klebte ein Metallschild. ‚Onyx'.

Ich verließ die Sattelkammer und ging erneut zu der Box des Grauschimmels. Der junge Hengst hatte aufgefressen und ich konnte den Eimer aus der Box nehmen. Liebevoll legte ich ihm das Halfter an und führte ihn aus seiner Box. Auf der Stallgasse warf ich ihm seinen Strick über den Hals und begann das Stroh und den Staub aus seinem kurzen Fell zu bürsten.

„Na den hast du ja gut im Griff", lobte Daniel mich im Vorbeigehen und klopfte Onyx liebevoll auf die Kruppe. Ich nickte nur stumm und begann damit, den langen Schweif auseinander zuknoten. Onyx stand die ganze Zeit still in Mitten der Stallgasse und räumte mit seinem Maul die Putztasche aus. Ich ließ ihn, denn ich liebte seine freche Art.

„Wie sieht es denn hier aus?", kam es fast ein wenig entsetzt von Peter, als er das Chaos erblickte, welches der junge Hengst angerichtet hatte.

„Was er verwüstet, räumt er auch auf", erwiderte ich nur

„Wenn das mal so wäre, bräuchten wir keine Stalljungen", entgegnete Peter nur. Ich legte den Kamm zur Seite, nahm die Putztasche in die Hand und zeigte auf eine Bürste, welche vor Onyx lag. Der Hengst streckte sich danach, hob mit seinen Zähnen sie hoch und ich hielt ihm die Tasche unters Maul. Brav ließ er die Bürste fallen und sie landete in der Tasche.

„Luna, er ist ein Pferd, kein Hund", gab Peter amüsiert von sich.

„Kein Grund, dass er sich deswegen mental langweilen muss und verblödet", konterte ich grinsend.

„Da ist was dran. Vielleicht solltest du Zirkuspferde ausbilden", kam es nur von ihm und er ging weiter seinen Kontrollgang durch die Stallung. Ich sah auf mein Handy, um zu wissen wie spät es war. Die Uhr zeigte 5.30pm. In 30 Minuten müsste Onyx fertig sein. Ich nahm die Decke, welche über dem Halter an seiner Box hing und warf sie ihm über. Jason kam gerade vorbei und reichte mir die Gurte unter dem Bauch des schlanken Hengstes durch, sodass ich sie befestigen konnte.

„Ist der Sattelschrank fertig?", wollte er von mir wissen. Ich nickte leicht

„Ja, alles fertig", erwiderte ich und strich in großen Zügen über den Hals des Grauschimmels.

„Okay, gut. Denk an das Schild", erinnerte mich Jason und ging in die Sattelkammer. Mein Blick fiel auf die Transportgamaschen und ich bückte mich nach ihnen. Ein Bein nach dem anderen des Hengstes verpackte ich sicher in den dick gepolsterten Gamaschen.

„Wie lief das Training heute Morgen?", erkundigte sich auf einmal Tommy, ein Ende Zwanzigjähriger mit Dreitagebart, bei mir.

„Sehr gut. Er ist gut gesprungen und hat das Tempo ordentlich angezogen. Ich war im Anschluss noch zwei Stunden mit ihm im Gelände. Er hat es wieder einmal geliebt. Da wird er echt nie erwachsen", erwiderte ich und musste leicht lachen

„Das ist doch gut so. Soll er sein Spaß haben", entgegnete Tommy und ging dann weiter. Der Grauschimmel war fertig vorbereitet und ich drehte mich zu seiner Boxentür um. Außer dem Metallschild hing nichts mehr an der Boxentür, welches signalisierte, dass es seine Box war. Zögernd nahm ich den Schraubenzieher aus meiner Hosentasche und schraubte das Schild ab. Leise seufzend las ich, was in das Schild gestanzt war.

Onyx, 7 Jahre alt, Besitzerin: Luna Michaels

Ich griff nach dem Strick von Onyx, welcher über seinem Hals hing und führte ihn aus der Stallung. Den Schraubenzieher und das Schild legte ich auf die Bank vor unserer Haustür und drehte dann eine kleine Runde über den Hof mit ihm. Der Atem des Hengstes war durch die Kälte als weiße Wolke zu sehen.

„Vergiss uns nicht, Großer", murmelte ich, als ich mit ihm stehen blieb und er sich mit hoch erhobenen Kopf umsah. Er wieherte leise und aus der Stallung bekam er von Nevados, King Star und Lucky Strike Antwort. Ich biss mir auf die Lippen und konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Als ich zurück zum Vorplatz der Stallung kam, erblickte ich bereits den Anhänger, wessen Rampe herunter geklappt war. Ohne zu zögern führte ich Onyx hinein und wartete, bis Jason die Rampe hochgeklappt hatte. Ich band den Grauschimmel an dem Anbinderingen fest, kontrollierte das Heunetz und strich über seine Stirn.

„Mach's gut, Großer", murmelte ich leise, „Mach's richtig"

Ich kletterte aus der kleinen Klappe vorne am Anhänger und schloss diese auch. Der Sattelschrank stand neben Onyx im Anhänger. Tommy verabschiedete sich von uns und fuhr mit dem Gespann vom Hof. Mit ihm, Onyx. Ich dachte an den Umschlag im Sattelschrank. In ihm waren ein Brief und zwei Bilder. Die Bilder, sie zeigten Onyx als Fohlen und von seiner Körung. Den Brief, den hatte ich Tommy geschrieben;

Hey Tommy,

ich wusste, dass dieser Tag eines Tages kommen würde. Schließlich sollte ich für Onyx immer nur den Grundstein legen und das habe ich getan. Ich weiß, dass er bei dir in guten Händen ist und dass du aus ihm das machen wirst, was er verdient hat zu werden – ein erfolgreiches Pferd. Ich schätze dich als Reiter sehr, aber bitte tue deinen Job nur auf dem Rücken dieses Pferdes, denn wenn du Onyx ein wenig Freiheit gibst, wirst du sehen, dass nicht nur seine Fähigkeiten im Parcours etwas wert sind. Sein Charakter ist Gold wert und kein Mensch der Welt sollte diesen brechen. Mag sein, dass er frech ist, aber es wird nicht langweilig mit ihm. Kümmere dich gut um den kleinen Grauschimmel, ich bin gespannt wie es ihm auf dem Gestüt gefällt und was die Zukunft für euch bringt.

Alles Liebe

Luna Michaels

Close To Heaven.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt