King Star

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Ich hatte an diesem Morgen den Einkauf übernommen und lenkte den großen Kombi von Mom auf das Reitzentrum Thompson. Augenblicklich fiel mein Blick auf den großen Transporter des Tierarztes, den Traktor daneben und die vielen Menschen. Statt zu unserem Haus abzubiegen, fuhr ich die Auffahrt entlang und hielt auf einem der Parkplätze des großen Vorhofes der Stallungen. Schnell stieg ich aus dem Auto und ging zügigen Schrittes zu der Ansammlung an Menschen. Als ich über die Schulter einer der Schaulustigen sah, erblickte ich wie Lynn, Peter und der Tierarzt neben King Star knieten. Der stattliche Hengst lag auf dem Bauch auf dem gepflasterten Parkplatz vor der Rampe des Transporters.

„Was ist passiert?", fragte ich schockiert, drängte mich an den Mensch vorbei und kniete mich neben Peter. Der Hengst war sediert und wirkte nicht ganz bei allen Sinnen. Dann fiel mein Blick auf die Schlaufen an seinen Fesselgelenken und da sich zu dem Traktor.

„Er ist auf der Weide beim Toben gestürzt und in einen der Gräben gerutscht. Wir haben ihn da irgendwie nach langem hin und her rausbekommen", erwiderte Peter leise seufzend

„Wo ist Jason?", wollte ich daraufhin nur wissen

„Mit Jeanny, der Nichte meines besten Freundes, eines der Pferde auf dem anderen Hof testen.", entgegnete er nur und sah den großen Hengst besorgt an

„Habt ihr ihn angerufen?", hakte ich weiter schroff nach

„Nein. Jeanny ist ein Kunde. Er soll sich voll und ganz um sie und das Pferd kümmern. Wir haben das ja auch so hinbekommen.", gab Peter schulterzuckend von sich. Ich stand kopfschüttelnd auf und sah auf den Verlobten meiner Mutter runter

„Ist das dein Ernst? Hier liegt vor dir dein Talent, deine Hoffnung und du argumentierst mit Kundschaft? Jason hätte King Star innerhalb von 5 Minuten aus dem Graben geholt. Er hat so viele Pferde in Shelby schon aus den Gräben gefischt. Wie kannst du nur so einseitig denken?", kam es fassungslos von mir und ich ging zu Lynn, welche die Augen ihres Hengstes zu hielt, damit er keine Panik bekam.

„Was ist mit ihm?", erkundigte ich mich und hockte mich neben sie. Daniel stand dicht bei ihr und versuchte ihr irgendwie Beistand zu halten

„Wahrscheinlich ein Beinbruch. Sie wissen es nicht genau, aber nehmen ihn mit in die Klinik. Er hat Schmerz- und Beruhigungsmittel bekommen. Es geht nur noch ums Verladen", erwiderte sie schwach. Ich nickte verstehend und sah noch immer schockiert auf King Star runter. Das könnte seine Karriere gewesen sein.

„Ich bin im Haus. Noch einer mehr muss hier nicht im Weg stehen. Komm nachher zu mir, ja?", meinte ich zu Lynn und sah meine Schwester liebevoll an. Sie blickte zu mir hoch und nickte minimal.

Ich verließ die Gruppe und fuhr mit dem Kombi zum Haus. Nach und nach schleppte ich die Einkäufe rein und räumte sie in der Küche aus. Ich sortierte und befüllte die Lebensmittelkammer. Nach einiger Zeit kamen Lynn und Daniel rein. Mit einem lauten Seufzen ließ sich meine Schwester auf die Küchenbank vor dem Fenster fallen. Daniel lehnte sich mit verschränkten Armen vor der Brust gegen die Küchenzeile

„Es tut mir Leid, Lynn", brach es leise aus mir raus. Ich sah nur wie Lynn den kopfschüttelte und langsam ihren Blick von der Tischplatte trennte.

„Es war ein Weideunfall", entgegnete sie nur. Sie sah nicht enttäuscht, traurig oder niedergeschlagen aus. Ihr stand die pure Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.

„Wie geht's jetzt weiter?", wollte Daniel wissen. Lynn zuckte mit den Schultern

„Sie gucken, ob es ein gerader Bruch ist oder ob sie operieren müssen. Wenn die Sehnen nicht allzu sehr beschädigt sind, wird er es überleben", erwiderte sie

„Das meinte ich nicht. Wie geht es weiter mit dir? Er wird garantiert nicht an seine alten Leistungen anknüpfen können", entgegnete Lynns Freund. Mit gerunzelter Stirn und herablassenden Blick sah Lynn ihn an

„Darum geht es gerade gar nicht. Hier geht es nicht um mich, sondern um das Pferd, welches gerade mit seinem Leben ringt", kam es fassungslos von ihr. Ich fühlte innerlich eine Wärme, die auf Lynns Worte zurück zuführen waren. Ich hatte in den letzten Wochen das Gefühl, dass sie sich zu sehr auf sich versteift hatte und das Pferd nur noch Mittel zum Zweck war.

„Daniel, es kann nicht immer alles nach Plan laufen", meinte ich zu ihm.

„Ach echt? Stimmt. Es können ja nicht alle wie du und Nightwish sein. So perfekt. So unantastbar. So legendär", konterte er wütend und ich spürte die Aggression in seiner Stimme.

„Daniel!", gab Lynn entsetzt von sich

„Willst du dein ganzes Leben lang im Schatten deiner Schwester stehen? Willst du dir ewig anhören: ‚Ja, deine Schwester Luna war ja so erfolgreich. Sie hat es zu etwas geschafft' Willst du das?", wollte Daniel gefrustet wissen.

„Es geht hier nicht um meine Karriere. Es geht um King Star. Versteh das endlich! Dem Pferd habe ich meinen jetzigen Erfolg zu verdanken", entgegnete Lynn ebenfalls sichtlich wütend.

„Welchen Erfolg? Die Landessiege mit Rocky Rubin? Die kleinen Jungturniere mit King Star?", widersprach Daniel provokant. Die Blicke meiner Schwester und mir trafen sich, dann sahen wir Daniel an.

„Raus!", schrien wir gleichzeitig, und zeigten auf die Tür, welche zum Flur führte

„Ich meins Ernst. Geh!", setzte Lynn nach, als Daniel sich nicht bewegte. Als er fast aus dem Raum war, rief ich ihm noch nach: „Das gilt jetzt für alle. Die nächste Stunde kommt hier niemand rein!"

Als die Tür ins Schloss fiel und man Daniel wütend die Treppe hochstapfen hörte, setzte ich mich leise seufzend gegenüber von Lynn.

„Er war nie der Richtige", kam es urplötzlich von ihr.

„Was meinst du?", wollte ich verwundert wissen

„King Star.", fügte sie hinzu.

„Er hat Potential, er kann was Großes werden. Du hast Talent. Wo liegt das Problem?", fragte ich nach

„Du hast Talent, das weiß jeder. Lucky Strike sprüht nur so vor Potential. Warum hast du ihn dann Mom gegeben?", entgegnete sie mit einer Gegenfrage. Ich seufzte und sah hinter ihr aus dem Fenster

„Weil es nicht gepasst hat. Ich hab verkrampft versucht, dass es passte, aber es ging nicht. Ganz hinten in meinem Kopf war da irgendwie das Wissen, dass es nicht passen kann. Er braucht einfach jemanden, der sich voll und ganz auf ihn konzentriert, und das ist nun mal Mom", meinte ich. Lynn nickte verstehend

„Genauso ist es mit King Star. Mag sein das er Potential hat und sehr erfolgreich sein kann, aber er kommt nicht mit dem Druck klar, der nun mal auf ihm liegt, wenn er mein einziges Pferd ist. Er steht nicht gerne im Mittelpunkt", erwiderte sie.

„An welchem Ort siehst du ihn richtig?", hinterfragte ich neugierig.

„Das klingt komisch, denn so wie wir ihn erlebt haben, passt es auf den ersten Blick nicht.", begann Lynn unsicher, „ich glaube King Star wäre ein gutes Pferd für eine Familie mit drei Kindern oder so. Er ist super lieb und kann Unerfahrenen viel beibringen. Ich glaube als Schulpferd ist er zu sensibel, aber als Pferd einer Familie wäre er perfekt." Etwas verwundert sah ich sie an, nickte aber dann doch

„Alles was jetzt erstmal zählt ist King Stars Gesundheit. Dann kümmere ich mich um ein neues Zuhause. Er ist hier falsch, das wissen wir beide", meinte meine Schwester seufzend. Ich nickte erneut.

„Ja, das ist er", stimmte ich zu

„Bis ich was Neues gefunden habe, werde ich erstmal Rocky Rubin reiten. Ein bisschen Sport tut dem Alten ganz gut", gab sie leicht auflachend von ihr

„Du könntest vielleicht nächste Woche noch Peter Pan übernehmen. Ich bin eine Woche nicht da", schlug ich vor.

„Wo musst du hin?", fragte Lynn verwundert, „Und warum weiß ich da nichts von?"

„Hat sich gestern Abend herausgestellt und heute konnte ich es dir wegen des Trubels noch nicht erzählen, aber das Baby macht Probleme", erklärte ich

„Onyx?", hakte meine Schwester verwundert nach. Ich nickte heiser auflachend

„Glaubt man bei den Teddyaugen gar nicht", gestand ich amüsiert.

Close To Heaven.Where stories live. Discover now