Du wurdest definitiv vermisst

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Das Gestüt auf welchem Onyx stand war pompös. Ich hatte nie zuvor ein so sauberes, strukturiertes und strenges Gestüt gesehen. Es glich einem klinisch reinen Ort, an welchem man sich nicht gerne aufhielt. Hier stand also Onyx. Ich sah wie Tommy aus der Stallgasse kam und direkt auf mich zu steuerte.

„Luna. Schön dich zu sehen. Hast du gut hergefunden?", wollte er wissen.

„Ja, alles super. Und bei dir? Wie macht sich Onyx?", entgegnete ich. Tommy runzelte die Stirn und seufzte

„Nicht so gut. Wir stehen auf der Stelle und er wird zunehmend aufmüpfiger im Training. Er hat auch schon nach einem Pfleger getreten. So wirklich weiß ich nicht, was in ihm vorgeht. Auch beißen tut er neuerdings", erklärte Tommy

„Wo ist er?", fragte ich verwundert.

„Komm, er ist momentan in der Box, weil die Wiesen nass sind. Zu gefährlich um ihn rauszulassen", meinte er und zeigte auf die Stallung

„Das ist schlau ihn drinnen zu behalten. Ansonsten kann man sich ganz schnell mal ein Bein brechen", stimmte ich auflachend zu und schüttelte in Gedanken den Kopf

„Wie kommst du da drauf?", erkundigte sich Tommy skeptisch

„King Star hat das gerade geschafft", berichtete ich die News von Zuhause. Tommy schüttelte den Kopf und sah nachdenklich zu mir runter

„Und was ist mit Lynn?", wollte er wissen

„Sie gibt jetzt erstmal alles, damit er wieder gesund wird", entgegnete ich. Wir gingen durch die lange, breite Stallgasse und ich sah von Box zu Box.

„Sind die alle hier im Training?", fragte ich Tommy.

„Ja, bedingt. Das ist der Stalltrakt mit allen Verkaufspferden", erwiderte er.

„Interessant. So viele Pferde?", hakte ich überrascht nach.

„Luna, hier stehen über 500 Pferde, ohne Fohlen. Die sind nicht alle zur Zucht und zum Training hier. Ein Gestüt gewinnt nicht am Behalten der Pferde", meinte er amüsiert. Ich musste anerkennen, dass er Recht hatte.

Bei Onyx Box angekommen, begrüßte der Grauschimmel mich mit lautem Wiehern und freudigem Schnauben

„Du wurdest definitiv vermisst", stellte Tommy amüsiert fest. Der Hengst hatte immer noch nicht an Masse zugenommen. Lediglich die Muskulatur wirkte definierter, als vor ein paar Wochen noch. Es fiel auf, wie sehr Onyx Tommy rumschubste, immer wieder nach ihm schnappte oder die Ohren anlegte. Irgendwas passte dem jungen Hengst gar nicht. Tommy sattelte, trenste und machte sich fertig, für sein Training. Beim Anlegen der Gamaschen zappelte Onyx so sehr, dass er fast Tommy trat. Auch das strenge Ermahnen von seinem Reiter, interessierte ihn herzlich wenig. Als es zu einer echt knappen Situation kam, in welcher die Vorderhand von Onyx haarscharf an Tommys Kopf vorbei flog, griff ich ein.

„Onyx!", schrie ich den jungen Hengst an, welcher vor Schreck einen Satz nach hinten machte und danach schnurstramm stand. Er sah sich mit großen Augen um und wagte es nicht einmal mehr, nach Tommy zu schnappen oder herumzualbern.

„Du musst dich Durchsetzen Tommy. Das raubt einem Zeit und Nerven, aber ansonsten sitzt du in einem halben Jahr auf einer 500kg Bombe, die jederzeit hochgehen kann. Erinnere dich mal daran wie mein Vater ums Leben kam und das war nur ein Missverständnis. Der setzt dich dann bewusst ins Hindernis", meinte ich und zeigte auf Onyx, der begonnen hatte auf seinem Gebiss herum zu kauen. Tommy nickte verstehend.

„Was willst du heute von ihm sehen?", erkundigte sich Tommy.

„Das was ihr immer macht. Er ist mit irgendwas so sehr unzufrieden, dass er so reagiert.", erwiderte ich

„Woher weißt du das jetzt schon?", wollte er verwundert wissen

„Ich hab Nightwish groß gezogen, da gab es noch viel größere Probleme", gab ich nur lachend von mir.

„Ernsthaft? Was zum Beispiel?", hakte er interessiert nach

„Eine Rechnung für zerstörte Gegenstände, darunter etliche Boxentüren, im 5-stelligen Bereich", entgegnete ich seufzend. Tommy musste amüsiert lachen und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Wer hat das bezahlt?", hinterfragte er

„Ich", kam es nur mit gerunzelter Stirn von mir.

Tommy trainierte Onyx in der Halle. Er ritt ihn erst warm, übte dann ein paar Mal den fliegenden Galoppwechsel und traute sich dann an die großen Hindernisse. Schon nach kurzer Zeit fiel mir auf, dass Onyx nicht bei der Sache war. Er wirkte abwesend und spulte einfach immer genau das Programm ab, was er konnte. Er war nicht lernbereit und das sorgte dafür, dass er einfach keine Fortschritte machte.

„Tommy?", rief ich ihm zu, als er im Trab durch die Halle ritt. Fragend sah er mich an und parierte durch.

„Steig ab, wir ändern den Plan", meinte ich und ging von der Tribüne runter, um in die Reitbahn zu gelangen. Ich gab Tommy eine Longe und beauftragte ihn, Onyx im Kreis um sich herum laufen zu lassen, währenddessen ich ein paar Sachen im Parcours umbaute. Ich nahm von allen Hindernissen die Stangen herunter, außer von der Dreier-Kombination an der langen Seite. Dann gesellte ich mich zu Tommy in die Mitte.

„Schau dir seine Augen an. Er guckt einfach geradeaus, das Maul hält er still.", beschrieb ich Onyx Kopf. Tommy nickte. Es war ungewohnt von ihm von jüngeren Menschen zu lernen.

„Sein Maul ist auch angespannt", stellte er fest.

„Genau. Gut erkannt. Du machst gleich den Sattel ab, legst ihn dahinten über den Ständer des Hindernisses. Genauso die Zügel. Trense kannst du dranlassen.", wies ich ihn ein und nahm ihn die Longe ab. Onyx stand neben mir und ließ alles über sich ergehen. Als das Sattelzeug ab war und ich mit ihm durch die Halle ging, sodass er sich alles anschauen konnte, wurde er aufmerksamer. Aus der Ecke an der Bande holte ich eine Peitsche und ging wieder zu Tommy. Ich löste die Longe und ließ den Grauschimmel laufen. Dann gab ich Tommy die Peitsche und nickte ihm aufmunternd zu.

„Schick ihn auf den Hufschlag und dann die lange Seite entlang.", ordnete ich an. Tommy tat es und Onyx taute auf. Er spitzte die Ohren, die Körperhaltung änderte sich und neugierig sah er sich um. Er übersprang übermütig die Dreier-Kombination und schnaubte im donnernden Galopp zufrieden ab.

„Der braucht Abwechslung in seinem Leben. Er muss Spaß haben am höher Springen, Beziehungsweise sich sicher sein, dass er es kann", erklärte ich, als Onyx ausgepowert durch die Halle ging und sich mit einer Art Grunzen zufrieden im Sand wälzte.

„Keins der Pferde von Peter war bis jetzt einfach, aber er toppt alles", gestand Tommy erleichtert ausatmend, als er sah wie entspannt Onyx auf uns zu kam und sich streicheln ließ, ohne direkt nach uns zu schnappen.

Close To Heaven.Where stories live. Discover now