Trapalanda

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Ich ging leicht seufzend durch die Stallgasse und sah von Box zu Box. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Das Reitzentrum stand zur Hälfte unter Quarantäne. Da wir uns an die strengen Hygienevorschriften hielten, alle gesunden Pferden geimpft hatten und die kranken Tiere streng von den anderen trennten, wurde der Hof nicht komplett von der Außenwelt abgeschottet. Jedoch galt auf dem gesamten Gelände Leinenpflicht für die Hunde und eine Weidesperre wurde verhängt. Nur noch die Paddocks durften für den Auslauf unter freiem Himmel genutzt werden. Der größte Teil der tragenden Stuten, wenn sie nicht infiziert waren, hatten auf den Nachbarhof gewechselt. Es war ein tägliches Leben aus Kämpfen und Sterben entstanden. Eine schwierige Kombination.

Wie ich hier durch den Stalltrakt ging und sah, wie alle Boxentüren weit offen Standen und nur die dünnen Stricke die Pferde zurückhielten, ließ sich das Ausmaß der Seuche erkennen. Die meisten der erkrankten Pferde waren normalerweise hibbelig und standen permanent unter Strom, doch das Bild, das sich hier bot, ließ einen erschrecken. Viele Pferde waren so erschöpft, dass sie in ihren Boxen lagen. Einige mussten sogar auf der Seite liegen und den Kopf auf dem Beton der Stallgasse liegen haben, damit sie durch eine Spritze in der Halsvene mit notwendigen Medikamenten versorgt werden konnten. Sie hingen permanent am Tropf und ich schüttelte nur den Kopf, als ich sie mit geschlossenen Augen, schwach atmend dort liegen sah. Das, was die Pferde hier die ganze Zeit erlebten, war ein Gleichgewicht aus Sterben und Sterben lassen. Sie selbst kämpften um jeden einzelnen Atemzug und bekamen in einigen Metern Entfernung mit, wie einer ihrer Weidefreunde starb. Dieser Stalltrakt hatte sich in ein Hospiz verwandelt. Lynn, Daniel, Jason, Mom, Peter und ich. Wir alle litten darunter. Wir alle, genauso wie die ganzen Einsteller und deren Familien. Außer uns und den Tierärzten, hatte niemand Zutritt zu diesem Stalltrakt. Einmal am Tag für eine Stunde durften die Einsteller ihre Pferde besuchen, damit nicht zu viel Hektik entstand. Hier, in diesem Teil des Stalls lief die ganze Zeit leise das Radio, doch wir Menschen unterhielten uns kaum. Jeder ging alleine mit der Situation um.

Ich stand in mitten der Stallgasse und sah zu den beiden großen halbrunden Türen, welche geschlossen waren und hinter welchen sich normalerweise die große Welt versteckte. In der momentanen Zeit standen dort nur einige Pferdeanhänger, welche darauf warteten die entkräfteten Tiere wegzufahren. Über dieser Tür hing ein großer Schriftzug. Ein Geschenk einer Pferdezeitschrift, welche über das Drama in Kanadas Reitställen berichtete. Jeden Tag starrte ich mehrmals dort oben hin

‚Trapalanda – the most beautiful word that every equestrian hates to face'

Trapalanda. Der Ort, an welchen verloren Pferde gehen. Ein Ort für alle die Pferde, die ihren Kampf gegen diese hartnäckige Krankheit verloren. Ein Ort, an welchen vor einigen Tag auch Schmiddi gegangen war. Ein Ort, an welchen auch Lady bald gehen würde. Ich sah die Stallgasse entlang. Zwölf Boxen lagen hier nebeneinander und beherbergten schwer kranke Pferde. Sie alle würden wohl bald alle nach Trapalanda gehen, denn bis jetzt hatten es nur zwei Pferde lebend aus diesem Stalltrakt seit Beginn der Plage geschafft. Nur zwei.

So sehr der Gedanke schmerzte, diese zwölf Pferde wohl auch noch zu verlieren, so sehr erleichterte es mich auch zu wissen, dass der Rest der Tiere hier auf dem Gelände gesund geworden war. Diese zwölf waren die letzten kranken Pferde. Lynn durfte sogar schon wieder auf Turnieren mit Roccostrado starten, weil er auf einem anderen Hof aktuell untergebracht war. Genauso auch Daniel und Nevados. Sie lebten momentan bei den Nachbarn deswegen. Auch das Weideverbot wurde aufgehoben. Es war nur noch dieses kleine Hospiz übrig, von der Plage der letzten Woche, doch es war immer noch zu viel.

Ich ging zu der letzten Box auf der linken Seite. Als ich die Metallstange in der Hand hielt, um die Boxentür zu öffnen, hielt ich kurz inne und sah über meine Schulter. Gegenüber war bis vor drei Tagen noch Schmiddi gewesen. Jetzt stand dort ein junger Rappe, gerade einmal 2 Jahre alt. Er hatte der Stallgasse den Hintern zu gedreht und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. Warum wir alle Pferde nicht einfach einschläferten? Weil es einerseits nicht erlaubt ist in so großer Anzahl Tiere aus einer Stallung einzuschläfern, da es als mutwillig anerkannt werden würde und andererseits, weil es immer noch Hoffnung gab. In anderen Ställen waren einige Pferde wieder gesund geworden. Bei uns auch, aber diese hier würden es nicht mehr werden.

Ich öffnete die Boxentür zu Ladys Box und schob betrat die, mit Stroh ausgelegte Box. Die zierliche Stute lag im Stroh, den Hals lang nach vorne gestreckt. Sie sah zu mir hoch und schnaubte leise. Kopfschüttelnd seufzte ich und sah auf das Pferd, welches schwach im Heu lag. Durch das Fenster in der Stallwand, fiel die Wintersonne in Ladys Box. Die Sonnenstrahlen lagen auf ihrem Rücken und als ich über das Fell strich, spürte ich die Wärme der Sonne. Lady schien die Wärme richtig zu genießen. Als ich prüfend über ihren Hals strich, spürte ich wie kalt sie war.

„Jason?", rief ich die Stallgasse entlang und sah den braunhaarigen abwartend an. Fragend sah er mich, mit einem Halfter in der Hand, an.

„Kannst du mir eine von den Pferdedecken bringen? Eine aus Fleece am besten", bat ich ihn und verschwand wieder in Ladys Box. Die Stute war komplett entkräftet und schien nicht mehr richtig bei uns zu sein. Ihre Augen hielt sie geschlossen, lediglich ihre Ohren zuckten ab und zu in die Richtung, aus welcher Geräusche kamen. Pferde waren Fluchttiere und mit der Ruhe dieser Stallung, konnten wir ihnen das Gefühl der Sicherheit geben. Dadurch lagen sie friedlich im Stroh und bekamen keine Panik.

Jason stand von der Box, mit einer Decke in der Hand und sah mich distanziert an. Abwartend hielt er mir die Decke hin und ich nahm sie ihm ab. Vorsichtig entfaltete ich sie und legte sie über Lady, welche nur zufrieden schnaubte.

„Das sieht nicht gut aus", stellte Jason fest, als er die junge Stute betrachtete. Ich schüttelte nur den Kopf und ließ mich an der Zwischenwand zu der Nachbarbox runter rutschen, um mich anschließend in das Stroh zu setzen. Ich atmete tief ein und strich über die Nüstern von Lady.

„Sag den anderen Bescheid", meinte ich nur und wandte meinen Blick nicht von der Stute. Ich hörte, wie Jasons Schritte sich entfernten und hörte nicht auf, die Stute zu streicheln. Vor fünf Tagen hat sie ihr Fohlen tot geboren. Jetzt war scheinbar ihre Zeit gekommen.

„Was ist mit ihr?", hörte ich auf einmal Peters Stimme und sah in Richtung Stallgasse. Er stand gegen die Boxentür gelehnt und sah mit verschränkten Armen auf das große Pferd.

„Das sieht's du doch selbst", ertönte die Stimme meiner Schwester, welche zu mir in die Box kam und sich neben Lady kniete. Sie ist die Stute Anfang des Jahres sogar noch geritten. Peter schüttelte fassungslos den Kopf

„Immer die talentiertesten. Immer die, mit dem stärksten Charakter. Erst Schmiddi, jetzt noch die Prinzessin", kam es murmelnd von ihm und er verzog missmutig das Gesicht, „lasst sie gehen"

Er machte kehrt und verschwand. Lynn atmete hörbar ein und musterte die Stute lange.

„Du musst dir das nicht angucken", meinte ich zu ihr

„DU musst das nicht alleine durchstehen", entgegnete sie. Ich nickte nur und richtete mich auf. Vorsichtig stapfte ich durch das Stroh, nahm die große Decke, welche an der Boxentür hing und ging zurück zu Lynn. Gemeinsam breiteten wir die Decke aus, legten sie über das gesamte Pferd, bis man nur noch den Kopf sah. Ich sagte nichts, wuschelte nur durch den dünnen Schopf von Lady und verließ mit Lynn die Box. Wir schlossen die Tür und ich wischte mit meiner Hand über das Schild an der Boxentür, auf welchem Lady stand. Als der Schriftzug weg war, griff ich zur Kreide und schrieb in Großbuchstaben etwas Neues rauf. Ein einfaches Wort, welches aber alle Beteiligten in diesem Stalltrakt verstanden.

‚Trapalanda'

Close To Heaven.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt