Du kannst mich nicht auf ewig hassen

605 42 1
                                    

Es dämmerte bereits, als ich das Haus verließ und den Reißverschluss meiner dicken Winterjacke bis nach ganz oben zuzog. Leicht zitternd versteckte ich meine Hände in den Jackentaschen und ging den Weg in Richtung Stallungen entlang. Ich sah den Atem in der kalten Winterluft und roch die Mischung aus Pferd, meinem Parfüm und Dreck. Der vertraute Geruch meiner Jacke, welche ich immer im Stall trug. Ein Glück würden Mom und Peter nächstes Jahr im Februar in Florida heiraten und nicht hier. Das hier war mir definitiv zu kalt für Kleid und hohe Schuhe.

Als ich bei der Stallung ankam, erblickte ich den Geländewagen von Peter mit dem Pferdeanhänger hinten dran hängen, wessen Rampe bereits runter geklappt war. Peter verstaute Sattelzeug im vorderen Teil des Anhängers und lächelte mir glücklich zu, als er mich erblickte. Ich erwiderte sein Lächeln und betrat die Stallung. Mom hatte mitten auf der Stallgasse Rocky Rubin angebunden. Weiter hinten erblickte ich Lynn mit Roccostrado

„Ihr nehmt beide mit?", fragte ich verwundert. Mom nickte

„Ja, Rocky ist die Turnierbegleitung für Rocco", erklärte sie und klopfte liebevoll den Hals des Schimmels. Ich strich über die Nüstern des 18 jährigen Pferdes und setzte meinen Weg fort. Bei Lynn angekommen, kraulte ich die Stirn von Roccostrado und sah ihr dabei zu, wie sie die Decke des Schimmels befestigte.

„Na, schon aufgeregt?", wollte ich wissen. Lynn sah mich breit grinsend an und schüttelte den Kopf

„Ehrlich gesagt nein, er kann es ja", erwiderte sie amüsiert. Ich lachte leicht auf und sah aus dem Augenwinkel, wie sich Daniel zu uns gesellte.

„Bist du gleich fertig?", erkundigte er sich bei seiner Freundin. Lynn nickte und betrachtete Rocco. Seine Mähne war eingeflochten, dass Fell seidig und glänzend.

„Ja, doch. Wir können los", meinte sie und band Rocco los. Sie kam auf mich zu und nahm mich in die Arme

„Wünsch mir Glück", gab sie euphorisch von sich

„Viel Glück, auch wenn ihr das nicht braucht", entgegnete ich und sah sie stolz an, „ihr packt das so oder so"

„Bis in einer Woche!", rief Peter mir vom Eingang der Stallung zu.

„Ja! Bis dann!", erwiderte ich und sah den vieren leicht seufzend hinter her. Eine Woche lang würde ich jetzt also alleine mit Jason das Reitzentrum leiten müssen. Eine grauenhafte Aufgabe. Nicht wegen der Arbeit, sondern weil ich mit Jason zusammenarbeiten müsste.

Ich machte mich daran auf dem Plan an der Sattelkammer nachzusehen, welche Pferde sich noch draußen auf den Weiden befanden. Während ich versuchte mir die Namen einzuprägen, hörte ich mir vertraute Schritte.

„Ich hole die zwei Stuten und die Gruppe um Lucky Strike rein. Du holst den Rest", kam es monoton von mir. Ich hörte das genervte Stöhnen von Jason, doch ignorierte es.

„Muss das sein? Ich muss auch noch Heu holen mit dem Trecker", entgegnete er. Ich ging unbeeindruckt in die Futterkammer, um mich mit Karotten zu bewaffnen. Auf dem Weg zu den Weiden kam ich wieder an ihm vorbei, da er sich jetzt wohl die Namen einprägen musste. Grob drückte ich ihm eine Handvoll Leckerlies in die Hand und ging in Richtung Ausgang der Stallung.

„Du willst doch schließlich auf Feierabend haben", gab ich noch von mir und trat raus in die Dämmerung. Die Weiden waren mit Schnee bedeckt und alle Pferde trugen dicke und warme Decken. Ich holte als erstes Lucky Strike, Nevados, Schmiddi und Peter Pan rein und brachte sie in ihre Boxen. Wie immer tauschte ich die nassen Decken gegen trockene und warme. Dann machte ich mich daran, die beiden tragenden Stuten Cara und Dunia reinzuholen, welche beide ein Fohlen Johnnys in sich trugen. Ein Stück Zukunft. Beide brachte ich ebenfalls in ihre Boxen und machte mich dann daran, den Futterplan zu studieren. Jason fütterte Heu in allen Boxen, ich hielt mich an die Futterpläne für Hafer, Müsli und Obst, welches jeden Tag für die Pferde neu gemischt wurde. Mit der großen Schubkarre fuhr ich von Boxentür zu Boxentür und sah kurz nach, ob alles in Ordnung war. Den tragenden Stuten brachte ich eine extra Mischung aus Müsli und Kraftfutter, welches noch leicht warm war. Sie liebten es. King Star bekam ebenfalls eine spezielle Mischung aus Müsli und Medikamenten, damit er langsam wieder zu seinen alten Kräften kam. Seine Verletzung hatte ihn komplett  entkräftet und zu einem komplett anderen Pferd gemacht.

Am Ende der Fütterung kehrte ich zurück in die Futterkammer, brachte die Schubkarre weg und entdeckte eine Trense, welche über einer Kiste hing. Genervt seufzend nahm ich sie, schaltete das Licht in der Futterkammer aus und ging rüber zur Sattelkammer, um sie dorthin zu bringen, wo sie hingehörte. In der Sattelkammer traf ich auf Jason. Er hatte die Tür nach draußen geöffnet, um einen Sattelschrank hinein zu rollen. Ich roch die Mischung aus Kälte und altem Leder und es fühlte sich vertraut und geborgen an. Dann fiel mein Blick auf Jason, wie er den leeren Sattelschrank in die Ecke schob.

„Das Schild kannst du gleich abmachen", meinte ich und deutete auf das Namensschild hin, auf welchem Harmony stand

„Deine Mutter wird es sicher behalten wollen", entgegnete er monoton

„Ja, aber nicht an einem Sattelschrank sehen wollen", konterte ich und erblickte dann einen weiteren Sattelschrank neben dem von Harmony. Auf ihm stand Nightwish und ich ging geradewegs daraufhin zu. Kommentarlos nahm ich Jason den Schraubenschlüssel aus der Hand, schraubte das Metallschild ab und gab Jason den Schraubenschlüssel zurück. Leise seufzend öffnete ich den Schrank und erblickte den verstaubten Ledersattel meines Pferdes. Vorsichtig strich ich über das glatte und weiche Leder der Sattelfläche und sah, wie meine Finger den Staub wegwischten und drei Striche hinterließen. An der Innenwand des Schrankes hing seine Trense. Darunter sein Lederhalfter. Auf der Innenseite der Tür waren Bilder von ihm und einige Schleifen, die er in jungen Jahren gewonnen hatte. Ich schüttelte in Gedanken den Kopf und schloss den Schrank wieder

„Du vermisst ihn noch immer", stellte Jason fest. Ich sah ihn finster an und zuckte nur mit den Schultern. Dann drehte ich mich um, um die Sattelkammer zu verlassen.

„Du kannst mich nicht auf ewig hassen", kam es auf einmal von ihm. Ich drehte mich um, sah ihn gekünstelt lächelnd an und schüttelte den Kopf.

„Was ich kann, hat dich nicht zu interessieren", entgegnete ich. Ich sah wie Jasons Augen leicht zuckten, doch ich ignorierte es. Zu sehr hatte er mich verletzt.

„Fährst du heute Abend zu Jeanny?", wollte ich noch wissen. Jason reagierte nicht und sah nur auf den Boden

„Fährst du heute Abend zu Jeanny?", wiederholte ich mich nun ein wenig netter.

„Ja, warum?", erwiderte er seufzend

„Kannst du mich in Jasper rauslassen?", fragte ich ihn und wartete auf eine Reaktion. „Bitte", setzte ich noch nach.

„Ja, geht klar", murmelte er nur und machte sich wieder an Harmonys Schrank zu schaffen.

Close To Heaven.Where stories live. Discover now