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Liebeskummer ist eine merkwürdige Sache. In so gut wie jedem Buch kommt es vor und bis heute habe ich keins gefunden, in dem es gerecht beschrieben wurde. Vielleicht geht das auch gar nicht, da jeder anders leidet. Oder es gibt keine angereihten Wörter, die es haargenau beschreiben können.

Ein paar Leidende bleiben nur Tage im Bett mit Eis und danach geht es ihnen besser. Andere machen so weiter wie zuvor und irgendwann sind sie über den Damm. Aber es gibt auch Mädchen, die wochenlang leiden und das ohne Aussicht auf "Heilung".

Sie hören auf zu essen und zu schlafen. Denken nur an die Person, die ihr Herz gebrochen hat und weinen. Sie weinen viel. Sehr viel, bis nur noch Leere in ihnen ist.

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Schon vor meinem Liebeskummer hatte ich seelische Probleme. Ich würde behaupten, es sei kein Wunder, wenn man aus meiner Familie stammt. Milky fing an durch die ganze Weltbevölkerung zu schlafen und ich weniger zu essen und zu schlafen. Öfters zusammengerollt im Bett zu liegen und Selbstmitleid zu schieben. Aber alles noch in einem Bereich, der zwar aufsehenerregend war aber nichts, was sorgen bereiten sollte.

Und dann geschah es. Urplötzlich bekam ich, Liv, einen Freund und meine Welt war wieder bunt. Bis sie wieder trüb wurde und ich traurig allein zurückkehrte. Einsamer als zuvor.
Seit dem ist genügend Zeit vergangen, aber trotzdem bin ich stehen geblieben und sehe keine Brücke, um über den See zu gelangen.

Trotzdem stehe ich morgens auf und begrüße meinen Stiefbruder, der mich gleichzeitig an das Gute und das Schlechte in meiner Welt erinnert.

Mein Exfreund hat mich dazu gebracht, mich bei Tumblr anzumelden. Zwar nicht wissentlich, aber er war der Auslöser. Eine Woche bin ich nicht zur Arbeit gegangen und in dieser Zeit hatte ich viel zu viel Freizeit. Somit bin ich im Playstore gelandet und kurze Zeit später bei Tumblr.

Also, vielleicht hat mein Schmerz in der Brust was Gutes, weil ich sonst nie den Post gelesen hätte, von welchem ich mir einen Screenshot gemacht habe und ihn 100 Mal durchlese.

Sehr geehrte Tumblr Nutzer,

ich bin schon eine zeitlang hier unterwegs und habe schon einiges gesehen und gelesen. Erschreckend, wie viele depressive Menschen auf einem Fleck sind und nun ja, ich versteh euch.

"Liv, du hast einen Kunden", ertönt es und ich schrecke auf.

Wahrhaftig ist in dem kleinen und süßen Café, wo ich arbeite, eine ältere Dame eingetreten. Sie ist die erste Kundin für heute. Kein Wunder, wir haben ja auch erst seit ein paar Minuten geöffnet.

Die ergraute Frau setzt sich an den Tisch, der ganz links steht. Sie holt ein Buch raus, das sie sofort in den Bann zieht. Um die jetzige Uhrzeit ist das Café ziemlich ruhig und man kann hier bestimmt gut abschalten. Mein Arbeitsplatz ist sehr gemütlich eingerichtet.

Fünf Tische sind im Zimmer verteilt, so weit entfernt, dass es nicht aufdringlich ist aber auch nicht weit weg genug, dass man seine vollkommene Ruhe hat.

Von dem Tresen, wo ich mich zurzeit befinde, kann man allmögliche Gespräche mitverfolgen. Natürlich immer total unauffällig, sodass niemand bemerkt, dass ich lausche.

Meine Chefin, die mich vor einer Sekunde gerügt hat, kommt aus dem Vorratszimmer heraus und lächelt mich süßhaft an. Sie ist die toleranteste, barmherzigste, netteste und offenste Person, die ich je kennengelernt habe. Elexis ist sowas wie meine Mutter, obwohl sie nur ein paar Jahre älter ist als ich. Dafür aber viel erfolgreicher. Wer kann schon behaupten in Köln, in der City, Ladenbesitzer eines erfolgreichen Geschäftes zu sein, welches wirklich läuft. Ich habe ein paar Tage bei der Buchhaltung geholfen und war beeindruckt, was ich jetzt immer noch bin.

Ich stecke mein Handy in die Hosentasche, streiche meine Schürze glatt und gehe zur älteren Dame.

"Was kann ich Ihnen bringen?", frage ich freundlich, wie ich es in meiner Ausbildung gelernt hatte.

Wie in Trance antwortet sie mir: "Einen Cappuccino und einen Blaubeermuffin, bitte"

"Kommt sofort", murmel ich, wobei das unnötig ist, da sie mich gar nicht beachtet.

Hätte sie ein Handy in der Hand, würde es mich stören und es als unhöflich abstempeln. Aber ich weiß, wie es ist in ein Buch und somit in die Geschehnisse einzutauchen. In eine ganz andere Welt, wodurch man alles um sich herum vergisst und nicht weiß, wo man gerade ist. Leider kann ich nicht erkennen, was für ein Buch sie liest, da der Titel vollkommen abgedeckt ist.

Zurück am Tresen bereite ich den Cappuccino zu, währenddessen lege ich den gewünschten Muffen auf ein Teller.

"Was macht dein Brüderchen so?", fragt Elexis, die mich bei der Arbeit beobachtet, was mich irgendwie nervös macht. Die Angst steigt dabei, dass ich etwas Falsches mache und mich tollpatschig anstelle. Was ich sehr gut kann, mich tollpatschig anstellen.

"Milky macht das Übliche. Studieren, aber hauptsächlich auf Partys gehen und Frauen aufreißen", seufze ich.

Es ist ein offenes Geheimnis zwischen uns, dass sie einen Blick auf meinen Bruder geworfen hat. Zwar haben wir noch nicht darüber gesprochen, doch versuche ich ihr klar zu machen, dass sie die Finger von ihm lassen soll. Um ihres Herzens Willen und unser gutes Verhältnis, was sonst in Brüche gehen könnte.

Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob Milky Elexis wahrgenommen hat. Obwohl, sie sein Typ wäre. Blondes gelocktes Haar, grüne Augen und groß. Alles was sein Herz begehrt und deswegen muss ich meine Ersatzmutter schützen.

"Er hat so viel Spaß und du bleibst dauernd zu Hause, statt auf Partys zu gehen und zu tanzen. Milky würde dich bestimmt auf Partys mitnehmen, wenn du ihn darum bittest. Liv, du musst endlich wieder anfangen, dein Leben zu leben.", hält sie mir ihre wöchentliche Predigt.

Einmal in der Woche hält sie mir ihre "Du bist nur einmal jung, also lebe"-Predigt. Und was soll ich dazu sagen? Irgendwie hat sie recht. Aber ich fühle mich nicht bereit dazu, vor die Haustür zu gehen und was zu erleben. Ich kann es einfach noch nicht. Die Welt ist so groß, ich so klein und niemand der mir den Weg zeigt.

Um nicht antworten zu müssen, bringe ich der Kundin ihre Wünsche und hoffe, dass Elexis aufgibt und irgendwas anderes zu tun hat. Aber sie wartet bitterlich auf mich.

Seufzend stelle ich mich ihr gegenüber.

"Du weißt die Gründe, warum ich es nicht will und jede Woche mich überreden zu wollen, bringt rein gar nichts. Ich verstehe, dass du nur Gutes für mich willst und deswegen bitte ich dich, lasse mich damit in Ruhe"

Wie ein feiges Huhn flüchte ich in den Vorratsraum und lasse mich dort zu Boden sinken. Es sticht in meinem Herzen und Schuldgefühle breiten sich aus, weil ich Elexis so angefahren habe. Und tief in mir drin, weiß ich, dass sie recht hat, irgendwie. Ich kann nicht für immer Markus hinterher trauern und mich vor der ganzen Weltbevölkerung verstecken.

Aber es ist so schwer sich auszugraben, wenn man meilenweit unter der Erde begraben wurde.

Balsam für meine Seeleحيث تعيش القصص. اكتشف الآن