28.

154 14 13
                                    

Der Alkohol vernebelt meine Gedanken. Alles ist trüb und ich denke nicht mehr an das, was ich vorhin gedacht habe. Denn ich bin völlig auf meine Übelkeit konzentriert.

Darauf erstmal einen Schluck!

Das Gesöff rinnt mir die Kehle herunter und ich spüre nicht mal mehr, wie es brennt. Es ist mehr ein Kitzeln.

Laut kicher ich.
Ein Vogel ist am Fenster vorbei geflogen und dabei fast dagegen. Hihi.

Auf dem Stuhl wippe ich hin und her, aber darauf bedacht, dass bloß die Flasche heil bleibt. Wenn die jetzt kaputt geht, wäre es zu schade. Dann müsste ich wieder weinen und weinen macht keinen Spaß. Lachen ist viel cooler, aber ein echtes Lachen ist viel seltener. Das ist traurig. Das macht mich traurig. Schnell noch einen Schluck. Scheiß auf die Übelkeit, die ist eh nur vom Essen.

Es klingelt an der Tür. Jetzt nicht mehr. Oh, jetzt wieder. Trotzdem bleibe ich sitzen. Warum macht die Person denn nicht die Tür auf?

Fast falle ich vom Stuhl, als mein Handy vor mir klingelt. Seit wann ist das denn auf laut gestellt? Pfff, auch egal.

"Hiiii. Olivia hier. Alles fit im Schritt?", lache ich und rülpse danach. Urgh, das war jetzt aber nicht Ladylike.

"Hier ist Sebastian. Machst du mir die Tür auf?", fragt er.

"Aber klaro, wenn du es bist, warum auch nicht, Bro."

Kichernd stehe ich auf und muss mich am Tisch festhalten, um nicht umzukippen. Irgendwie, keine Ahnung wie, schaffe ich es torkelnd zur Tür.

Sebastian sieht mich verwundert an und ich weiß nicht wieso. Vielleicht liegt es an dem Alkohol in meiner Hand.

"Was ist passiert?", fragt er und macht hinter sich die Tür zu und zieht mich in die Küche.

"Will nicht drüber reden", nuschel ich und trinke noch einen Schluck.

Er nimmt mir die Flasche weg. Mit großen Augen starre ich ihn an.

"Du hast genug", meint er nur und stellt mir ein Glas Wasser auf den Tisch und drückt mich auf den Stuhl. Automatisch kippel ich wieder.

"Na komm. Sage mir, was passiert ist, Liv"

Eigentlich will ich trotzig sein, aber die Worte kommen mir nur so über die Lippen.

"Milky hat eine Schwester. Sie ist nach hier gekommen. Ihre Mutter auch. Also auch Milkys Mama. Dann hat diese schickimicki Hazel erzählt, dass Milky zu ihnen ziehen wird. Nach Aachen und ich bin hier alleine. Keiner liebt mich und deswegen will ich trinken. Meinem Stiefvater hat es ja auch geholfen. Aber mir ist schon schlecht, aber ich glaube das ist normal"

Sebastian schüttelt den Kopf und kurz darauf kippt er den Alkohol in den Abfluss.

Jede Sekunde wird mir flauer im Magen, aber das ignoriere ich und beobachte diesen hübschen Mann neben mir.

"Alkohol sollte für so etwas nicht missbraucht werden. Egal, wie schlecht es einem geht, das sollte das letzte sein, was man macht. Trink das Wasser, damit es dir besser geht"

Plötzlich ist mir nicht mehr danach, zu provozieren oder töricht zu sein. Ich möchte, dass man sich um mich sorgt.

"Warum mache ich immer nur scheiße?", frage ich. "Immer mache ich alles falsch. Sogar meine eigenen Versprechen breche ich. Nie wollte ich Alkohol trinken, wegen Twix, und jetzt das"

Mein Hoch verschwindet und die Tränen laufen wieder. Das ist erbärmlich.

"Nicht Schatz. Ich verspreche, es wird alles gut werden. Jedem passiert mal ein Fehler und das ist nicht schlimm. Dir ist der Fehler sogar bewusst, das ist etwas Gutes."

Weiterhin schluchze ich und mein Magen fährt weiterhin Achterbahn. Auch wird mir schwindelig.

"Mir ist nicht gut", sage ich.

"Ohje. Ähm, lass uns ins Bad gehen."

Er stützt mich und im Bad setze ich mich augenblicklich auf den Boden neben der Toilette. Sebastian gesellt sich neben mich.

Lange Zeit passiert nichts, bis die Übelkeit gewinnt und ich mich übergebe. Ich eckel mich vor mir selbst wegen verschiedenen Dingen. Nicht nur, weil mein Mageninhalt in der Kanalisation verschwindet, sondern wie tief ich gesunken bin.
Sebastian hält mir still die Haare hoch und streicht mir sanft über den Rücken. Diese Geste verursacht mir Gänsehaut.

Nach einiger Zeit ist es vorbei und ich lehne mich verschwitzt zurück.

"Ich habe Angst, dass mich jeder nach der Zeit verlässt und aus Schutz dränge ich jeden von mir weg, oder bin selbstzerstörerisch und verschwinde selber", gestehe ich. "Das mit Milky, er ist die einzige Person, die ich wahrhaftig geliebt habe und mich bedingungslos zurück liebte. Und ein Leben ohne ihn, da bekomme ich Panik. Wir waren noch nie voneinander getrennt und jetzt kommt das aus dem Nichts. Es ist so, als würde er mich nicht mehr haben wollen und dieses Gefühl hatte ich schon mein ganzes Leben lang vermittelt bekommen. Ich habe Angst. Auch dass du irgendwann gehen wirst und ich Schuld bin, weil ich es immer bin"

Weil ich mir sicher bin, dass da nichts mehr aus meinem Magen raus kommen kann, stehe ich auf und putze mir die Zähne. Schützend stellt sich Sebastian neben mich, bereit mich aufzufangen, falls ich falle.

"Vielleicht ist das jetzt nicht passend, aber du solltest dir professionelle Hilfe suchen. Nicht zwingend einen Arzt, es gibt auch genügend seriöse Internetseiten, die Hilfe anbieten und reden hilft. Ich helfe dir, aber ich habe nicht die Mittel und Erfahrung wie sie. Ich bin für dich da und werde bleiben und zurückkommen, wenn du mich von dir weg drückst. Und jetzt solltest du eine Runde schlafen"

Kurzerhand nimmt er mich hoch, als ich fertig bin, und trägt mich in mein Zimmer. Meine Wangen müssen tierisch glühen.

Vorsichtig setzt er mich im Bett ab, aber ich lasse sein Oberteil nicht los, sodass er sich zwingendermaßen neben mich setzt.

"Ich bin dir unendlich dankbar", flüstere ich.

Sebastian lächelt mich an und glatt fühle ich mich besser.

"Schläfst du mit mir?", frage ich. "Ich meine bei mir. Irgendwann schlafen wir vielleicht miteinander, aber nicht jetzt. Oh man. Alkohol ist komisch"

Als Antwort zieht er sich die Schuhe, das Oberteil aus und legt sich neben mich. Prompt schmiege ich mich an ihn und fühle mich wohl, als würde das hier perfekt sein. Davon abgesehen, dass ich noch betrunken bin.

Mein Gesicht drehe ich zu ihm, sodass meine Stirn an seinem Kinn ist.

"Das ist schön", sagen wir wie aus einem Mund und Lachen.

"Ich würde jetzt gerne etwas machen, aber es wäre zu schade, wenn du dich später nicht mehr daran erinnerst. Und in allem würde es sich verfälschen. Aber trotzdem würde ich es gerne machen, weiß aber nicht so recht."

Keine Ahnung, was er da sagt. Das sprengt meine Aufnahmekapazitäten. Noch mehr krieche ich an ihn ran. Ungeniert liege ich halb auf ihm drauf und atme seinen Duft ein.

Für ein paar Stunden wird meine Welt rund sein und nicht gewellt.

Und das nur seinetwegen.

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now