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Eine Wohnung in Köln zu bekommen ist ziemlich schwer, wenn man von den Preisen mal absieht. Aber Milky und ich mussten von Zuhause ausziehen und am besten soweit weg wie nur möglich. Also sind wir aus einem Dorf in die Stadt gezogen. Urplötzlich waren wir weg und in Sicherheit. Wir schuften um uns über Wasser zu halten. Milky studierte zur der Zeit auch schon und hat sich einen Halbtagsjob gesucht, womit er uns zu Anfang das Leben rettete. Und durch ein Wunder bekam ich die Ausbildungsstelle bei Elexis und eine unserer größten Nöte, das Geld, hat sich verbessert.

Es ist schon über drei Jahre her, dass wir abgehauen sind. Ich war knapp 18, sodass unsere Eltern uns nicht hätten aufhalten können, wenn sie es dann vorhatten zu tun. Milky und ich wollten schon vorher weg, aber er wollte nicht, dass ich irgendwo in einer Pflegefamilie unterkomme. Deswegen warteten wir bis ich volljährig wurde und sind dann abgehauen. Nur mit hundert Euro in der Tasche und keine Ahnung, wie wir das Leben beschreiten sollten.

Es war eine harte Zeit, aber wir haben es geschafft.

Gemeinsam.

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Es ist eine blöde Angewohnheit durch die Wohnung zu laufen, wenn man nichts zu tun hat. Vor allem, weil unsere Wohnung nicht die Größte ist. Wenn man durch die Haustür tritt, ist links das Wohnzimmer. Dort drin befindet sich ein Sofa, Fernseher und ein Tisch. Eine Lampe an der Decke haben wir uns auch angelegt. Alles in grautönen gehalten, weil wir uns für nichts anderes entscheiden konnten.

Gegenüber ist das Badezimmer. Ein ganz stinknormales. Wenn man weiter durch den Flur geht, kommt man rechts zur Küche. Die Einbauküche gehörte unserem Vormieter. Ansonsten ein kleiner Tisch, wo ich heute noch mit Milky gesessen habe, mit drei Stühlen.

Wir beide haben uns dazu entschieden, keine unnötige Deko zu kaufen die uns beiden nicht gefällt. In unserem Zimmer können wir dann das machen, was wir wollen. Und alles soll so offen wie möglich gestaltet sein, einladend und nicht düster. Wir haben schon genug Düsterheit hinter uns.

Neben der Gästetoilette ist Milkys Zimmer. Und ohne herein zu gehen, weiß ich, dass alles aufgeräumt ist. Ihm kann man vieles vorwerfen, aber nicht, dass er unordentlich ist. Alles steht bei ihm an Ort und Stelle. Keine Kleidung auf dem Boden oder auf einem Stuhl. Und dann kommt mein Zimmer.

Ein großes Bett, Holzschrank, Bücherregal und eine große Collage mit Bildern von mir und Milky. Das wars. Ich habe keine Habseligkeiten von Zuhause mitgenommen, nur meine Kleidung. Alles wollte ich zurücklassen und das tat ich. Mein Zimmer sieht so aus, als wäre ich nur zur Durchreise da. Milky hat so viele Kleinigkeiten und was sonst noch alles, sodass mein Zimmer dagegen kahl und düster wirkt. Aber mir gefällt das Reine und Wenige. Auch, wenn es sehr vereinsamt aussieht.

Damit ich was zu tun habe und nicht wie ein Hund, durch die Wohnung dackel, schalte ich mir den Fernsehen ein und setze mich auf das Sofa. Aber nach einer kurzen Zeit befriedigt mich das TV-Programm nicht mehr und ich zücke mein Handy zur Hand. Wie ferngesteuert öffne ich meine Galerie um den Screenshot zu betrachten. Eigentlich müsste ich es bald auswendig können, aber bis dahin dauert es wohl noch ein wenig.

Wahrscheinlich werden so gut wie alle jetzt einfach weiter scrollen und mich vergessen. Aber du, der weiter liest, bist neugierig geworden. Nur du allein kennst den Grund. Du denkst vielleicht, dass hier wird eine total spektakuläre Nachricht. Ist es aber nicht. Aber sie kommt aus dem Herzen und das genügt.

Ich weiß nicht, warum ich weiter gelesen habe und es immer und immer wieder tu. Doch, wer auch immer das geschrieben hat, fesselt mich. HarryPotterVerrückt nennt er oder sie sich. So kann man ja noch nicht mal erkennen, welches Geschlecht der Verfasser hat. Das spielt keine Rolle, aber es würde mich trotzdem interessieren. Jedenfalls mag sie/er gerne Harry Potter, ein weiterer Pluspunkt.

Die ganze Zeit grübel ich und weiß nicht, was ich machen soll. Der Post bringt mich viel zu sehr zum Nachdenken. Ich möchte die Person anschreiben, aber ich trau mich nicht. Ich möchte die Person fragen, wie sie es geschafft hat. Aber irgendwas hindert mich daran. Mein Stolz, meine Angst, meine Dummheit.

Um weiter zu lesen, entsperre ich mein Handy, doch dann ertönt die Klingel.

Total verwirrt stehe ich auf und mache mich auf zur Tür. Nie bekommen wir Besuch, wirklich nie. Vielleicht einmal in zwei Jahren ein Kollege von Milky. Aber da er gerade bei ihnen ist, habe ich keine Vorstellung wer da auf der andere Seite steht.

Ich öffne die Tür und das erste was ich sehe sind Brüste. Keine nackten Brüste, sondern welche die fast die Bluse zum sprengen bringen. Danach bemerke ich Beine, sehr sehr viel Bein. Nicht zu vergessen eine Mähne von blonden Haaren.

"Milky ist nicht da", brumme ich und will die Tür zu schlagen.

"Und wo ist er?", fragt sie mich von oben herab. Damit meine ich nicht, die 20 cm Körpergröße, die sie mehr hat als ich, sondern, dass sie denkt sie wäre was besseres als ich.

"Auf einer Party bei Freunden.", antworte ich knapp.

Was habe ich getan, weswegen ich mich um die Fickgelegenheiten meines Bruders kümmern muss? Ich bin immer brav gegenüber Hunde- und Katzenbabys.

Blondinchen überlegt und überlegt. Hat wohl keine Ahnung, ob sie zurück zu ihrem Freund soll oder zum nächsten One-Night-Stand.

"Kannst du jetzt verduften? Von deinem Parfüm wird mir schlecht", tue ich kund in der Hoffnung, dass sie jetzt sofort das Weite sucht.

"Ich an deiner Stelle wäre nicht so frech zu mir. Ich weiß Dinge, von denen du keine Ahnung hast, Olivia Moore"

Ähhhh, wann habe ich ihr meinen Namen gesagt? Überhaupt nicht. Und Milky bestimmt auch nicht. In meinem Kopf rattert und rattert es. Ich sehe schon fast wie über meinem Kopf Rauchwolken aufsteigen, doch mein Gehirn ist wie leer gefegt. Zu keiner einzigen plausiblen Schlussfolgerung komme ich, woher sie mich kennt. Denn ich bin mir ziemlich sicher, ihr noch nie begegnet zu sein.

"Hat dir wohl die Sprache verschlagen? Tja, meine Liebe. Mir hat man schon viel erzählt in vielen Nächten. Und eins muss ich dir sagen... er hat mir definitiv einen Orgasmus geschenkt, was er bei dir ja nicht machen durfte. Tschüss"

Ihr Gegacker ist durch das ganze Treppenhaus zu hören. Und als sie draußen ist, ist sie immer noch in meinen Kopf.

Das kann doch nicht sein. Es kann nicht sein.

Wie festgefroren rühre ich mich nicht von der Stelle. Die Hand an der Klinke, den Kopf gerade aus.

Schockstarre.

Wie kann das nur sein? Wie? Das kann nicht sein.

Ich habe nie eines der Weiber getroffen, mit der Markus mich.....
Wie kann sie eine von denen sein.

Mir laufen stille Tränen über die Wange.

Und irgendwann, vielleicht Stunden oder auch nur Minuten später, schließe ich die Tür und lasse mich auf den Boden sinken.

Ich ziehe die Beine hoch, schlinge meine Arme drum und drücke mein Gesicht drauf.

Vergeblichst warte ich auf das Licht im Dunkeln. Aber es kommt nichts.

Es kommt niemand zu meiner Rettung.

Niemand.

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now