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Neue Menschen kennenzulernen, ist gar nicht mal so einfach. Die Neue zu sein, kann sehr anstrengend sein. Man wird ausgefragt über irgendwelche Dinge, die für einen unnötig erscheinen. Was interessiert jemand anderen, welche Farbe du gerne hast? Was kann er sich damit kaufen? Oder das gleiche mit Tieren. Ich verstehe ja, dass man mehr vom gegenüber erfahren möchte. Aber durch ganz normale Fragen lernt man niemanden kennen, oder bringt es dir etwas, wenn ich dir sage, dass ich Rechtshänder bin?

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Deswegen ist Felix mir direkt sympathisch, er fragt mich nicht aus. Sondern zieht mich in seine Gespräche ein, die er mit Sebastian und seiner Freundin führt. Zwar versteh ich nur die Hälfte, aber es stört niemanden, dass ich nur an den richtigen Stellen nicke. Es ist so, als würde ich dazugehören und nicht wie sonst immer der Freak sein.

"Was ist das für eine Party ohne Alkohol?", schreit Felix durch die ganze Wohnung.

Wir drei anderen sitzen im Wohnzimmer und warten darauf, dass Felix von der Toilette zurück kommt. Ich fühle mich hier sehr wohl. Die Wohnung ist vollgestopft bis oben, was ich für eine Studentenbude eher merkwürdig finde. Trotzdem ist es aufgeräumt, aber um alle Dinge wahrzunehmen, muss ich mich länger als eine halbe Stunde im Raum aufhalten. Aber die ganze Zeit starren, möchte ich nun auch nicht. Ich bin sehr froh, dass die Aufmerksamkeit nicht auf mir liegt, ich aber auch nicht untergehe. Aber um so weniger ich rede, umso viel mehr redet Felix.

Benita, seine kleine etwas ründlichere Freundin, eilt in die Küche, bevor ihr Freund den Alkohol verschüttet oder ähnliches. Dass er ein Tollpatsch ist, habe ich auch schon festgestellt. Noch mehr Sympathie Punkte!

Als Benita das Zimmer verlassen hat, dreht sich Sebastian zu mir um und blickt mich erwartungsvoll an.

"Ich finde sie toll", teile ich mit.

Sebastian grinst mich mit seinem selbstgefälligen Lächeln an und ich sehe ihm an, dass er sagen möchte: Ich habe es dir doch gesagt.
Aber Felix kommt schon mit Bier um die Ecke, sodass mir der Satz erspart bleibt.

"Meine Kinder, damit wir nicht grundlos trinken, spielen wir ein Trinkspiel. Zum Trinken habe ich zur Auswahl, Bier, Bier und Bier. Und meine bessere Hälfte hat noch Schnaps oder so. Chips besorge ich auch noch, denn ich habe Hunger. Vielleicht lassen wir uns später auch Pizza liefern.", überlegt Felix.

Ich habe noch niemanden in meinem Leben getroffen, der so schnell redet wie er. Ohne Punkt und Komma. Aber das gefällt mir. Er wirkt echt, als meint er jedes Wort wirklich, wie er es sagt. Dazu ist er ein Sonnenschein, wie es im Buche steht. Nicht einmal hat er bis jetzt kein Lächeln auf den Lippen gehabt. Dagegen ist seine Freundin ruhig, wobei ich denke, dass sie auch schon viel redet. Nur die Jungs erzählen sich bis jetzt alles, was der andere nicht miterlebt hat. Dabei haben sie sich eine Woche nicht gesehen.

Bevor ich mich zu Wort setzen kann, habe ich ein Bier vor mir stehen. Und ein Stapel Karten auf dem Tisch. Dass ich kein Alkohol trinke, habe ich wohl noch nicht erwähnt.

"Ähm", sage ich unsicher, "Ich trinke kein Alkohol.

Ich fühle mich blöd. Bei einem Trinkspiel kein Alkohol trinken, klingt in meinen Ohren absurd. Aber ich habe zwar nichts dagegen wenn jemand anderes etwas trinkt, aber ich selber möchte das nicht. Dafür habe ich zu viel gesehen, was Alkohol anrichten kann.

"Ja, dann haben wir mehr.", antwortet Felix direkt. "Willst du dann eine Cola haben?"

Ich nicke. Dass mein Herz ein wenig schneller schlägt als gewöhnlich, quittiere ich mit einem innerlichen Augen rollen. Definitiv muss ich ruhiger werden und mich fallen lassen. Den Leuten hier vertrauen. Es wird mir hier nichts passieren und auch sonst nichts. Wir sind nur vier Leute die gemeinsam abhängen und Spaß haben wollen. Das ist nichts außergewöhnliches. Das rede ich mir so lange ein, bis ich es selber glaube. Und dann beginnen wir ein Trinkspiel zu spielen.

"Ich erkläre dir mal die Regeln, Liv. Da sind Fragen, wie zum Beispiel: Hast du etwas gegen die Homoehe, wenn du der Frage zustimmst, musst du trinken. Das sind dann die eher ernsteren Fragen. Andere Fragen werden gestellt wie zum Beispiel: hattest du dein erstes Mal Sex vor deinem 15. Geburtstag. Oder halt so ähnliche. Aber das Prinzip ist, wenn die Frage auf dich zutrifft, musst du trinken."

Schwer klingt das nicht, sogar irgendwie witzig, aber auch befremdlich. Über mein Sexleben zu sprechen mit Fremden, ist eigentlich nicht mein Stil.

Benita nimmt die erste Karte und liest vor:" Du hattest schon dein erstes Mal."

Felix und Benita greifen gleichzeitig zur Flasche und sehen sich vielseitig an. Ich starre nur auf mein Glas und ein Teil von mir schämt sich vielleicht. Aus vielen verschiedenen Gründen. Vor allem aber wegen Markus, was er versucht hat mir einzutrichtern. Was er aber nicht geschafft hat. Ich wollte noch kein Sex mit ihm, weil ich nicht bereit war, ihm so körperlich nah zu sein. Und am Ende hat er sich dann die Nähe bei anderen gesucht, also habe ich alles richtig gemacht. Jedenfalls, kann ich das jetzt so sagen oder mir einreden.

In meinen eigenen Gedanken versunken stelle ich nun fest, dass Sebastian auch nicht zu seinem Getränk gegriffen hat. Mit großen Augen sehe ich ihn vielleicht ein wenig zu forsch an, aber ich kann nicht anders. Ein wenig schuldbewusst starrt er auf seine Finger, als wäre es ihm peinlich. Und vielleicht tu ich das Dümmste, was ich in der Situation machen kann.

Ich strecke mein Hand hin, balle sie zur Faust und sage: "Wir sind der Ü20 Jungfrauen Club".
Ein verwunderter Blick, dann ein Lachen und ein leichter Stubs gegen meine Faust. Äußerlich bin ich richtig cool -jedenfalls hoffe ich das- und innerlich dreht sich ein Karussell. So ein attraktiver Mann, innerlich und äußerlich, hatte noch nie Sex. Dazu finde ich keine passende Lösung in meinem Kopf, nur das ich es cool finde. Oder eher überhaupt nicht schlimm. Und daraus sollte ich kein großes Drama machen oder verurteilen.

Felix nimmt die nächste Karte und liest sie mit dramatischer Stimme vor: "Ich bin schon mal in eine peinliche Lage geraten"

Jayyy, ich darf auch trinken. Sofort nehme ich einen großen Schluck meiner Cola.

"Ich wünsche sofort eine Storytime von jedem", schreit Felix wieder zu laut.

Einen Augenschlag später, erzählt Felix seine Story wie er im Suff nackt durch Köln gelaufen ist und von der Polizei festgenommen wurde. Von seiner eigenen Mutter... Benita erzählt eine harmlose Geschichte mit ihrem Professor. Ich erzähle, wie ich meine Tage in der Schule bekommen habe und keine Binde getragen hatte. Und Sebastian... Sebastian erzählt mit funkelnden Augen, wie er Kaffee über mich schüttet. Es ist ein wundervoller Tag, trotz der Panikattacke.

Und ich lasse mich fallen.

~

Nach gefühlten tausend Fragen, bleibt die Letzte übrig. Mittlerweile sind die drei schon ein wenig angetrunken. Felix ist lauter als zuvor auch schon. Benita kichert über jede Kleinigkeit und Sebastian, der ist noch niedlicher als sonst. Er gibt mir Komplimente, fragt immer wieder nach meinem Wohlergehen. Das ist zwar auf den Alkohol zu schieben, aber irgendwann kommen meine roten Wangen nicht mehr hinterher, sodass sie die ganze Zeit glühen.

Ich nehme die letzte Frage und bin gefasst auf alles. Ob, noch eine Sexfrage kommt, wo der Jungfrauen Club am verdursten war. Oder Fragen, ob man sich in der Gruppe ausziehen würde. Was Felix gemacht hat, bevor wir ihn aufhalten können. Und was soll ich sagen. Asiaten Klischees spielen für mich nun keine Rolle mehr.

"Hast du im jetzigen Monat Geburtstag?", lese ich vor und trinke mein 2. Glas Cola aus.

"Uuuuund wann genau?", fragt, wer auch sonst, Felix.

Theoretisch könnte ich nun noch mal trinken, weil ich in einer peinlichen Lage bin. Wenn sie mir was vor singen, bin ich definitiv raus. 

"Am 6.8.", antworte ich kleinlaut.

Vielleicht hätte ich das filmen sollen. Denn nach und nach sehe ich die Erkenntnisse in ihren Augen, bis auch schon ein weiches Etwas auf mir liegt und mir "Happy Birthday" ins Ohr grölt.

Jap, das ist der beste Geburtstag meines Lebens.

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now