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Meine Mutter war sehr verliebt in Milkys Vater. So sehr, dass sie nur nach ein paar Wochen Beziehung zusammen zogen. So sehr, dass wir unsere Wohnung aufgaben und zu ihnen kamen. In dieses gottverlassene Dorf, wo Fuchs und Hase sich noch gute Nacht sagten.

Meine Mutter liebte ihn so sehr, dass sie ihn nach nur ein paar Monaten Beziehung heiratete. Sodass sich unser Name zu "Moore" änderte und wir eine glückliche Familie wurden.

Vielleicht waren wir auch glücklich, eine kurze Zeit bestimmt. Nur weiß ich, dass es dauerte, bis ich Milky als meinen neuen Bruder angesehen habe. Bis ich ihn überhaupt gemocht habe, hat es länger gedauert, als dass meine Mutter es sich gewünscht hat. Denn sie wollte, dass ich glücklich bin, weil sie glücklich war. Denn sie hatte einen neuen Mann an ihrer Seite und dazu zwei Kinder. Wie aus einem Märchenbuch, nur dass unsere Geschichte nicht mit einem Happy End endete.

Ich weiß wirklich nicht mehr viel aus der Zeit, als wir umgezogen sind. Nur das ständig ein junger Bursche in meinem Zimmer rumhing und mit mir spielen wollte. Es sind nur die kleinen Erinnerungen, die immer wieder kurz aufblitzen. Wie die erste schrecklichste, die ich von meinem Stiefvater habe.

Vielleicht zwei Jahre nach der Hochzeit begann alles. Ich wurde frisch in die 3. Klasse eingeschult und ich war glücklich, wie ein Kind es nun mal in diesem Alter ist. Die ganze Situation machte mir nicht mehr viel aus, denn richtig begriffen habe ich sie nicht.

Mein Stiefvater hat schon immer mal wieder ein "Erwachsenen Getränk" getrunken. Nichts auffälliges, bis zu diesem Zeitpunkt.

Ich kam nach Hause, der Schulweg war nur einmal über die Straße, sodass ich alleine die paar Meter ging. Meine Mutter hatte mich aber immer am Küchenfenster fest im Blick.

Er war früh von der Arbeit zurück. Meine Mutter dachte sich nichts dabei und ich erst recht nicht. Zu Mittag trank er das Erwachsenen Getränk, das sich später als Bier für mich herausstellte. Aber er trank nicht nur ein Glas, nicht zwei, sondern vier zum Essen. Es gab blau gefärbte Blaubeermuffins zum Nachtisch, das weiß ich ganz genau. Denn dann war es zum letzten Mal, dass ich nur welche angesehen habe.

Nie habe ich meinen Stiefvater als meinen eigenen Vater bezeichnet. Ich war so weit im Kopf, dass ich wusste, dass er nicht mein Vater ist. Denn bis dahin hatte ich nie einen und auf einmal war er da. Aber ich sah ihn nicht als meinen Vater, sondern nur den neuen Mann meiner Mutter.

Nach sechs Bier wurde er lauter. Er pöbelt aus irgendwelchen Gründen, die ich bis jetzt nicht begriffen habe. Er brüllte den Fernseher an und brüllte meine Mutter an, dass sie ihm noch mehr Bier geben soll. Meine Mutter, immer noch total verliebt, gab ihm mehr, obwohl er reichlich genug hatte. Aber sie dachte sich dabei nichts oder sie wollte sich nichts dabei denken.

Denn er ist doch der liebevolle neue Mann in ihrem Leben, mein neuer Vater.

Milky war nicht Zuhause beim ersten Mal und das war wohl das Beste. Später hat er versucht mich zu beschützen, die Schläge auf sich selbst zu richten. Aber das funktionierte nicht, denn seinem eigenen Sohn hat er nie auch nur ein Haar gekrümmt. Dennoch hat er gelitten. Mein älterer Bruder wollte mich beschützen und hat es nicht geschafft.

Mein Stiefvater kam in mein Zimmer getorkelt. Nicht mal mehr gerade stehen konnte er. Für nichts mehr war er im Stande, außer Gewalt anzuwenden. Er packte mich und schrie mich an. Dinge warf er mir an den Kopf, die ich zu dem Zeitpunkt nicht mal verstehen konnte. Die ganze Situation verstand ich nicht. Ich habe geweint und nach meiner Mama gerufen. Sie war da, aber hat nichts getan. Sie schaute perplex zu, als er zum ersten Schlag ausholte.

Meine Mutter schaute immer noch zu, als er mich Jahre später immer noch schlug. Manchmal hat sie versucht das Schlimmste von mir fern zu halten, aber sie hätte viel mehr machen sollen. Sie hätte mehr machen müssen.

Nach jahrelanger Übung schaffte ich es, meine Blutergüsse gekonnt zu verstecken. Niemand sprach mich darauf an, dass ich mal wieder hingefallen bin. Denn niemand sah es, dass ich gar nicht gefallen bin. Weshalb auch, meine Familie war perfekt. Wir waren eine glückliche Familie. Die Vorzeigefamilie. Bis die Tür unseres Hauses sich verschloss.

Denn dann wurde ich bestraft, dass ich existiere. Dass ich so klein bin.
Dass ich meinem leiblichen Vater so ähnlich sehe. Nicht hübsch bin. Dass ich nur ein gut plus in der Deutscharbeit geschrieben habe. Dass ich meinen Stiefvater nicht als meinen eigenen betittel. Und vieles vieles mehr.

Ich wurde für alles bestraft und irgendwann meine Mutter auch.

Es fing mit mir an und irgendwann folgte meine Mutter auch.

Aber wir waren glücklich, so verdammt glücklich. So glücklich, dass ich mich jede Nacht in den Schlaf geweint habe, bis ich 18 wurde. Bis ich endlich den Mut hatte, was zu ändern.

Ich nehme es meiner Mutter nicht übel, dass sie sich einen neuen Mann gesucht hat. Dass sie nicht alleine sein wollte oder dass sie das Pech hatte und den Falschen gewählt hat. Das ist nicht das Schlimme. Doch das, wofür ich sie verachte ist, dass sie nicht loslassen konnte. Nicht mal für ihr eigenes Kind. Sondern, trotz dass er mich verprügelte, bei ihm blieb und immer noch liebte. Obwohl ich sie angefleht habe, mit mir und Milky weg zu laufen, tat sie nichts. Rein gar nichts.

Und somit wurde ich Tag für Tag für Tag misshandelt von meinem Stiefvater und meine Mutter schaute weg. Als wäre nichts, rein gar nichts. Dabei zerbrach vieles in mir, was ich nie wieder zusammen gesetzt bekommen werde.

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now