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Das Leben ist unfair und unberechenbar. Es spielt mit uns und hat wahrscheinlich noch Spaß dabei, uns beim Leiden zu zusehen. Nichts bekommt man geschenkt. Die guten Menschen sterben zu früh, die mit dem sozialen Beruf verdienen zu wenig Geld und die Aussagekräftigen bekommen zu wenig Gehör. Das Leben ist ein Arschloch und wir müssen es bezwingen.

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Seit einer halben Stunde habe ich keinen Bruder mehr. Es ist dramatisch, sogar für mich. Und bevor ich mich überhaupt rühren kann, denn ich konnte mich nicht bewegen, klingelt es an der Tür. Mein Schicksal gönnt mir keine Sekunde Pause und ich bin mir ziemlich sicher, wer dort an der Tür steht. Tief atme ich ein und aus und verstecke meine Gefühle unter einer altbekannten Maske.

Meine Mutter steht vor der Tür. Alleine. Das ist nicht das, was ich dachte. Twix mit meiner Mutter, ja, aber ohne ihn? Es ist lange her, dass wir uns alleine unterhalten haben. Denn zu der Zeit, bevor ich abgehauen bin, war es so, dass sie nicht mehr alleine mit mir sein konnte. Doch was will sie hier? Ist sie überhaupt bei mir, weil sie es möchte oder wegen ihres Mannes? Ich will nicht mehr. Der ganze Stress ist mir viel zu viel. Erst passiert das eine und dann das nächste. Ich will einfach nicht mehr.

Recht lustlos und nicht bereit, was jetzt auf mich zukommen mag, öffne ich die Türe.

"Bevor du irgendwelche Schlüsse ziehst, ich bin hier, weil ich das möchte und nicht wegen jemand anderem. Ich möchte mit dir reden", rast meine Mutter die Wörter herunter, als hätte sie sie einstudiert und muss sie so schnell wie es geht loswerden, um sie nicht zu vergessen.

An einem anderen Tag, da würde ich die Tür zuschlagen und mich in mein Bett legen und vor mir her depressiv sein. Aber heute, an einem Tag mit unendlich viel Freude und Leid, ist mir vieles egal. Was soll schon passieren? Dass ich meine Mutter noch mehr hasse und am Ende des Tages alles nur noch schlimmer ist. Mal ganz ehrlich, wen wundert es noch, dass meine eigene Erde untergeht? Trotz alledem versuche ich, weiterzuleben, mir eine eigene Erde aufzubauen. Es funktioniert nur nicht so, wie ich es gerne hätte.

Ich bitte sie herein. Vielleicht ist es dumm und sie erzählt mir nur Lügengeschichten, aber ich habe es versucht. Meine Schuld ist es nicht, woran ich dann Schuld wäre. Mein Kopf dreht sich.

Wir gehen in die Küche und die leere Wodkaflasche thront provozierend neben der Spüle. Allein ihr Anblick bereitet mir Übelkeit, aber auch Kribbeln in der Bauchebene. Alles spielt verrückt. Wortlos setze ich mich hin und meine Mutter nimmt gegenüber Platz.

"Das was ich zu sagen habe, klingt eventuell sehr weit hergeholt und unecht. Zu schleimerisch und was weiß ich noch, aber es ist die Wahrheit. Ich bitte dich, mich aussprechen zu lassen. Aber nach den Jahren möchte ich mich endlich erklären."

Kurz wartet sie darauf, dass ich was dazu sage, tu ich aber nicht. Da ist meine Mutter wieder, aus der alten Zeit, die alles sagt, was sie denkt und tut, was sie möchte. Ich habe sie vermisst, aber ist sie für längere Zeit zurück?

"Es tut mir leid, das alles, was passiert ist. Das darf nicht sein und ich bereue so vieles, was ich getan habe und nicht. Nach dem Tod deines Vaters warst nur du jahrelang da und sonst niemand. Das fand ich eine Zeit lang schön, aber ich war einsam. Glücklich mit dir, mein süßes Kind, meinem Schatz, aber einsam. Plötzlich an einem sehr grauen Tag, trat Twix in mein Leben und brachte wieder Farbe in mein Leben. Ich war 26 Jahre alt, alleinerziehend und da war Twix 26 Jahre alt und alleinerziehend. Es war nicht perfekt, aber ich redete es mir immer ein. Du hast endlich eine Vaterfigur und einen Bruder. Ich habe einen Mann gewonnen und noch ein Kind, denn wie du weißt, ich wollte immer so viele Kinder haben, wie es nur geht. Eine Freundin hätte mir bestimmt ausgeredet, ihn nach so kurzer Zeit zu heiraten und zusammenzuziehen, wenn ich eine gehabt hätte. Vielleicht hätte ich trotzdem nicht gehört, weil meine rosarote Brille viel zu rosa und rot war. Mir war egal, dass Twix gelegentlich zu tief ins Glas schaut und mich zu grob anfasste. Das alles wollte ich nicht sehen, sondern dir eine Familie bieten. Einen Vater, der dir bei den Mathematik Hausaufgaben helfen kann und einen Bruder, der deinem ersten Freund drohen wird"

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now