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Manchmal war meine Mutter fürsorglich und nicht nur eine Mutter, weil sie mich gezeugt und gebärt hat. Wenn wir alleine Zuhause waren, da gab es gelegentlich nur uns beide. Das passierte vielleicht einmal im ganzen Jahr, aber den Tag genoss ich. Auch wenn ich danach enttäuscht wurde, weil ich dachte sie wäre aufgewacht und würde nun meine Welt wieder in Ordnung bringen. Aber wie schon erwähnt, ist das nicht geschehen.

An eine Situation kann ich mich noch gut erinnern. Kurz vor meinem 13. Geburstag habe ich meine Periode bekommen und somit einen weiteren Schritt zur Frau gemacht. Trotz schon damaligem schlechten Verhältnis bin ich morgens früh zu ihr gegangen und habe ihr flüsternd erzählt, was ich glaube, was los sei. Und dass mein Bett besudelt ist, sowie auch meine Hose. Im Nachhinein war ich zu dem Zeitpunkt sehr süß und meine Mutter auch. Zwar wusste ich schon von der Schule, was gerade in meinem Körper passiert und dass das alles der Richtigkeit gehört, aber wie man Binden benutzt wusste ich nicht. Denn so etwas wird einem natürlich nicht erklärt, ob das wichtig ist oder nicht. Hätte ich meine Mutter nicht gehabt, wäre ich aufgeschmissen gewesen. Somit hat sie mir nochmal alles deutlich erklärt und mir eine Binde in mein Höschen gesteckt und mir sie gegeben. Sie war stolz auf mich, so wie es nur andere Mütter verstehen können. Robin hat sich um mich gekümmert, als ich so starke Unterleibschmerzen hatte, dass ich dachte, dass ich sterben muss. Sie ist in die Apotheke gefahren und wäre bestimmt ein Mal um die Welt gereist, nur um meine Schmerzen zu verringern. Ich gebe es zu, ich habe geweint und nicht nur wegen meiner Schmerzen.

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Die gleiche Person sitzt vor mir auf meinem Stuhl. Und immer, wenn ich aus dem Fenster schaue, sieht sie mich an. Unauffällig versucht sie mich zu beobachten, sodass mein Stiefvater und ich es nicht bemerken. Unfassbar diese Situation. Schon eine Stunde stehen und sitzen wir in der Küche und es ist noch nichts dabei herum gekommen. Noch immer weiß ich nicht, was sie von mir wollen und wie sie hergefunden haben, wo ich wohne. Gerade bin ich dabei eine Kanne Kaffee zu machen und dabei immer mal wieder ein Blick auf mein Handy zu werfen, in der Hoffnung auf ein Lebenszeichen meines Bruders. Aber nichts.

"Wo ist eigentlich mein Kind?", fragt Twix mich mit einem missbilligem Blick.

Nie hat er mich als sein Kind angenommen, nicht, dass das für mich so wichtig ist. Aber für ihn bin ich der Eindringling. Meine Mutter hat Milky als ihren Sohn akzeptiert, vielleicht deswegen, weil sie immer mehr als ein Kind haben wollte. Ihr war egal, dass mein Bruder eine andere Mutter hat. So wie es mir egal ist, aber mein Stiefvater hat es nie akzeptiert, dass ich nicht aus seinem Sperma stamme. Egal was ich getan habe, ich war nie genug. Konnte nie mithalten mit meinem Bruder, bis ich aufgab, Anerkennung zu bekommen. Und trotz dass ich mich immer mehr zurückgezogen habe, wurde ich für Dinge bestraft, für die ich nichts konnte.

"Mein Bruder", sage ich provokant, "Ist für das Wochenende in den Urlaub gefahren und kommt erst spät nach Hause. Könntet ihr mir also den Grund für euren Besuch nun erzählen, ansonsten würde ich euch nach Hause schicken. Immerhin ist der Weg etwas länger"

Mir platzt der Kragen, ich bin enttäuscht von mir selbst und meinem Schicksal. Ich dachte, als ich zu Bett ging, dass mir ein verspätetes Frühstück mit Sebastian bevorstehen würde. Dabei lästern, wie viel er getrunken hat und Spaß dabei haben. Und nun?
Meine Eltern haben mich nach drei Jahren gefunden, obwohl wir so vorsichtig waren. Das ist zu viel für mich. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht, mitten auf die Nase.

"Wir wollten euch um etwas bitten", flüstert meine Mutter und schaut mich direkt an.

Ich sehe ihre Verletztheit und ihre Unsicherheit. Es ist so, als würde ich Peeta Mellark im Kapitol unter Snows Fettische sehen. Ja, das beschreibt es gut. Auch deswegen, weil ich ihre Blutergüsse auf den Armen erkennen kann. Dahin ist die Hoffnung, dass die beiden sich verändert haben. Anscheinend ist wirklich alles beim Alten geblieben. Ob ich noch immer dieselbe wie früher bin? Anscheinend ja schon.

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now