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Ich hatte nicht immer einen Stiefbruder, auch wenn es sich so anfühlt, als wäre es so.

Meine Eltern waren glücklich, erzählte man mir, sehr glücklich, bis mein Vater im Krieg starb und das noch vor meiner Geburt. Mein Vater war Soldat bei der Bundeswehr und ist in Afghanistan gefallen. Zu der Zeit war meine Mutter schwanger von ihm und, als sie Witwe wurde, alleine auf der Welt. Kein Job, kein Geld. Nur ein Kind unter dem Herzen, welches in wenigen Monaten auf die Welt kommen, nach Liebe lechzen und noch vieles, vieles mehr begehren würde.

Für eine junge Frau ohne eine sichtbare Zukunft nicht so einfach. Aber dafür liebte ich meine Mutter. Sie gab nicht auf und kämpfte in ihrer Trauer. Wahrscheinlich mehr um mein Wohl, als um ihres. Sie schaffte es, mir ein sorgenloses Leben zu schenken, bis zu meinem 5. Lebensjahr.

Da tauchten Milky und sein Vater auf und blieben. Und zu aller Unwahrscheinlichkeit, da sie so eine selbständige Frau war, veränderte sich alles. Ins Gute und ins Schlechte.
Und dafür hat sie meine Liebe und Ehrfurcht verloren.

~~~

Gähnend schneide ich den letzten Kuchen in gleichmäßige Stücke. Jedenfalls versuche ich es. Heute ist die Hölle los gewesen. Touristen und deren Verständigungsprobleme und viele andere Menschen, die zu Kopfschmerzen führen.

Zurzeit ist nur ein junger Mann im Laden, der so voller Energie trotzt, dass mir davon schlecht wird. Oder, dass ich vergessen habe, in meiner kurzen Mittagspause, etwas zu mir zu nehmen, außer gefühlt literweise starken Kaffee, könnte zu meiner leichten Übelkeit führen.

Geräuschvoll gähne ich.

Der Mann blickt zu mir auf und schmunzelt.

"Harten Tag gehabt?", fragt er.

Für Smalltalk habe ich echt keinen Nerv, da es in meinem Kopf pocht, als hätte ein Troll mich mit seiner Keule geschlagen.

"Sie können sich nicht vorstellen was für einen", lache ich kurz boshaft auf und denke an den Opa, der eine sonderbare Bestellung aufgegeben hat. "Vor Allem hätte ich schon lange frei gehabt, aber da meine Kollegin plötzlich krank wurde und meine Chefin selbst schon was vor hatte, mache ich Überstunden. Nicht, dass ich mich über das zusätzliche Geld beschweren würde, aber alleine der Vormittag war so anstrengend, dass mir die zwölf Stunden Schicht nur ungelegen kam"

Augenblick erröten sich meinen Wangen vor Scham. So viel habe ich zuletzt mit einem Fremden geredet, als er wissen wollte ob ich für einen Dreier zu haben bin. Das Gespräch war auf Spanisch und zum Glück hat mich Milky rechtzeitig gerettet. Ich habe nämlich nicht gedacht, dass der Spanier das meinte, sondern was ganz anderes.

"Sie müssen doch nicht erröten, obwohl das ein schöner Anblick ist.", grinst er und jetzt wird mir erst bewusst, wie attraktiv er doch ist.

Seine braunen Locken, wie sie ihm ins Gesicht fallen. Die haselnussbraunen Augen, die mich anstrahlen und bei seinem Lächeln bleibt mir glatt der Atem weg. Doch sieht er so aus, als wäre er sich seiner Attraktivität gar nicht bewusst, was ihn nur noch besser ausschauen lässt. Seinen Tunnel im Ohr passt gar nicht richtig zu ihm, aber irgendwie genau deswegen ist es total gut.

Mir wird bewusst, dass ich ihn angestarrt habe und kehre ihm mit noch hitzigem Kopf den Rücken zu. Um irgendwas zu machen, damit es nicht noch peinlicher wird, bereite ich mir noch einen Kaffee zu. Wegen des vielen Koffeins werde ich wohl später Milky auf die Nerven gehen, wenn er dann Zuhause ist.

"Könnten Sie mir auch einen neuen Kaffee machen? Ich habe auch einen anstrengenden Tag hinter mir. Meine Kollegen, die nicht erkrankt oder wieder im Urlaub sind, meinten mich mit jedem Mist zu belästigen", meint er.

Bevor ich etwas erwidern kann, fährt er fort.

"Sebastian, könntest du mir mal helfen. Sebastian, ich bräuchte mal deine Hilfe. Sebastian, der Chef hat gesagt, du sollst das für mich machen", äfft er seine Arbeitskollegen nach, was mich zum kichern bringt.

Wow, ich bin so beeindruckt von meinen Tönen, dass ich abrupt aufhöre. Doch hält die Stille nicht lange.

"Mein Chef ist ein Vollidiot, wenn ich das so sagen darf. Er gibt selbst zu, dass ich sein bester Mitarbeiter bin und somit auch die meiste Arbeit habe. Aber dann noch die Neuen zu mir zu schicken, obwohl ich keine Zeit habe um jemandem mal kurz zu helfen. Ich hatte am heutigen Tag nicht mal Zeit für eine Tasse Kaffee, sodass ich Entzugserscheinungen habe und völlig am Rad drehe. Sie können sich nicht vorstellen, wie aufgekratzt ich innerlich bin."

Ich kneife mir die Lippen zusammen, um nicht einen Kommentar abzugeben. Denn, ich finde, er ist sehr gut gelaunt dafür, dass er aufgekratzt ist. Zum richtigen Moment wird der Kaffee fertig, sodass nicht eine unangenehme Stille entsteht.

"Zum Glück ist Ihr Kaffee nun fertig und Sie können sich entspannen. Sie haben Feierabend und Ihre Vollpfosten sind ganz weit weg.", meine ich und gehe mit dem heißen Kaffee um die Theke.

Geübt stelle ich ihn auf den Tisch und bin sehr froh, sehr sehr sehr froh, dass ich nicht total Klischeehaft ihm den Kaffee in den Schoß gekippt habe. Das wäre es noch, wenn ich ihm im Schritt herum fummeln müsste.

Liv, sage ich zu mir, hör auf so zu denken und bleib so 'normal' wie du bist.

"Möchten Sie auch ein Stück Kuchen oder so etwas ähnliches? Ich esse ungern alleine", frage ich Sebastian.

Wenn ich nicht bald was in meinen Magen bekomme, wird das Pochen in meinem Kopf nur noch schlimmer werden. Und da ich nicht möchte, dass er mich beobachtet und selber nichts isst, bitte ich ihn.

"Wenn mich eine reizende Dame zu einem Stück Kuchen bittet, sage ich nicht nein. Aber ich habe eine Bitte", er macht eine dramatische Pause. "Sie müssen sich zu mir setzen und nicht dort, wo ich Ihre schönen grünen Augen nicht ergründen kann"

Eine weitere Runde rote Wangen, jayyy. Beschämt blicke ich auf den Boden. In meinem Kopf schreit es: ER FLIRTET MIT DIR! ER FLIRTET DU DUMME NUSS!

Und ich weiß nicht mal, wie ich darauf reagieren soll. Ehrlich gesagt, eine Pause für meinen Rücken und meine Beine wäre eine Wohltat. Doch dann würde ich seine Bitte annehmen, wobei er doch bestimmt einen Hintergedanken hat. Oder ich habe nur diesen Hintergedanken. Wahrscheinlich eher niemand und ich spinne nur etwas.

Ich hebe zwei Stücke von dem Kuchen, den ich vorhin erst geschnitten habe, auf Teller und stelle sie zu Sebastian auf den Tisch. Laufe nochmal zurück um die Gabeln aus der Schublade zu holen und setze mich.

Einen Seufzer kann ich nicht unterdrücken, als mir meine Beine danken, die Last meines Gewichtes nicht mehr auf sich zu haben.

Sebastian lächelt mich wieder mit seinem wundervollen Lächeln an, sodass seine gute Laune immer mehr auf mich abfärbt.

Ich greife nach meiner Tasse, doch ist da nur die reinste Leere. Sehnlichst sehe ich zur Theke, wo meine dampfende Tasse Kaffee steht. Ein Blick zurück zu meinem Platz, zum Kaffee, zum Platz. Bis ich mich dazu entscheide, dass der Weg zu weit ist für meine müden Knochen und einfach sitzen bleibe.

Doch nicht mit Sebastian, der, wie mir auffällt, nicht nach meinem Namen gefragt hat, er steht auf und schreitet elegant zum Tresen. Nimmt die Tasse in die rechte Hand und winkelt den linken Arm so an, als hätte er dort ein Tuch umgelegt, wie ein nobler Battler.

Er schreitet zu mir und setzt die Tasse schön vor mich, genau neben meinen Teller. Automatisch greife ich nach ihr, dabei streifen sich unsere Hände. Und dann passiert es.

Die Tasse kippt in meine Richtung um, sodass der gesamte Inhalt in meinen Schritt fließt.

Sofort springe ich auf und hüpfe auf einem Bein zum anderen. Nur vage bekomme ich mit, wie Sebastian sich ununterbrochen entschuldigt und ich tue das einzig Sinnvolle.

Ich lache, wobei mir die Schmerzenstränen und Lachtränen die Wange herunter laufen.

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now