6.

265 21 32
                                    

Pinguine haben Knie. Ich wusste das nicht und als ich es erfahren habe, war meine Welt erschüttert. Sie haben Knie und watscheln trotzdem. Warum? Um uns zu unterhalten? Oder brauchen sie sie wegen des Schwimmens? Mal davon abgesehen, sind Pinguine so tolle Tiere. Sie schubsen ihren besten Freund ins Wasser, um herauszufinden, ob es sicher ist.

Und das schönste: Pinguine haben nur einen Partner fürs Leben.

Wären Markus und ich Pinguine, würden wir noch zusammen sein. Würde ich immer noch in seinen Armen liegen. Er würde mich noch immer lieben.

Manchmal wünschte ich mir, ich wäre kein Mensch sondern ein Pinguin. Oder ich hätte einen Pinguin als Haustier, das würde auch watscheln (gehen).

~~~

Nach einer ganzen Weile sind die Tränen versiegt und nur das Brennen der Augen und der Schmerz in meinem Herz bleibt.

Gefühlte hundertmal habe ich versucht bei Milky anzurufen, doch immer geht nur die Mailbox an. Ich kann es nicht ertragen, alleine zu sein und doch bin ich es. So seelenlos alleine. In meiner Küche und fühle mich wie eine Fremde im eigenen Haus.

Ablenkung hilft in der jetzigen Situation nicht mehr. Meine Gedanken sind sowieso ganz woanders. Bei jemand ganz anderem.

Die Blondine.

Markus.

Wir waren ein halbes Jahr zusammen, bis er auf mein Herz getreten ist und es in Stücken weggeworfen hat. Das hat er geschafft, in dem er mich betrogen hat und das mehrmals. Er schlief mit anderen Frauen, unter anderem mit Blondi. Diese Genugtuung in ihren Augen, als in meinen der Schmerz zu sehen ist. Der Schmerz, der nicht aufzuhören scheint.

Wie ich herausgefunden habe, dass Markus mir nicht treu war, ist sogar ziemlich typisch Liv.

Die Tür fliegt auf. Lautes Gekicher. Sie scheinen mir so weit entfernt zu sein, obwohl sie nur ein paar Meter entfernt sind. Als wären sie in einer anderen Welt, als wäre ich in einem ganz anderen Universum.

"Komme Babe, ich zeige dir mein Bett"

Oh Milky. Wir wissen beide, dass du genauso nicht in Ordnung bist wie ich. Und doch tun wir beide nichts dagegen.

Tür öffnet sich, Tür schließt sich.

Stille.

In meinem Kopf ein Wirrwarr voller Gedanken. Die Vorstellung wie Blondi mit Markus schläft. Wie sie unaussprechliche Dinge miteinander treiben, sodass mir schlecht wird. Sodass mir erneut Tränen in meine Augen steigen.

"Liv?"

Ich bewege mich nicht. Starre nur weiter aus dem Fenster. In die Dunkelheit, die auch mich umgibt.

"Liv!"

Er schüttelt mich, aber ich will nicht reagieren. Ich will es nicht und doch tu ich es.

Milky kniet sich vor mich und versucht aus mir heraus zu bekommen, was los ist.

Von weitem höre ich seine Bekanntschaft, doch weiß ich nicht was sie sagt. Ob sie noch immer im Flur steht oder ob sie gegangen ist.

Mir ist egal was sie tut.
Mir ist so vieles egal geworden.

Wieder wird an mir gerüttelt und auf mich eingeredet. Wieder diese schrecklichen Bilder in meinen Kopf.

Sie sollen raus da!!!

Ich schluchze.

Milkys Angst ist ihm in den Augen tätowiert und mir tut es so leid. Mir tut alles so leid. Was unsere Eltern uns angetan haben. Das was ich alles falsch gemacht habe. So viele Fehler, die ich verhindern hätte können.

Ich schluchze.

Ich möchte gehalten werden, geliebt werden.

Milky redet auf mich ein und es dauert eine Zeit lang, bis seine Worte bei mir ankommen. Es dauert lange, bis ich mich aus der Taubheit heraus geschlagen habe und in die Welt zurückkomme.

"Bitte rede mit mir. Was ist los? Hast du einen Anfall oder so was? Wäre Krankenwagen eine Lösung? Verdammte Scheiße, was ist los mit dir? Wie kann ich dir helfen? Bitte, Olivia. Rede mit mir. Hast du einen Schlaganfall? Hast du Schmerzen? Es tut mir so leid, ich bin nutzlos. Fuck, Fuck, Fuck", seine Stimme ist von Tränen besetzt die ihm die Wange herunter laufen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn weinen sehe. Aber das erste mal, dass ich der Grund dafür bin.

Ich hebe meinen Arm und wische seine Tränen mit meinen zitternden Fingern weg.

"Deine Freundin von letzter Nacht war hier"

Weinen ist ekelhaft, kommt mir in den Sinn. Und ich will nicht weinen. Trotzdem hören die Tränen nicht auf zu fließen. Milky sieht mich von unten gespannt an, als würde ich ihm einen Fakt von Harry Potter erzählen.

"Sie wollte zu dir, ich habe sie weggeschickt. Vielleicht ein wenig zu barsch. Sie... Markus...", meine Stimme bricht und ich kann nicht weiter sprechen.

Doch versteht mein Bruder mich, ich muss nicht mal weiter erklären.

Aber ich muss es laut aussprechen. Für mich.

"Sie... sie war eine der Frauen... mit denen Markus... geschlafen hat.", schluchze ich.

Mein Herz bricht noch einmal. In so viele Einzelteile, dass sie unzählbar sind.

Milky steht auf und zieht mich mit ihm hoch. Er umarmt mich so fest, dass ich kaum noch Luft bekomme. Aber das brauche ich jetzt. Ich brauche ihn und seine Brust, wo die Tränen drauf tropfen.

"Schhh. Ich bin kein Mann der großen Worte und ich kann deinen Schmerz nicht lindern. Aber ich bin da... immer und es tut mir so leid, Liv. Es tut mir so unfassbar leid"

Auch er weint und ich fühle mich wieder wie 16. 

Milky und ich weinen.

Es ist das erste mal seit Monaten, dass wir uns so nah sind.

Dass wir unseren Schmerz teilen.

~

Die Sonne weckt mich, in dem sie mir volle Kanne ins Gesicht scheint. Neben mir schläft mein Bruder noch seelenruhig und mir pocht der Schädel.

Milky wirkt so... glücklich und so jung. Er lächelt leicht, als wäre der ganze Schmerz nicht vorhanden.

Wie er da neben mir liegt, auf der Seite auf seinen Arm liegend, fühle ich mich wie eine Mutter die ihr Neugeborenes beobachtet. Diese Situation erinnert mich an kurz nach unserem Umzug in diese Wohnung.

Die Nacht hatten wir zusammen auf dem Boden verbracht. Hatten keine Matratze oder ähnliches. Wir fanden es blöd alleine in unserem leeren Zimmer zu schlafen, also legten wir uns zusammen ins Wohnzimmer.

Wir weinten viel, vor Freude und Leid. Lachten über eine neue errungene Freiheit und Zukunft. Dann schliefen wir in den Armen des anderen ein. Ich beobachte ihn lange, bis er aufwacht. Auch da, sah er so viel jünger aus, als er ist. Und ich wünsche mir, ihm erginge es am Tag genauso wie in der Nacht.

Da die Arbeit ruft, stehe ich widerwillig auf. Gehe ins Bad und ziehe mich um. Das alles verschläft Milky. Ich bin vor ihm eingeschlafen und es würde mich nicht wundern, wenn er viel später als ich eingeschlafen ist. Da ich nicht weiß, ob und wann er heute Vorlesungen hat stelle ich ihm nur einen Wecker für seinen Nebenjob. Damit er jedenfalls den nicht verpasst.

Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange, verlasse die Sicherheit, die er erschaffen hat und trete in die große weite Welt.

Darauf bedacht nicht nachzudenken und dagegen hilft Arbeit halt am Besten. Und wenn ich erstmal Kaffee getrunken habe, sollten meine Kopfschmerzen sich wie von alleine verdrücken.

Balsam für meine SeeleWhere stories live. Discover now