Kapitel 2

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Am nächsten Morgen wache ich auf, meine Augen sind verquollen und es dauert ein paar Sekunden bis mir alles wieder einfällt. Dann prasseln die Bilder vom gestrigen Abend auf mich ein. Ich ziehe die Decke über den Kopf, doch das hält die Bilder nicht auf. Sie werden nur noch deutlicher und immer wieder hallt seine Stimme in meinem Kopf „du musst mich verstehen..". Gar nichts muss ich, schreit auf einmal eine Stimme in meinem Kopf und die Wut ist zurück. Sie unterdrückt die Trauer und stellt die Tränen auf Pause. Sie schwillt in meiner Brust an und droht zu explodieren. Schnell stehe ich auf und schnappe mir meine Laufschuhe. Auf der Straße überlege ich kurz und drehe dann ab in Richtung Wald. Ich laufe einfach nur, immer weiter, von allem davon. Nach etwa 30 min komme ich an einer Lichtung an und bleibe kurz stehen um zu verschnaufen. Doch da bäumt sich wieder diese Wut auf, ich will schreien, sie raus lassen. Also schreie ich. Alles kommt hoch und ich schreie mir die Seele aus dem Leib. Als ich verstumme umhüllt mich wieder die Stille und Ruhe des Waldes und ich fühle mich allein. Das erste Mal seit Jahren bin ich allein, ohne Plan für die Zukunft, ohne einen Menschen an meiner Seite auf den ich mich verlassen kann. Da bin nur ich, wird mir schmerzlich bewusst. Mit der Erkenntnis kommen auch die Tränen wieder. Die Wut ist verraucht, aufgebraucht. Ich mache mich langsam auf den Weg nach Hause und lasse mich wieder ins Bett fallen. Nach der unruhigen Nacht bin ich eigentlich ganz froh noch ein paar Stunden schlafen zu können.

Es ist 15 Uhr als ich wieder wach werde. Ich möchte heulen, doch es geht nicht mehr. Ich habe alle Tränen vergossen und auch wenn dieser Schmerz so tief sitzt wie nur irgend möglich, kann ich nicht mehr weinen. Ich sitze stumm auf meinem Bett und blicke aus dem Fenster. Ich kann meine Straße sehen, die Laterne unter der wir uns das erste Mal geküsst haben. Den Parkplatz auf dem dein Auto immer stand, wenn du mich besucht hast. Jeder Zentimeter um mich herum ist mit Erinnerungen an dich überfüllt. Ganz zaghaft und vorsichtig schiebt sich ein Gedanke in mein Bewusstsein: Ich kann hier nicht bleiben. Ich würde es nicht überleben, jeden Tag mit den Erinnerungen an dich und unser Leben konfrontiert zu werden. Ich weiß noch nicht wohin, aber ich muss weg. Aus dem kleinen Gedanken wird ein fester Entschluss. Ich werde gehen. Zwar weiß ich noch nicht wohin, aber in Berlin bleibe ich auf keinen Fall.

Ich hole meinen Laptop vom Schreibtisch und schlage ihn auf. Über die Universitätsseite suche ich nach Job Angeboten von Firmen im Lebensmittelbereich. Es dauert nicht lange, da finde ich zwei Stellenangebote, die zu mir passen könnten. Einmal als Laborantin in einer Firma in München und eine Stelle als Produktentwicklerin in einem Werk bei Kiel. Ich suche mir alles Nötige raus und beginne mit meinem Bewerbungsschreiben. Gegen 17 Uhr bin ich mit beiden fertig und schicke sie an beide Firmen.

Erst als mein Magen knurrt, fällt mir auf, dass ich den ganzen Tag nichts gegessen habe. Ich gehe in die Küche und koche mir Nudeln. Dabei fällt mein Blick auf eine gerahmte Karte an der Wand, die mir meine beste Freundin damals geschenkt hat „less upsetti, more Spaghetti" und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Du lachst ja schon wieder" sagt meine Mutter, die plötzlich im Türrahmen steht. „Erschreck mich doch nicht so" sage ich überrascht. „Wie geht's dir?" fragt sie mich besorgt, nach dem was sie gestern von mir gehört hat. „Lars hat entschieden, dass wir unsere Leben von jetzt an getrennt leben und ich versuche damit klar zukomme" will ich so nüchtern wie möglich sagen, doch ich merke wie meine Stimme bricht. „Och süße" meine Mutter streichelt mir über den Rücken. „Manchmal muss erst etwas dein Leben auf den Kopf stellen, damit du es dann noch schöner wieder aufbauen kannst." Oh wie ich ihre doofen Sprüche hasste, aber leider behielt sie damit oftmals recht. „Heißt das, dass du jetzt doch nicht ausziehst?" fragt sie mich. „Ich weiß es noch nicht, also zu Lars ziehe ich auf jeden Fall nicht mehr, aber es fühlt sich falsch an hier zu bleiben" gebe ich nachdenklich zu. „Du weißt, dass hier immer ein Bett für dich und unsere Tür dir immer offen steht." Ich gebe meiner Mutter einen Kuss und gehe dann mit meinem Essen wieder nach oben ins Bett.

Wir hatten doch Pläne | wincent weissWhere stories live. Discover now