Kapitel 16

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Ich folge Dagmars Empfehlung und gehe die Straße hinunter bis zum See, um dort am Ufer entlang in Richtung Marktplatz zulaufen. Dort soll ein kleines Café sein, dass laut Dagmar den besten Kirsch-Streusel-Kuchen in ganz Schleswig-Holstein macht. Es ist zwar schon Oktober, aber durch die Sonnenstrahlen gar nicht so kalt. Ich habe zwar meinen Wollmantel an, aber den Schal dann doch im Auto gelassen. Ich schlendere am Ufer des Sees entlang und genieße die Ruhe, die hier herrscht. Vereinzelt kommen mir ein Fahrradfahrer oder eine Mutter mit Kinderwagen entgegen, aber im Vergleich zu Berlin ist es hier wie ausgestorben. Aber irgendwie genieße ich das sogar sehr. Nach etwa 20 min komme ich auf dem Marktplatz an und sehe sofort das Café. Es sieht genauso aus wie die kleinen Cafés, die ich als Kind immer mit meiner Oma besucht habe und so wie die Berliner Hipster versuchen neue Cafés aussehen zulassen. Aber das hier ist ein Original.

Ich suche mir einen Tisch direkt am Fenster, damit ich die Leute draußen ein wenig beobachten kann. Ein junges Mädchen kommt an meinen Tisch, „Was darf ich ihnen denn bringen?" fragt sie höflich. „Ich hätte gerne einen Kaffee und mir wurde von eurem Kirsch-Streusel-Kuchen vorgeschwärmt." „Oh ja, der ist auch über Eutin hinaus bekannt" sagt sie lachend und notiert sich meine Bestellung. Kaum 2 Minuten später steht vor mir eine Tasse dampfend heißer Kaffee und ein riesiges Stück Kuchen. Gerade als ich mir eine Gabel davon in den Mund schiebe, öffnet sich die Tür und ein brauner Wuschelkopf betritt das Café.

Ich verschlucke mich fast an meinem Kuchen und ziehe so natürlich seine Aufmerksamkeit auf mich. Es dauert eine Sekunde bis er mich einordnen kann, dann grinst er und kommt auf mich zu. „Sarah? Was zur Hölle machst du in Eutin?" fragt er ungläubig und umarmt mich herzlich. Ich habe meinen Husten derweil unter Kontrolle bekommen und schlucke die letzten Reste herunter. „Hey Wincent, ich schätze ich wohne jetzt hier" lache ich, „also noch nicht ganz offiziell und es dauert auch noch ein paar Wochen bis ich mit dem Umzug fertig bin, aber den Schlüssel habe ich schon. Aber wie kommst du hier her? Das letzte Mal als wir uns gesehen haben, war das am entgegengesetzten Ende von Deutschland." „Darf ich mich setzen?" fragt er unsicher. „Na klar" erwidere ich und deute auf den Stuhl mir gegenüber. Er setzt sich hin und entspannt sich langsam.
„Da hast du dir ja einen schönen Ort für deinen Neustart ausgesucht. Ich bin hier aufgewachsen und besuche meine Familie für ein paar Tage."
„Oh wie schön. Ich muss sagen mir gefällt es jetzt schon unheimlich gut hier!"
„Das freut mich. Sag Bescheid, wenn du mal eine Stadtführung haben möchtest."
„Du meinst Dorfführung?" sage ich lachend und fange mir einen Knuff in den Oberarm ein.
„Aua" gebe ich schmollend von mir.
„Niemand macht sich über meine Heimat lustig" erwidert Wincent nun auch lachend und streichelt sanft über die getroffene Stelle, „so doll war es auch gar nicht." Meine Haut kribbelt leicht unter seiner Berührung und ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wincent schaut mir tief in die Augen und auch seine Lippen sind von einem Lächeln umspielt. Einen Augenblick sitzen wir einfach nur so da, dann fällt sein Blick auf den Kuchen.

„Vergiss es, ich teile nicht" halte ich schützend meine Hand vor den Kuchen. Wincent lacht und bestellt sich auch ein Stück. „Ist ja gut, ich würde dir doch nie etwas wegessen" hebt er abwehrend die Hände. Die Kellnerin kommt wieder an unseren Tisch und stellt ein zweites Stück Kuchen vor Wincent ab. „Danke, Vanessa." Sie lächelt ihm nur kurz zu und geht dann an einen anderen Tisch. „Daran werde ich mich auch erstmal gewöhnen müssen. In einer Kleinstadt kennt wirklich jeder jeden oder?"
„Naja ganz so schlimm ist es jetzt nicht, aber im Grunde hast du schon recht. Vanessa ist eine Freundin meiner kleinen Schwester, ansonsten würde ich sie vermutlich auch nicht kennen." Wincent schaut ihr noch einmal kurz hinterher, dann wechselt er das Thema. „Wie lief denn dein Bewerbungsgespräch in München, wenn du jetzt hier bist?"
„Eigentlich sehr gut" antworte ich, „aber ich hatte von Anfang an zwei Stellenangebote, auf die ich mich beworben habe. Eine in München als Laborantin und hier in der Nähe von Kiel als Produktentwicklerin bei Storck. Am Ende hat dann eine Münze entschieden welche Stelle ich annehme" sage ich lachend. Wincents Augen beginnen zu leuchten als er Storck hört. „Das ist doch die Süßigkeitenfirma oder?! Die mit den Lachgummis, Nimm2, Merci und den ganzen anderen leckeren Sachen? Ich werde dich auf jeden Fall als persönlichen Süßigkeitenlieferanten anheuern." 
„Ich kann dir bestimmt ein paar Sachen mitbringen, wenn wir die Stadtführung machen. Aber dafür musst du auch mein Versuchskaninchen sein für die neuen Sachen an denen ich dann arbeite."
„Ich bin sofort dabei" sagt Wincent begeistert, „aber habe ich das richtig gehört, du hast eine Münze entscheiden lassen wo du hinziehst?"
„Ja... Es war eigentlich nur ein Witz, aber dann dachte ich mir 'warum nicht?!'. Und ich glaub, die Münze hat eine ganz gute Entscheidung getroffen."
„Der Norden ist auf jeden Fall nie eine schlechte Entscheidung" erwidert Wincent grinsend, „egal wie viel ich unterwegs bin, ich komme immer wieder hierher zurück."
„Das kann ich gut verstehen" gebe ich zurück und schaue aus dem Fenster. Der Himmel färbt sich langsam rosa und die Bäume bewegen sich leicht im Wind. Alles sieht hier so friedlich aus.

Wir hatten doch Pläne | wincent weissWhere stories live. Discover now