Kapitel 30

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Ein Arm legt sich um meinen Körper und zieht mich an sich. Ich folge der Bewegung im Halbschlaf und kuschle mich an die Person neben mir. Ich spüre wie sich seine Brust hebt und senkt. Sein gleichmäßiger Atem lässt mich wieder wegdämmern und ich falle zurück in einen tiefen Schlaf.

Als ich aufwache bin ich allein. Ich brauche einen Moment, um mich zu sortieren. Ich fische mein Handy vom Boden. 9 Uhr. Wincent war doch vorhin noch da. Warum sollte er so früh aufstehen, überlege ich. Nachdenklich stehe ich auf und suche ihn. Es fehlt jede Spur von ihm. Seine Schuhe sind weg. Seine Jacke auch. Zögerlich gehe ich zurück ins Bett. Tausend Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf.

Plötzlich höre ich einen Schlüssel im Schloss. Niemand außer mir besitzt einen Schlüssel für dieses Haus. Ich sitze kerzengerade im Bett und lausche den Geräuschen auf dem Flur. Eine Tüte wird hingestellt, Schuhe in die Ecke geschoben. Langsam öffnet sich die Schlafzimmertür und ein Wuschelkopf schaut herein. Ein Kissen trifft ihn unvorbereitet und der Kopf verschwindet wieder. „Man Sarah!" flucht eine Stimme hinter der Tür, bevor sie den Raum betritt und sich den Kopf reibt. „Was sollte das denn?"
„Das fragst du mich?!" erwidere ich aufgebracht, „du bist einfach verschwunden und plötzlich taucht jemand in meinem Haus auf!"
„Und den Angreifer wolltest du mit einem Kissen abwehren?" Nun schaut Wincent mich ungläubig an und entlockt mir ein Lachen. „Ja gut so ganz durchgeplant war das nicht..." gebe ich zu.
„Aber es tut mir leid, dass ich dich so erschreckt habe." Wincent schaut betreten zu Boden. „Ich dachte du schläfst so tief, dass du gar nicht mitbekommst, wenn ich kurz nachhause fahre. Ich wollte nur vermeiden, dass meine Mum sich wieder Sorgen macht. Und ich brauchte frische Klamotten" sagt er entschuldigend. Erst jetzt fällt mir auf, dass er ganz andere Sachen trägt als gestern. Eine graue Jogginghose und den schwarzen Nike Hoodie, den ich schon kenne. Die Erinnerung bringt mich zum Lächeln. „Du strahlst ja schon wieder" stellt Wincent beruhigt fest, „ich habe auch noch Brötchen mitgebracht auf dem Weg, als kleine Entschuldigung." Er hält die Tüte aus dem Flur hoch. „Was hältst du davon, dass ich Frühstück mache und du suchst uns im Wohnzimmer schon mal einen Film raus?" schlägt er vor. Ich nicke zustimmend.

Ich höre in der Küche die Teller klappern, während ich im Bad bin. Danach hole ich eine Bettdecke aus dem Schlafzimmer und lege sie schon mal aufs Sofa. Ich starte den Film, auf den wir uns gestern schon geeinigt hatten und helfe dann Wincent die beiden vollgepackten Teller und zwei Tassen Kaffee auf den Tisch vor dem Sofa zustellen. Wir kuscheln uns unter die Decke, jeder mit seinem Teller auf dem Schoß. Ich genieße die entspannte Stimmung, die zwischen uns herrscht, nach dem Stress am Morgen. 


„Musst du wirklich schon gehen?" frage ich bestimmt zum fünften Mal traurig. „Ja, leider... Ich habe den Jungs versprochen, dass ich mich morgen schon um 6 Uhr auf den Weg nach Bremen mache, damit wir pünktlich mit dem Soundcheck starten können. Und meine Mum bringt mich um, wenn ich den letzten Abend wieder nicht zuhause bin" erklärt mir Wincent. Eine immer lauter werdende Enttäuschung schwingt in seiner Stimme mit. „Weihnachten bin ich wieder hier" versucht er mich aufzumuntern. „Ich fahre über Weihnachten zu meiner Familie, aber ab dem 27. Dezember bin ich wieder hier." „Puh, zwei Monate sind wirklich lang..." Wir beide blicken uns traurig an. An dieser Situation kann niemand etwas ändern. „Ich werde dich vermissen" flüstere ich leise, aus Angst vor der Reaktion.

„Ich werde dich auch ganz schrecklich vermissen!" Die Worte treffen mein Herz und seine Arme ziehen mich an sich. So stehen wir minutenlang da, wie eingefroren, in dieser Umarmung. Ich atme noch einmal seinen Duft ein, spüre seine Lippen auf meiner Stirn. Ein letzter Blick, ein Lächeln, ein Winken. Dann ist er aus der Tür heraus verschwunden. Ich bleibe zurück mit der Leere, die sich um mich schließt. Mein Handy vibriert. „Unsere nächtlichen Telefonate sind fest im Tourplan eingeplant, versprochen! <3" Zuversicht erfüllt mich und ich löse mich aus meiner Starre.


Wir hatten doch Pläne | wincent weissWhere stories live. Discover now