Kapitel 23

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Um punkt 19 Uhr stehe ich vor der Bäckerei von Dagmar und warte auf die beiden. Ich habe meinen dicken Parka an, da es doch recht schnell kalt geworden ist und die Veranstaltung draußen stattfindet. Ich muss immer noch an den Vormittag mit Wincent denken. Mir fällt auf, dass ich ihn schon wieder nicht gefragt habe was er eigentlich beruflich macht. Ich weiß mittlerweile praktisch alles von ihm aber darüber haben wir irgendwie nie geredet.

Dagmar reißt mich aus meinen Gedanken. Sie kommt auf mich zu in Begleitung einer Frau, die im Rollstuhl sitzt. Sie muss ein paar Jahre älter sein als ich und ist wirklich wunderschön. Auf ihrem Schoß liegt eine Decke. Sie reicht mir die Hand und wir stellen uns vor. Wir kommen sofort ins Gespräch und mit der Zeit ich bekomme ich von dem Rollstuhl gar nichts mehr mit. Wir gehen gemeinsam in Richtung Bühne und lauschen der Musik. Der Moderator kommt auf die Bühne und dankt der Schülerband des ansässigen Gymnasiums für ihren Auftritt und kündigt dann den Star des Abends an. „Die meisten von ihnen kennen ihn wahrscheinlich noch als den kleinen Winnie, doch nun ist er auch auf den großen Bühnen dieses Landes bekannt. Für uns ist es immer wieder schön, dass sein Weg ihn immer wieder zurück in seine Heimat führt. Daher begrüßen sie mit mir WINCENT WEISS!" Die Lichter gehen aus.

Moment mal, Wincent? Noch bevor ich mich wirklich wundern kann, betritt der bekannte Wuschelkopf mit den tiefbraunen Augen mit seiner Band die Bühne. Ein riesiger Applaus geht los und die Band startet ihren ersten Song. Wincent steht mit geschlossenen Augen am Mikrofon. Die ersten Töne eines Klaviers ertönen und der Scheinwerfer richtet sich langsam auf Wincent. Er beginnt zu singen und ich starre ihn wie gebannt an.

„Was ist mit allem was wir vorhatten? Was mit all den kleinen Dingen, die wir uns mal geschworen haben?"

Seine Stimme fängt mich und hält mich in einem Bann. Es ist als würde er mir aus der Seele singen. Ich kämpfe noch dagegen an, doch bin machtlos gegen die Tränen die mich überrollen. Sobald ich die Augen schließe taucht Lars Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Ich versuche die Augen nicht zu schließen, sondern konzentriere mich nur auf Wincent um den Bildern meiner Erinnerung zu entfliehen.

„Du wolltest doch meinen Ring an deinem Finger, wir wollten doch ein Haus und zwei Kinder. Und dann an allen Tagen nebeneinander aufwachen bis zum Schluss..."

Als er den letzten Ton singt, steht das ganze Publikum unter Spannung, die sich in einem tosenden Applaus entlädt. Wincents Stimme durchbricht diesen Applaus und die Leute beruhigen sich wieder. Ich wische mir die letzten Tränen aus dem Gesicht und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. „Hey Eutin. Ihr wisst ich freue mich immer das ganze Jahr auf diesen Abend, an dem ich für euch spielen kann! Und eigentlich spiele ich am liebsten die Lieder bei denen ihr richtig abgehen könnt. Aber ich weiß von einer Freundin, dass sie heute ihr ist und eine schwere Phase durchmacht. Und ich hab gehofft ihr hilft es vielleicht ein bisschen dieses Lied zuhören, damit sie weiß, dass viele andere auch schon einmal an diesem Punkt im Leben waren. Daher einmal eine kleine Entschuldigung an euch alle für den kleinen Gefühlsausbruch, jetzt gibt es wieder Party." Bei diesem Wort fängt der Schlagzeuger an zu spielen und Wincent beginnt mit der Band das nächste Lied. Ich stehe immer noch wie in Trance da. Er hat das Lied für mich gespielt, wird mir dann klar. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Das war wirklich das Aufmerksamste, das jemals jemand für mich getan hat und ich muss mich definitiv bei ihm bedanken, beschließe ich. Jedes einzelne Lied, das Wincent spielt gefällt mir unheimlich gut, aber keines kommt an das erste heran. Als er das letzte Lied beendet hat, herrscht im Publikum eine ausgelassene Stimmung. Dagmar und Sina verabschieden sich von mir, sie wollen den Abend zuhause ausklingen lassen.

Ich folge meinem Impuls und gehe Richtung Bühne. Die Menge löst sich langsam auf. Ich bekomme mit, dass einige jüngere noch auf eine Hausparty gehen ein paar ältere sich in der Stadtkneipe treffen. Am Rand der Bühne stehen Wincent und die Band und machen mit ein paar Mädels Fotos. Ich bleibe am Rand stehen und sehe dem treiben zu. Dann dreht Wincent sich um und sieht mich. Ein Lächeln steht ihm ins Gesicht geschrieben und er kommt direkt auf mich zu. „Warum hast du mir nicht erzählt, dass du Musiker bist?" frage ich etwas vorwurfsvoll. „Naja ich fands schön mal jemanden kennenzulernen, der mit Wincent befreundet sein will und nicht mit Wincent Weiss dem Musiker" gab er zu. „Das kann ich gut verstehen" erwidere ich und seine Anspannung löst sich. „Also bist du mir nicht böse?" „Ach Quatsch, wie könnte ich?! Du hast bestimmt schon einige falsche Freunde kennen gelernt, da ist es doch nur verständlich, dass du auf Nummer sichergehen willst." „Danke Sarah! Unsere Freundschaft bedeutet mir mittlerweile wirklich viel und ich hoffe der Song vorhin hat dir gefallen." Ich falle ihm um den Hals und er drückt mich an sich. „Gefallen? Er war perfekt. Danke" flüstere ich in sein Ohr und atme seinen Duft ein. Da ist wieder diese Mischung aus Parfüm und Meer. Ich will ihn gar nicht loslassen, aber so langsam komme ich mir beobachtet vor.

Wir lösen uns und ich schaue mich um. Aus dem Augenwinkel nehme ich ein Grinsen auf dem Gesicht des Schlagzeugers war. „Magst du nicht noch mitkommen? Die Band und ich beenden den Abend immer mit Pizza und Bier bei meinen Großeltern im Partykeller, wenn wir hier sind." „Sehr gerne" nehme ich sein Angebot an und wir gehen rüber zur Band, wo er mich allen vorstellt.


Wir hatten doch Pläne | wincent weissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt