Kapitel 11

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Obwohl ich die Nacht kaum geschlafen habe und ziemlich kraftlos bin, rapple ich mich auf und laufe ins Badezimmer, um mich für die Schule fertig zu machen. Mein Spiegelbild sieht schrecklich aus. Meine Augen sind gerötet und die Augenringe kommen deutlich zur Geltung in meinem blassen Gesicht. Meine Haare sind zersaust und meine Augen schwarz unterlaufen, von dem wenigen Maskara den ich aufgetragen hatte.

Ich binde mir die Haare zu einem Dutt und entferne die Schminkreste, denn zu mehr bin ich nicht in der Lage. Ich klopfe einige Male auf meine Wangen, doch mein Gesicht bleibt fahl und kreidebleich. Ich mache mir auch nicht die Mühe meinen blassen Teint zu überschminken.

In der Schule angekommen muss mir die Erschöpfung sichtlich ins Gesicht geschrieben stehen, denn ich werde von vorbeilaufenden Schülern gemustert. Antriebslos sitze ich im Klassenzimmer und versuche meine Augen so gut wie möglich offen zu halten. Meine geistige Leistungsfähigkeit befindet sich am Nullpunkt und meine Motivation hat sich auch in Luft aufgelöst. Ich lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Aiden war die letzten Tage nicht in der Schule.

Auch als ich nach Hause komme, wartet noch ein Haufen Arbeit auf mich, in Form eines Referates, was ich vorbereiten muss. Ich nehme am Schreibtisch Platz, trommle mit den Fingern auf diesem und betrachte den hohen Papierstapel, der seit Tagen immernoch nicht an Höhe verloren hat.

Bereits zum dritten Mal schon lese ich den Text ohne dem Inhalt wirklich folgen zu können. Er kommt mir wie eine willkürliche Zusammensetzung von Buchstaben vor, die überhaupt keinen Sinn ergibt. Obwohl die Zeit wie im Fluge vergeht, bin ich nicht wirklich voran gekommen.

Nachdem es draußen schon zu dämmern beginnt stoße ich einen lauten Seufzer aus und drücke meinen Rücken stärker gegen den Bürostuhl. Ich beschließe mir eine Pause zu gönnen und richte meinen Blick aus dem Fenster.

Was zum Teufel macht Aiden denn da?

Er sitzt zusammengekrümmt auf einer Schaukel und stützt seine Stirn mit einer Hand ab. Als er rückwärts von der Schaukel fliegt und regungslos auf dem Kiesboden liegen bleibt, entscheide ich mich dazu, nach draußen zugehen. Da Mum und Dad bereits schlafen, schleiche ich so leise wie nur möglich die Holztreppe hinunter, in der Hoffnung, dass sie nicht knirscht.

»Aiden!« Ich rüttle einige Mal an seiner Schulter, doch er reagiert nicht. Eine leere Whiskeyflasche liegt neben seinem statuenhaften Körper. Ich erhöhe meinen Druck auf seinen Oberarm und versuche erneut ihn wach zu bekommen.

»Aiden, ich bins. Sarah.«

Ich starre ihn an und bemerke, dass er langsam seine Augen öffnet. Er verzieht sein Gesicht und versucht nach meiner Hand zu greifen, was ihm nicht gelingt.

»Saaaraaahhh.«

Er lallt und sein Atem riecht nach Hochprozentigem. Er ist sichtlich betrunken.

Kurzerhand verschwindet seine Hand in der Hosentasche, um nach einer Zigarette zu greifen, die er sich zwischen die Lippen legt. Obwohl er diese falsch herum in den Mund steckt, zündet er sie an, um sie kurzerhand mit einem lauten Ihhh wieder auszuspucken.

»Aiden was machst du hier?«, frage ich besorgt. Ich muss mich wirklich zusammen reissen, um vernünftig mit ihm zu sprechen.

Er versucht aufzustehen, muss sich jedoch am Schaukelgerüst abstützen, da er sich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Ich stehe einfach nur da. Ich weiss selbst nicht wieso ich hier her gekommen bin. Ich wechsle oft das Standbein, da ich nicht in der Lage bin ruhig zu stehen. Ich schlucke einige Male. Diese Situation ist sowas von schräg.

Es herrscht Stille. Sekunden kommen mir wie Stunden vor. Da Aiden große Mühe hat sein Gleichgewicht zu halten, nehme ich ihn an die Hand und begleite ihn zu einer angrenzenden Bank.

Ich nehme neben ihm Platz. Ich lege meine Hand auf seine Schulter und mit einem Schlag fängt Aiden an zu zittern. Sein Körper bebt regelrecht unter meinen Fingern und ich bin total überrumpelt von dieser Situation. Ich habe ihn so noch nie erlebt.

»Aiden sieh mich an. Was ist geschehen?« Ich umfasse sein Gesicht mit meinen Hände und lasse meinen Blick nicht von ihm. Seine Augen sind leer. Seine Pupillen geben Einlass zu seinem Inneren und ich erkenne eine Mischung aus Trauer und Wut. Er vergräbt sein Gesicht in den Händen und ich entdecke einzelne Tränen, die von seiner Nasenspitze tropfen.

»Sarah«, beginnt Aiden zu nuscheln. Er macht eine Pause um tief nach Luft zu schnappen, bevor er hinzufügt: »Die Geister der Vergangenheit holen einen immer wieder ein.«

Nachdem Aiden dies ausgesprochen hat, beginnt er wieder zu schluchzen. Er schüttelt immer und immer wieder seinen Kopf, ohne mich noch einmal anzusehen.

Ich habe keine Ahnung was ich antworten soll. Ich verstehe nicht, was seine Aussage bedeutet. Jedoch überkommt mich ein Gefühl der Beklemmung und ich spüre wie sich mein Körper verkrampft. Ihn in diesem Zustand zu sehen, schnürt mir die Kehle zu und meine Augen fühlen sich ebenfalls mit Tränenflüssigkeit. Mit einem Schlag fällt es mir schwer zu atmen. Ich habe das Gefühl, dass meine Lungenflügel daran gehindert werden sich auszubreiten und frischen Sauerstoff aufzunehmen.

»Es tut mir Leid. Ich wollte nicht....« Er zuckt mit den Schultern und findet keine passenden Worte um seinen Satz zu beenden. Er klingt resigniert und seine Hoffnungslosigkeit lässt das Blut in meinen Adern gefrieren.

»Ist schon Ok. Ich bringe dich jetzt nach Hause«, steige ich ein und stütze ihn beim Aufstehen, um ihn daraufhin nach Hause zu begleiten.

Aiden - gefährliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt