Kapitel 20

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»Das ist Ava, meine leibliche Mutter.« Aiden holt einen Multivitaminsaft aus seinem Rucksack, welchen er auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Krankenbett platziert und sich schließlich mit einem sanften Kuss von seiner Mutter verabschiedet. Es berührt mich wie liebevoll er sich um sie kümmert.

Wir verlassen das Krankenhaus und soviele Fragen liegen auf meiner Zungenspitze, aber ich finde einfach nicht die passenden Worte. Ich bin froh, als Aiden endlich das Schweigen bricht, denn ich konnte mich nicht überwinden etwas zu sagen.

»Die Ärzte sagen, sie hat nicht mehr lange.« Ich suche nach aufmunternden Worten, doch es gibt keine. Es ist wohl das Schlimmste, was einem wiederfahren kann, wenn die eigene Mutter im Sterben liegt.

»Es tut mir so schrecklich leid Aiden.« Er zuckt nur mit den Schultern und betrachte den Asphalt unter seinen Füßen. Ich greife nach seiner Hand, um sie sanft zu drücken, doch er löst sich aus meinem Griff, da seine Hände bereits zu zittern beginnen. Unmittelbar steckt sich Aiden eine Zigarette in den Mund um einige tiefe Züge zu nehmen und den Rauch langsam wieder zwischen seinen Lippen entgleiten zu lassen.

»Ich habe sie erst kurz vor meiner Inhaftierung kennengelernt.« Aiden versucht die Trauer in seiner Stimme zu verbergen, doch es gelingt ihm nicht. Er hält inne und seine Augen starren einfach verloren in die Dunkelheit. Sein trauriger Blick versetzt mir einen Stich ins Herz. Da er nun mehrere Minuten in seinen Gedanken vertieft ist, unterbreche ich die Stille.

»Möchtest du mir von ihr erzählen?« Meine Kehle wird trocken und ich bin froh, dass ich diesen Satz noch halbwegs verständlich aussprechen konnte.

Sein Blick ist auf die Straße gerichtet und ich höre an seinem Seufzer, dass er mit sich ringt mir mehr zu erzählen. Kurzerhand verschwindet seine Hand in der Hosentasche, aus welcher er ein abgenutztes Foto herauszieht.

»Siehst du wie schön sie früher war?« Aiden hält mir das Bild direkt vors Gesicht und ich erkenne es plötzlich. Es handelt sich um das Foto der jungen, wunderschönen Frau mit dem Baby im Arm.

»Bist du das?« Mein Zeigefinger deutet auf den kleinen Jungen im blauen Strampler. Aiden nickt und zum ersten Mal bewegen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln.

»Was ich nicht verstehe...« Ich versuche nicht neugierig zu klingen, was mir jedoch nicht wirklich gelingt.

»Wieso ich adoptiert wurde?«, beendet Aiden meinen Satz. Er hebt eine Braue und schielt zu mir rüber.

»Es ist nicht so, dass meine Mutter mich nicht wollte.« Es bricht mir das Herz in Aidens schmerzerfülltes Gesicht zu blicken, auch wenn er versucht seine Mimik neutral zu halten.

»Das Arschloch von Vater hat sie aber sitzen lassen. Er hatte wohl viel Dreck am Stecken und musste schließlich für seine schmutzigen Geschäfte ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung kam er jedoch nie zurück.« Aiden holt scharf Luft, ballt seine Hände zu Fäusten, sodass ich kurz erstarre. Die Wut in seiner Stimme ist deutlich erkennbar. Seine Schilderung erschüttert mich bis ins Innerste und meine Wangen beginnen zu glühen. Die Straßen sind leer und als Aiden einen Mülleimer am Straßenrand stehen sieht, kann er nicht anders als ihn weg zu kicken.

»Fuck!«, schreit er sich aus der Seele und tritt noch ein weiteres Mal nach dem Metallbehälter. Völlig außer Puste spricht er nun weiter.

»Ava hat schließlich angefangen zu Trinken, weil sie überfordert mit der ganzen Situation war, weshalb ich in Obhut genommen und zur Adoption gegeben wurde.«

Da ich Aiden in seiner momentanen Verfassung nicht alleine lassen möchte, beschließe ich bei ihm zu bleiben und ihm noch ein wenig Gesellschaft zu leisten. Geteiltes Leid ist doch sprichwörtlich halbes Leid und ich nehme ihm gerne etwas Ballast ab, indem er sich den ganzen Kummer von der Seele reden kann.

Als wir sein Zimmer betreten bleibe ich jedoch erschrocken in der Türe stehen. Eine Blondine sitzt auf seinem Bett. Genauer genommen die Blondine, die ich schon mit Aiden zusammen auf dieser ominösen Party hier gesehen hab.

»Da bist du ja.« Sie springt mit einem Satz auf um sich schnell zwischen mich und Aiden zu stellen. Ich gehe einen Schritt zur Seite und spüre wie es in mir brodelt.

»Möchtest du mich nicht vorstellen?« Dieses möchtegern Püppchen legt ihren Arm auf Aidens Schulter ab und sieht mich mit einem künstlichen Lächeln an. Bei genauerem Betrachten fällt mir auf, dass nicht nur das künstlich ist.

»Sarah, das ist Aubrey.« Aiden scheint die Situation äußerst unangenehm zu sein, da er mich nur kurz anschaut und danach nur noch den Boden fixiert.

»Sagen wirs mal so. Ich versüße Aiden seine einsamen Abende.« Ein schelmisches Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus.

Ich verziehe angewidert meinen Mund und schlucke schwer. Am liebsten würde ich diesem Miststück jede einzelne Extension raus reissen.

»Falls du Lust auf einen Dreier hast, kannst du gerne bleiben.« Aubrey lässt ihre pink lackierten Fingernägel über meinen Oberarm kreisen und hebt triumphierend eine Augenbraue. Obwohl Aiden ihr einen bösen Blick zuwirft, lässt er diese Aussage einfach im Raum stehen. Ich winke ihm zu, dass ich mich auf den Nachhauseweg mache, doch er packt mich sofort am Arm.

»Bleib bitte«, versucht er mich umzustimmen. Ich kann sein Gesicht nicht genau erkennen, doch er klingt verzweifelt.

»Ich möchte nicht stören«, erwidere ich und deute zuerst auf die Barbie und dann auf ihn. Noch bevor Aiden seine Lippen formen und antworten kann, fällt ihm die Blondine ins Wort.

»Lass sie doch gehen. Wir brauchen hier keine Spielverderber.« Aubrey atmet lachend aus. Fassungslos starre ich diese Tussi an, während ich spüre wie ihre Worte eine ganze Kette wütender Reaktionen in meinem Inneren auslösen. Eigentlich habe ich das Bedürfnis sie wüst zu beschimpfen, doch ich reisse mich zusammen.

Das ist mir alles zuviel und ich möchte einfach nur noch weg. Ich schließe die Türe hinter mir und lasse beide im Zimmer zurück.

Jedes Treffen mit Aiden endet gleich. Ich habe das Gefühl, dass es für mich nur Nachlaufen oder Weglaufen gibt. Anstatt dessen wünsche ich mir doch nur, mit ihm in die gleiche Richtung zu gehen.

Aiden - gefährliche LiebeWhere stories live. Discover now