Kapitel 19

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Als ich in meinen Pickup einsteige sind meine Lippen immernoch fest zusammengepresst. Meine verschwitzten Hände umklammern das Lenkrad des Wagens mit solch einer Intensität, dass sie bereits zu Schmerzen beginnen.

Ich löse meinen Griff und lasse mich in den Sitz fallen, um die Verspannung in den Schultern zu lösen.

»Er ist so ein Idiot«, murmle ich vor mich hin. Wenn er nur wüsste in welchem Gefühlschaos ich mich momentan befinde. Es gibt so viele Fragen, die ungeklärt sind und dann war da dieser Kuss, der sich einfach nur gut anfühlte. Ich weiss selber nicht mehr was Richtig und was Falsch ist. Ich sitze mit halboffenem Mund da, in der Hoffnung so leichter atmen zu können, da ein unglaublicher Druck auf meiner Brust lastet.

Mein Blick ist durch die Frontscheibe gerichtet, doch ich schaue ins Leere. Ich kann Nichts um mich herum mehr wahrnehmen. Seit Aiden zurückgekehrt ist, ist alles so kompliziert geworden.

Während meine Augen in die Ferne starren, fällt mir Aiden im Blickwinkel auf, der das Haus verlässt und die Straße entlang hetzt. Wie immer mit Kopfhörern und einem Rucksack. Ich wäge ab, ob ich ihm nachlaufen soll oder nicht, entscheide mich schlussendlich doch dafür. Mit der Hoffnung Antworten auf die vielen Fragen zu finden, verfolge ich ihn.

Ich bin mir bewusst, dass es nicht die feine englische Art ist Jemandem hinterher zu spionieren, doch Aiden lässt mir hier keine Wahl. Er gibt mir einfach keinen Spielraum sich der Wahrheit zu nähern, sodass mir nur diese Option bleibt.

Seine schwarze Jeans, sowie der dunkelblaue Hoodie lassen ihn beinah eins mit der Dämmerung werden und ich muss mich anstrengen um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Der Abstand zwischen uns vergrößert sich immer weiter, bis meine Verfolgung am Allegheny County Hospital endet. Aiden verschwindet in diesem riesigen Gebäude, während ich den monumentalen Betonkomplex betrachte. Schnell stelle ich fest, dass es sich um dasselbe Krankenhaus handelt, welches auf Klaras Kontoauszügen aufgelistet war. Was zum Henker will Aiden hier?

Unentschlossen beobachte ich einen Moment lang die großen, gläsernen Drehtüren des Hospitals ehe ich mich hinein wage, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was mich erwartet. Aiden ist mittlerweile in den unzähligen Gängen verschwunden.

Orientierungslos laufe ich die Flure entlang. Von vorbeilaufenden Krankenschwestern werde ich freundlich gefragt, ob ich Hilfe benötige, lehne jedoch ab und versuche nach Aiden Ausschau zu halten. Alles sieht hier gleich aus. Weiße Wände, weiße Fliesen sowie braune Zimmertüren.

»Sarah verdammt, stalkst du mich?« Ruckartig drehe ich meinen Körper und blicke ertappt in Aidens verärgerte Augen. Er schnaubt.

Einen kurzen Moment ist es einfach nur still. Plötzlich erkenne ich neben der Wut in seinen Augen noch eine andere Emotion. Angst. Als ob er befürchtet, dass nun Stück für Stück die Wahrheit an die Oberfläche durchdringt.

»Was erwartest du denn von mir?«, sage ich leise. Er rollt nur mit den Augen und mein Herz schlägt wie verrückt.

»Dass, du dich einmal an das hältst, was man dir sagt.« Sein dunkler Blick fixiert mich, ehe er nach meiner Hand greift und mich vorsichtig, aber dennoch mit genügend Druck zum Ausgang zieht.

»Was soll diese ganze Scheiße hier?« Hektisch gestikuliert Aiden mit seiner Hand vor meinem Gesicht.

»Ich weiß es nicht«, sage ich achselzuckend. »Ich verstehe rein gar Nichts mehr. Was geht hier vor sich?«

Eigentlich weiß ich gar nicht was ich hier mache und warum, aber Nichts zu tun fühlt sich so falsch an.

»Du willst wissen warum ich hier bin?« Aiden verstummt und läuft aufgeregt hin und her. »Fuck, ich bereue es jetzt schon.« Mit einer Handbewegung fordert er mich auf ihm zu folgen.

Mit den Händen in den Hosentaschen marschiert Aiden voraus, während ich ihm hinterherlaufe. Als wir den zweiten Stock erreichen, steht in großen Lettern Krebszentrum über der Eingangstüre der Station. Aiden steuert direkt aufs vierte Zimmer des Korridors zu. Zaghaft öffnet er die Türe mit der Nummer 257 und wir treten ein.

Im Bett liegt eine ältere Frau, vermutlich Mitte Vierzig, die schläft. Während sich Aiden direkt auf den Stuhl neben ihr Bett setzt, bleibe ich einige Meter entfernt stehen. Die Haare der Frau sind bereits ausgefallen, ihr Gesicht ist eingefallen sowie fahl. In ihrem rechten Arm steckt ein Venenkatheter, der an eine Infusion angeschlossen ist. Sie ist abgemagert, was durch ihr hervorstehendes Schlüsselbein noch extremer wirkt.

Dieser Anblick nimmt mich schrecklich mit. Ich habe noch nie einen schwerkranken Menschen gesehen und komme in dieser Situation an meine Grenzen.

Meine Augen wandern zum Namensschild am Fuße des Krankenhausbettes. In schwarzen Druckbuchstaben steht Ava Wilson.

»Wer ist diese Frau?«, flüstere ich Aiden zu.

Er wird schlagartig blass. Nervös linst er zu mir und es fühlt sich an, als ob sein Schmerz nun auch mich eingenommen hat.

Aiden - gefährliche LiebeDove le storie prendono vita. Scoprilo ora