God keep my head above water

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Die folgenden Tagen waren unfassbar anstrengend. Alles wurde in Kisten gepackt und was wir nicht mehr brauchten, wanderte in den Müll oder zum örtlichen Second Hand Laden. Ich nahm mir vor sobald wir in New Orleans meine Klamotten ein wenig zu reduzieren. In meinem Schrank war mehr Kleidung, die ich nicht mochte, als Sachen die ich wirklich gerne an hatte. Doch das war mein kleinstes Problem. Mein Klavier stellte uns an eine körperliche und auch räumliche Grenze. Wir konnten es nicht zu dritt tragen und würden es nicht ohne weitere Hilfe über die Treppe ins Erdgeschoss bekommen. Es war das einzige das mit meinem Bett in dem jetzt ziemlich großem Raum noch übrig waren. Und ich würde mich eher aufhängen, als es hier zu lassen. Es war mein Heiligtum. Auf ihm hatte ich meine ersten Songs geschrieben. Es gehörte zu mir wie Liza. Undenkbar zu verlieren.

Gedanken verloren trug ich jeder Hand einen Gitarrenkoffer über die Treppe nach unten. Im linken war meine schwarze E-Gitarre, in der rechten meine dunkelrote Westerngitarre. Mein verstaubter Verstärker stand am Fuß der Treppe, auf ihm lag das  dazugehörige Kabel. Vorsichtig legte ich die Koffer neben dem Verstärker ab und ging in die Küche. Alles sah so leer und fremd aus. Dad hatte überall die Lampen runtergebaut und alles brauchbare eingepackt. Im Esszimmer stand der große Esstisch. Der blieb hier.
Ich legte eine Hand auf eine schwarze Stuhllehne und sah aus dem Fenster. Ausnahmsweise schneite es nicht und die Sonne strahlte am blassen Himmel. Müde starrte ich ein Loch durch die Scheibe. Bis Dad mich aus dem weckte.
"Ich glaube wir müssen den Kühlschrank noch ausleeren", sagte er und öffnete ächzend das Gefrierfach.
"Hmm". Langsam ging ich die Küche. Auf dem leeren  Tresen lag etwas das schwer nach einer Akte aus sah. Während er in der Schublade kramte ging ich um die Arbeitsfläche herum und schlug den hellbraunen Karton um. Sofort grinste mir ein Bild, entgegen das ich eigentlich aus meinem Gedächtnis löschen wollte. Brendon. Sofort schlug ich die Akte zu und wich zurück. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, nur das Bild zu sehen. Seine Stimme hallte durch meinen Kopf. Die Erinnerungen, die ich erfolgreich verdrängt hatte, wollten aus ihrem mentalen Save ausbrechen, um mich zu quälen.
"Dad, warum hast du das mitgenommen?", fragte ich ihn mit zittriger Stimme. Ich stieß mit dem Steißbein an die gegenüberliegende Küchentheke und klammerte mich an der überstehenden Granitplatte fest. Wie paralysiert starrte ich auf die Akte. Mein Puls war auf 380. Mindestens. Dad sah hoch und musterte mich, da er nicht wusste auf was ich hinaus wollte.
Laute Schüsse und Schreie hallten wieder  durch meinen Kopf. Ich spürte wieder das Blut, das ich damals überall am Körper hatte. Ich spürte die Verletzungen und meine vernarbte Hand stach und brannte. Mein Atem wurde unkontrolliert und es fühlte sich an als würde ich ersticken. Alles kam wieder hoch und erschlug mich und die Maske die ich mir in den letzten Monaten aufgebaut hatte. Dad wollte mich in die Arme nehmen, doch ich wäre fast auf die Küchenzeile gesprungen. "Grace", sagte er alarmiert und wich zurück. Mit geweiteten Augen sah ich ihn kurz an, um dann in Tränen auszubrechen und zu Boden zu sinken. Ich zog die Beine so stark an das ich Magen Schmerzen bekam und legte sie Arme so fest um sie als wäre es, das einzige das mich noch am Leben halten würde. In meinem Kopf kreisten all die horrenden Erinnerungen. Schluchzend und zitternd kauerte ich fast im Küchenschrank und versuchte alles wieder in die dunkelste Ecke meines Kopfes zu verbannen. Dad hockte vor mir und war komplett überfordert.
"Liza!", rief er angsterfüllt und ließ mich nicht aus den Augen.
"Ja?", hörte ich sie weit entfernt sagen. Es war als wäre ich ganz tief unten am Grund des Meeres gefangen und konnte nicht auftauchen. Alles hörte sich dumpf und Meilen weit entfernt an. Doch was dann passierte hätte ich nie für möglich gehalten. Oder anders gesagt ich hatte  gehofft das meine geistige Gesundheit nicht dermaßen  am Arsch war.
Ich sah wie aus einem Küchenschrank, dessen Tür schon seit ich denken konnte, schwief eingebaut war, sickerte dickflüssiges, dunkelt rotes Blut aus dem kleinen Spalt zwischen Tür und Schrankboden hervor. Verzweifelt fing ich an zu schreien und sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Haltlos stürzte ich Richtung Haustür und lief ohne Socken oder Schuhe nach draußen. Der Boden war eisig kalt, doch es brachte mich nicht zurück. Atemlos lief ich in unseren kleinen Garten. Auf dem gepflasterten Weg ruschte ich auf den Eisplatten aus und landete schmerzhaft auf den Knien. Meine Hände trafen auf den kalten Schnee. Plötzlich spürte ich etwas Heißes an meinen Händen. Zittern hob ich sie vom Schnee und dort wo sie gelegen hatten waren große rote Blutflecken, die sich ausbreiteten.
"Grace", hörte ich jemanden sagen. Ich sah hoch. Liza stand am Anfang der Weges. Langsam kam sie auf mich zu. Vorsichtig streckte sie eine Hand aus.
"Du musst keine Angst haben. Du bist hier sicher", sagte sie ruhig. Ich ruschte auf den Hintern und krabbelte ziemlich unbeholfen vor ihr Rückwerts davon. Ich hatte panische Angst und mein Blick glitt ruhelos herum. Die Angst vor einer weiteren Halluzinationen war riesig.
"Bitte vertrau mir", sagte Liza mit mehr Nachdruck und ging weiter auf mich zu. Auf einmal stieß ich mit dem Rücken gegen einen gefroren Haufen Schnee. Ich hatte keinen Ausweg mehr und kauerte mich komplett zusammen, das ich beinahe in eine Schuhschachtel gepasst hätte.
Ich hörte wie sie näher kam und es war das unheilvolle, dass ich je gehört hatte.
Ich spürte wie sie die arme um mich legte und ihre Nase in meine Haare drückte. Langsam uns beruhigend strich sie über meinen Rücken und über meinen Kopf.
Ich atmete schnell durch die Nase und roch ihren frischen Duft. Blumen und Sonnenuntergang. Besser konnte ich es nicht in Worte fassen. Aber das war gerade nicht das größte Problem.

Miss JacksonWhere stories live. Discover now