Know the water's sweet but blood is thicker

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Am nächsten Morgen wachte ich wie erwartet alleine auf. Das Licht, das durch das Zimmer flutete, blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen und atmete durch. Müde wälzte ich mich aus dem großen Bett und tapste ins Bad. Dort kümmerte ich mich etwas um mein äußeres und machte mich wieder etwas menschlich. Trotz alledem trug ich kein Make-up auf. Irgendwie konnte ich es nicht mehr.
Aus meinem Koffer zog ich ein dunkelblau gestreiftes T-Shirt mit V-Ausschnitt und eine helle ausgewaschene Jeans. In einer Tüte vergraben unter Hosen fand ich meine Winterschuhe. Es waren schwarze Absatzschuhe mit weißen Schnürsenkel.
Aus der Tasche meiner Winterjacke holte ich den Nagellack heraus und lackierte meine Nägel.
Bis diese trocken waren blieb ich auf dem Boden sitzen und kritzelte eine Melodie auf die Rückseite einer Rechnung.

Wenig später ging ich runter zu Liam, der schon auf mich wartete.
"Guten Morgen", sagte er glücklich als er mich in die Bar kommen sah.
"Hi", sagte ich und ging auf die Theke zu. "Ich habe es gestern nicht mehr runter geschafft. Was hab ich denn vergessen?", fragte ich und legte die Hände auf die gläserne Fläche.
Im Spiegel hinter den ganzen Flaschen und Gläsern konnte ich mich selber sehen. Das Bild war verzerrt.
Liam drehte sich um und zog zwischen zwei Whiskey Flaschen mein Songbuch heraus. "Das lag auf dem Klavier und ein junger Mann hat es dann am Abend an der Bar abgegeben", erklärte er mir.
Erleichtert atmete ich aus. "Danke", sagte ich und streckte die Hand danach aus. Mit einem Lächeln übergab er es mir.
"Hast du schon was gegessen?".
"Nein", sagte ich und ging zum Klavier. "Soll ich dir was holen? Ich habe gerade eh nichts zu tun".
"Wenn du willst", meinte ich über meine Schulter hinweg.
Dann konzentrierte ich mich auf meine 'Arbeit'. Liam hatte mir ein reichhaltiges Frühstück gebracht, was über alle Maße nett von ihm gewesen war. Danach hatte er sich zu mir gesagt und meiner Musik gelauscht.
"Möchtest du hier mal am Abend spielen?", fragte er dann. Ein wenig erschrocken sah ich ihn an. "Ist das dein Ernst?". Er nickte.
"Grace du hast es einfach im Blut. Und es war ja nur ein Angebot, du kannst es dir überlegen", schlug Liam vor. Langsam nickte ich. "Vielleicht".

Um halb elf machte ich mich auf, um das French Quater zu erkunden. Mittlerweile hatte ich meinen MP3-Player aufgeladen und schlenderte mit Kopfhörer in den Ohren durch das wunderschöne Viertel. Touristen liefen mit Einheimischen durch die Gassen. Überall hingen große, rote Schleifen an den Straßenlaternen. Die Haustüren waren mit üppigen Kränzen geschmückt, die Geländer mit Tannenzweige umwickelt. Es sah aus wie ein Weihnachtswunderland, aber ohne Schnee. Ich ließ meine neues Zuhause Ein wenig auf mich wirken und ging ziellos durch die kleinen Gassen.
Wenig später fing es an zu regnen. Da ich keinen Schirm dabei hatte flüchtete ich mich in den ersten Laden, den ich fand. Und es war ausgerechnet ein Voodoo Shop. Doch er schien nicht so gruselig wie er von außen den Anschein machte. Interessiert ging ich zwischen den staubigen Regalen herum.
"Kann ich die helfen, Herzchen?", fragte eine Frau, die nicht älter als dreißig war. "Ich suche ein Geschenk für meine Freundin", sagte ich spontan. Liza hatte so viel für mich getan, da wollte ich ihr Mal wieder eine kleine Freude bereiten.

"Dann komm her und erzähl mir von ihr".
Langsam ging ich auf den vorgestellten Verkaufstisch. "Komm ruhig rüber! Eine Tasse Tee, liebes?". Ein wenig verwirrt kam ich hinter die Theke und fand eine kleine Sitzgruppe wieder. Ich legte meine Sachen auf den Boden und setzte mich auf einen alten Stuhl. Auf dem Tisch vor mir lag ein schwarzes Tischtuch, auf dem die ganzen Sternbilder zu sehen waren. Darauf standen grazile Teetassen, die im diesigen Licht wie Perlmutt schimmerten. In der Mitte des kleinen Tisches stand eine milchige Kristallkugel.
"So dann erzähl mir mal von deiner Freundin", sagte sie Frau und goss aus einer geblümten Kanne, dampfenden Tee in meine Tasse. "Danke", sagte ich und warf meine glatten Haare über die Schulter. Die Frau setzte sich mir gegenüber und ich konnte sie besser betrachten. Sie hatte lange dunkelrote Haare die in definierten Locken ihren zarten Rücken hinunterflossen. Ihr Gesicht war hübsch. Auf dem linken Wangenknochen hatte sie eine feine Narbe. Ihre hellblauen Augen musterte mich. "Was mag sie denn gerne?", begann sie das Gespräch. Ich überlegte kurz.
"Sie ist gerne draußen in der Natur und kocht gerne", erzählte ich und lächelte.
"Warte kurz", meinte sie und wuselte durch den Laden um einige Dinge auf dem Tisch auszubreiten.
"Ich bin übrigens Céleste".
"Grace", stellte ich mich vor und lächelte. Freudig grinste sie mich an.
"Also hier hätten eine Rosenquarz Kette, die soll die Lebensfreude stärken", begann sie zu erklären und textete mich bestimmt eine halbe Stunde zu. Letztendlich entschied ich mich für eine Armband an dem ein sich ein Farbverlauf durch die verschiedenen Edelsteine abzeichnete. Die Farben gingen von einem tiefen lila Stein zu einem klaren, durchsichtigen Stein.
Nachdem ich es gezahlt hatte, unterhielt ich mich noch ein Wenig mit Céleste. Sie war wirklich freundlich und immer besorgt um das Wohlbefinden ihrer Liebsten.
Zum Abschied umarmte sie mich und lud mich ein mal wieder vorbeizukommen. Die Einladung nahm ich sehr gerne an und ging zurück auf die Straße.
Der Regen hatte nachgelassen und es nieselte nur noch ein wenig. Gedanken verloren schlenderte ich durch die nassen Straßen und las mir die Schilder durch, die an den Häusern durch. Bei einem blieb ich abrupt stehen. Ich las es bestimmt dreißigmal bis ich es raffte, was da stand.

Ethan D. Weeks
Dipl.-Psych.
Ihre Hilfe bei geistigem Missstand!

Mein Herzschlag schoss in die Höhe. Mit offenem Mund starrte ich das hölzerne Schild an. Eine gute Minuten lang blieb ich wie angewurzelt stehen dann lief ich los. Geradewegs in durch die Tür, neben der das Schild hing. Schnell rannte ich über eine alte Holztreppe in den ersten Stock. An der ersten Tür hing wieder ein kleines goldenes Schild. Ethan D. Weeks. Dipl.-Psych.
Kurz blieb ich stehen und atmete tief durch.
Neben der Tür hing ein Bild. Ich kannte es von irgendwo her. Es war ein schlecht gemalte Haus auf einer Wiese.
Tief in mir schrie etwas auf. Und da war sie. Eine ganz kurze Erinnerung. Ein Lachen. Jemand der mich auf seinen Schultern trug.
Dann war die Erinnerung wieder weg. Entschlossen öffnete ich die Tür.
Ich sah einen großen jungen Mann von hinten. Er war über einen großen stilvollen Empfangstresen gebeugt. Seine Haare sahen aus wie meine im Sommer. Dunkelblond. Die breiten Schultern und die schmalen Hüften. Er sah aus wie Dad, nur das ich ihn noch nie mit einem weißen Hemd gesehen hatte.
"Ethan?", sagte ich laut und er drehte sich um. Vertraute, braune Augen sahen mich überrascht an.
"Grace".

Danke fürs Lesen, über jeden Kommentar und Vote freue ich mich wie ein Schnitzel! Viel Spaß mit den restlichen Kapiteln.

LG Todeskind 🌄🖌

Miss JacksonOnde as histórias ganham vida. Descobre agora