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Als ich durch das große Tor schritt, bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Meine Augen glitten wie schnelle Fische umher, als hätte ich Angst, dass mir auch das kleinste Detail entgehen würde. Wahrscheinlich hatte ich die auch. Ich war die Neue, wie ein großes Schild schwebten diese Worte anpreisend über meinem Kopf. In einer so kleinen Stadt war es auch kein Wunder, hier kannte jeder jeden und es war offensichtlich, wenn jemand neu war. Trotzdem konnte ich mich nicht an die Blicke gewöhnen, die scheinbar Löcher in mich starrten, als wäre ich ein exotisches Tier.

Mit exotischem Tier hatten sie kein Unrecht. Ich war ein Werwolf, eine Mischung aus Mensch und Wolf, die ebenso geheimnisvoll war wie weiße Buntstifte. Es gab Ränge, wie es auch bei Menschen unausgesprochen der Fall war, doch bei Werwölfen waren es nur drei: Alpha, Beta, Omega. Wie es auch anders hätte sein können, hatte ich das schwächste Los abbekommen, den Omega. Jedoch war ich kein normaler Omega, nein, ich hatte ein Geheimnis, welches ich zurecht gut behütete, denn wenn es jemand erfahren würde, wäre ich in großer Gefahr.

Vielleicht war mein Geheimnis der Grund, weshalb ich noch immer nicht verstand, was ich genau in diesem Gebäude tat. Dieses Gebäude, diese Schule war die Schule, auf die ein ganz besonderes Rudel ihre Kinder hinschickte, auch bekannt als das Stellae Rudel. Stellae, auf Lateinisch Sterne, also die Sterne, die den Mond begleiten. Der Mond war für Werwölfe wichtig, er gab ihnen Kraft, wie er sie uns diese auch wieder nehmen konnte, er war unser Heiligtum, unser Gott, unser Leben. Es war nicht gerade beruhigend, zu wissen, dass Menschen ihn nun mit ihrer Technologie erreichen können, gar auf ihm spazieren können.

Das Stellae Rudel war, wie es auch anders sein könnte, das stärkste Rudel auf der ganzen Welt. Hier wurden unsere wahren Herrscher, Richter und Denker geboren, die unsere Art lenkten und beschützten, wie auch bereicherten und lehrten. Man hatte mir viel darüber erzählt, wie es im Schoß aller Kraft sein sollte, in dunklen Marmor gekleideter Luxus, wohin das Auge reichte, riesige Wälder und kein Wunsch, der offen bleiben sollte. Das Elysium für Wölfe. Der Ort, an welchen mich meine Eltern gebracht hatten.

Wie ich an so einen geheimnisvollen Ort gelandet war, war nur wegen meinem Vater. Er war ein hoher Beamter im Rat, der nun entschieden hatte, seine kleine Familie ins Glück zu führen. Zuvor hatte er nicht gewollt, dass ich an einen Ort käme, wo Rang und Macht so eine große Rolle spielten, doch Werwölfe änderten ihre Meinungen wie Menschen, oft und unvorhersehbar. Mein altes, friedliches Leben hatte ich vollständig zurücklassen müssen und nun wog ich mich im Unbekannten, Neuen, doch eines wusste ich bereits: Mein Leben würde nicht so schnell wieder friedlich sein.

꧁soundless snow꧂Where stories live. Discover now