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"Hi.", sprach ich in die Richtung meines neuen Sitznachbars, der auf seinem Stuhl herumrutschte, während er in der altmodischen Ledertasche herumwühlte, die bereits helle, abgegriffene Stellen aufwies. Der Angesprochene hielt inne, ehe er sich zu mir beugte. "Du kannst es auch, nicht wahr?", zischte er und meine Hände verkrampften sich um meinen Bleistift, der ein warnendes Knarzen von sich gab. Ich starrte ausdruckslos nach vorne, während in meinem Kopf das Chaos ausbrach. Meine zuvorigen Gefühle hatten mich also nicht getäuscht. Oder mein Instinkt, ich hatte keinen Plan, wie das so funktionierte.

Ein leises, heiseres Lachen seinerseits unterbrach meine Starre und ich ließ hastig den Bleistift los, der auf die Tischplatte fiel und noch einige Zentimeter von mir wegrollte, als wollte er sich in Sicherheit bringen. "Du kannst es nicht leugnen, ich habe es dir angesehen, dass du es auch gespürt hast. Ich bin übrigens Herbst, was bist du? Winter? Du kannst unmöglich Frühling oder Sommer sein, ich meine, schau dich mal im Spiegel an, du siehst aus wie eine Leiche, und dann deine Augen, so stechend und intensiv, du siehst aus wie eine unnahbare, verbitterte Eiskönigin, die schon seit Jahren alleine lebt und keinen Kontakt zu lebenden Wesen mehr hatte. Du siehst voll so aus wie eine verrückt gewordene Typin, die sich wegen Einsamkeit Schneemänner baut, ihnen Namen gibt und mit ihnen den Nachmittagskaffee trinkt.", brabbelte er aufgeregt flüsternd und seine braunen Augen leuchteten auf wie herbstliches Laub, welches in warmen Sonnenstrahlen badete.

Ich hob eine Hand. In meinem ganzen Leben wurde ich noch nie so, nun ja, direkt indirekt beleidigt worden, sodass es mich schon etwas verblüffte. "Mach mal halblang, Drogenjunkie.", flüsterte ich und ignorierte die vielen Kommentare, die er mir an den Kopf geworfen hatte. Auch, wenn sie schon etwas an meinem trotzigen Stolz nagten.

Der Genannte verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. "Ich bin kein Drogenjunkie, ich hab noch nie was genommen, nicht mal geraucht oder Alkohol getrunken! Lass uns nach der Schule unter die Brücke am Fluss gehen, da wirst du richtige Junkies sehen!", murrte er und ich hob nur eine Augenbraue. "Zurück zum Ursprung oder was? Nein, vergiss es, ich will deinem Familientreffen nicht beiwohnen.", lehnte ich ab und konzentrierte mich auf das Geschwafel der Lehrerin. Neben mir ertönte nur ein Schnauben.

Die Lehrerin brachte nicht viel mehr Wissen zu meinem Leben, also ignorierte ich sie wieder und drehte meinen Kopf zu Alon Forrest, meinem neuen Sitznachbarn. Ich brachte ein schwaches Lächeln zustande. So hatte ich mir Herbst definitiv nicht vorgestellt. "Wie wäre es, wenn wir statt einem Familienbesuch in ein Café gehen? Ich da kenne ein recht nettes Plätzchen mit den besten Zimtschnecken, die du jemals essen wirst. Warme Getränke gibt es dort natürlich auch."

꧁soundless snow꧂Where stories live. Discover now