9. Hierarchien

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Die erste Woche verlief ohne Zwischenfälle.
Die 11a schien die perfekte Klasse zu sein.
Sie war lernfähig, ruhig und eine kleinere Klasse als die 10a.

Und sie interessierten sich nicht für mich. Das war gut, so hatte ich meine Ruhe und konnte lernen.

Alle in dieser Klasse schienen das zu tun.
Vor allem der dunkelhaarige Junge. Er hieß Kalle.

Aus dem Eishockeyteam waren in der Klasse das andere Mädchen und zwei Jungen.

Das Mädchen war soweit ich wusste Nana und der Junge Nada und der andere war Ready.

Ihre echten Namen hatte ich zum Glück mitbekommen.

Nana und Nada waren zu meiner großen Überraschung Zwillinge.
Sie hießen eigentlich Marianne und Adrian.
Außer ihren dunkelblonden Haaren und der Gesichtsform schienen sie nichts gemeinsam zu haben.

Ready hieß eigentlich Jeremy. Wie Cora auf diesen Spitznamen gekommen war, war mir ein Rätsel.

Wenigstens konnte ich sie nun mit ihren echten Namen anreden.
Ich nahm mir vor, das morgen beim Training auch zu tuen.

Von dem war ich leider durch den Klassenwechsel nicht freigestellt worden.

,,Liz, kann ich mich setzen?", fragte eine Stimme in der Pause.

Ich sah auf. Es war Marianne.
,,Ich heiße Elizabeth."
Marianne nickte und setzte sich. Die Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten.

,,Ich wollte mit dir reden. Weil du ja jetzt schon eine Woche in dieser Klasse bist."
,,Was ist damit?", fragte ich uninteressiert ohne von meinem Heft aufzusehen.

,,Ich wollte dich warnen. Falls du je vorhast, etwas anderes als Lernen in Blickweite dieser Klasse zu tuen."
Ihre Stimme war zu einem Flüstern gesenkt.

,,Keine Sorge, ich wüsste nicht warum."
,,Du bist wirklich, wie Joni gesagt hat", sagte sie mit einem spöttischen Unterton.
,,Aber du hast eine Frist von zwei Wochen, nicht wahr? Wenn ich du wäre, würde ich die Klasse vor dem Ablauf der zwei Wochen wieder verlassen."

Ich schüttelte den Kopf. ,,Ich gehe nicht freiwillig zu den anderen zurück."
,,Dann wird dein Stolz dich noch was kosten."

,,Wie meinst du das?" Nun sah ich wenig interessiert doch auf. Sie hatte die Augen scheu niedergeschlagen, so als würde sie ihren ganzen Mut brauchen, um ein Wort mit mir zu wechseln.
,,Halt dich einfach fern von Kalle und seinen Kumpels. Das ist zu deinem Besten."
,,Ich weiß nicht, was du meinst, Marianne. Aber ich kann auf mich selbst aufpassen."

Marianne zuckte zusammen. Ihre Miene verfinsterte sich schlagartig.
,,Das wirst du irgendwann bereuen. Und nenn mich nie wieder so! Es gibt einen Grund, warum ich mich von niemandem außer den Lehrern so nennen lasse!"

Ich zuckte die Schultern.
,,Das interessiert mich nicht."
Marianne ließ eine Blick an mir herabgleiten.
,,Du hast dein Aussehen gar nicht verdient. Aber warte es ab. Du wirst leichte Beute", flüsterte sie.

,,Nana, was machst du da", wollte Jeremy wissen. Er zog sie am Zopf vom Stuhl hoch.
,,Du weißt doch, dass man in den Pausen lernen sollte. Oder hast du du etwa gerade mit Elizabeth gelernt?"

,,Sie hat mich nur beim Lernen gestört", sagte ich und sah wieder ins Buch.
Mariannes Augen weiteten sich vor Schrecken.

Jeremy zog Marianne noch fester am Zopf nach oben und sie schrie leise auf.
Tränen stiegen ihr in die Augen.
,,Lass mich los, Ready. Ich gehe auch sofort wieder lernen", flüsterte sie.

,,Was machst du mit meiner Schwester Ready?", mischte sich Adrian ein.
,,Sie hat nicht gelernt, sondern gestört."
Adrian nickte.
,,Gut, dann mach weiter. Sie wird ihre Lektion schon lernen."

,,Nada", flüsterte Marianne mit Tränen in den Augen.
Aber Adrian wandte sich ab.

Ich zuckte die Schultern und vertiefte mich wieder in mein Buch.
Jeder sollte sich um sich selbst kümmern. Und es stimmte, dass es besser war zu lernen.

Es schien nach diesem Vorfall auch wieder in Ordnung zu sein, bis auf eine Situation im Eishockey am Dienstag.

Jeremy und Marianne sollten zusammen wählen.
Marianne wollte daraufhin Justamoment wählen.

,,Halt die Klappe, Nana", hatte Jeremy gerufen.
Marianne war zusammengezuckt und hatte nichts mehr gesagt.

,,Du bist nicht in deiner Klasse, Jeremy! Hier behandeln wir einander mit Respekt!", hatte Dean ihn zurechtgewiesen.

Jeremy war danach still gewesen. Wenn Dean auf die Spitznamen verzichtete, dann war es ihm ernst.

Heute war Donnerstag. Der vorletzte Tag der Probewoche.
Mich störte die Klasse nicht. Sollten die doch ihre Streitigkeiten austragen, solange sie mich zufrieden ließen.

Sie waren auf jeden Fall ruhiger als die 10a. Zum Glück war ich die los.
Auch Jonathan hatte ich seit zwei Wochen nicht gesehen.
Wie es ihm wohl ging?

Ich schüttelte den Kopf. Warum dachte ich an ihn? Er war auch eine von diesen Hohlbirnen.

Mit meinem Englischbuch unter Arm lief ich zum Klassenzimmer.
Kalle war schon da. Er begrüßte mich mit einem Nicken.
Ich wusste nicht, was an ihm so schlimm sein sollte, dass Nana mich warnen musste.

,,Hey, LizzyLiz!", hörte ich eine Stimme vom anderen Ende des Gangs.
Ich drehte mich um.

Dort stand Jonathan auf Krücken zwischen Robin und Monicia.
Er hob die Hand zum Gruß und hätte fast eine Krücke fallen lassen. Robin sah ihn verständnislos an und Moni versuchte die Krücke festzuhalten, die er fast fallen ließ.

Ich verdrehte die Augen und setzte mich, während ich ihn ignorierte.
,,Lass mich in Ruhe lernen", rief ich, als er nicht aufhörte.

Das wirkte. Oder auch nicht.
,,Das heißt, ich darf dich so nennen?", lachte er.
Ich presste die Augen zusammen und fuhr mit den Fingern über meine Schläfen.
,,Nein!"

Es wurde still und ich blickte über den Rand meines Buches nach rechts.
Jonathan war mit Monicia und Robin verschwunden.
Ich zuckte die Schultern und las weiter.

Als ich am Nachmittag auf dem Weg zum Busbahnhof war, fing mich Kalle im Klassenzimmer ab.
,,Hey, Elizabeth."
,,Ja?"

Kalle lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, so dass ich vor ihm stand.
,,Du hast wirklich Potenzial für diese Klasse."
,,Ich weiß", nickte ich.

Kalle lachte. ,,Bescheiden bist du nicht, was?"
Ich stellte meinen Rucksack auf dem Boden ab. ,,Warum sollte ich bescheiden sein, wenn ich weiß, was ich kann?"

,,Ich mag deine Einstellung. Und auch vom Aussehen her bist du nicht für diese Looserklasse gemacht, in der du vorher warst."
Ich nickte. Das mit dem Aussehen hatte Marianne auch erwähnt, auch wenn ich mir keinen Reim darauf machte. Ich sah meiner Meinung nach nicht überdurchschnittlich gut aus.

Kalle nahm mich an den Schultern.
,,Weißt du, eigentlich wollte ich das erst tuen, wenn die zwei Wochen um sind und du definitiv bleiben musst. Aber wie du heute morgen die andere Klasse behandelt hast, lässt wohl keinen Zweifel zu."

Mit einem Ruck drehte er sich und mich einmal, so dass ich nun mit dem Rücken zur Wand stand.

Im Klassenzimmer war niemand mehr außer uns.

Kalle beugte sich vor, bis seine Nasenspitze fast meine berühren konnte.
Seine schwarzen Augen durchbohrten meine.

Ich wusste nicht, was er vorhatte.

Da spürte ich eine Berührung an der dünnen Strumpfhose unter meinem Rock.

Kalles Hand fuhr meinen Oberschenkel unter dem Rock hinauf.

1084 Wörter

Fünf im KopfWhere stories live. Discover now