20. Gerecht verraten?

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Ich stand einige Momente einfach im Dunkeln.
Dann setzte ich mich auf eine Kiste, die am Boden stand.
Irgendetwas in mir wollte auf der Stelle losheulen, aber ich konnte nicht.
Warum sollte ich auch?
Alles, was Robin gesagt hatte, war wahr.

Jetzt machte alles Sinn. Warum immer ich die sinnlosen Aufgaben hatte bringen müssen, warum Jonathan sich so nett mir gegenüber verhalten hatte.

Jonathan war die ganze Zeit so gewesen, um mir eins auszuwischen.
Wahrscheinlich hatte sich die ganze 10a darüber amüsiert.

War Jonathans Unfall überhaupt echt gewesen?
Ich schüttelte den Kopf.
Das war kein fake. Ich hatte das Blut gesehen, als ich den Kopf vom Asphalt gehoben hatte, um nach hinten zu blicken.

Aber sie hatten alles dazu benutzt. Sie hatten mich alle hintergangen. Und ich dumme Kuh war nach dem ersten Angrapschen von Kalle direkt zu Jonathan gerannt.

Ich zog die Knie an meinen Bauch und legte das Gesicht in die Hände.
Warum machte mich das überhaupt so traurig?
War ich nicht diejenige gewesen, die keine Freunde hatte und auch keine finden wollte?

Ich schüttelte wieder den Kopf. Ich hatte ja auch keine.
Vermutlich hatte Jonathan durch Nana das Netz in der 11a weitergesponnen, zusammen mit Fredrik, Leni, Katrin, Leon und Lotta. Alle Reaktionen auf mich waren gespielt gewesen. Eigentlich sah mich niemand als wichtig an.

Warum?
Irgendetwas schmerzte füchterlich in meiner Brust.

Ich hatte mich schon beim Schulsport verletzt, als ich versucht hatte, eine gute Note zu erzielen.
Ich hatte schon verstauchte Knöchel und Kapselrisse und neuerdings eine Kopfplatzwunde hinter mir.

Aber es hatte alles nicht vergleichsweise geschmerzt.
Wie konnte etwas, das keine sichtbare Verletzung war, so wehtun?

Die Tür schwang auf. Licht fiel in den Raum.
Ich hörte Jonathans Stimme.
,,Liz? Bist du hier?"

Ich stand auf und lief an ihm vorbei zur Tür hinaus.

Zum dritten Mal heute wurde ich am Arm gepackt.
,,Was ist denn?", wollte Jonathan besorgt wissen.

Mit eisiger Miene fixierte ich ihn.
,,Du kannst es dir jetzt sparen. Ich weiß alles.
Und nenn mich nie wieder Liz."

Dann riss ich mich los und lief davon.

Jonathan blieb verwirrt zurück und da ich ihm den Rücken zuwandte, konnte er zum Glück nicht sehen, wie eine Träne über mein Gesicht lief.

Warum tat es so weh?
Warum tat es so weh, wenn ich in den nächsten Tagen neben Kalle saß und es vermied zu den anderen hinüberzuschauen?
Warum tat es plötzlich so weh Lotta stehen zu lassen und zu wissen, dass sie nach der nächsten Klassenarbeit wieder Ärger mit ,,meinem Freund" Kalle haben würde?
Warum stach es in meinem Brustkorb, wenn ich in der Pause Jonathan ignorierte und ihn abwies?

Früher hatte mir das gar nichts ausgemacht. Es war ganz normal gewesen. Ich war Elizabeth. Ich hatte keine Freunde. Nein, ich brauchte keine Freunde.
Sollten sie alle doch sehen, wie ihr schöner kleiner Trick den Bach runterging.

Ich stumpfte ab.
Kalles Berührungen erreichten mich nicht mehr. Sollte er doch seinen Spaß daran haben.
Ich redete nur noch im Unterricht, sonst mit keinem.

Wozu auch? Lernen war der Sinn hinter der Schule. Lernen war der Sinn hinter dem Leben.

Kalle strich mit seinen kalten Fingern über meinen Rücken. Ich zuckte nicht einmal.
,,Du bist so eiskalt, Elizabeth", kicherte er.
Ich fuhr mit dem Stift über die Seite Vokabeln, die vor mir auf dem Tisch im Speißesaal lag. Ich konnte sie schon lange, aber wiederholen hatte noch nie geschadet.

Mein Blick wanderte ungewollt zu den anderen hinüber. Jonathan saß mit dem Rücken zu mir. Robin saß neben ihm und lachte. Frederik und Leon alberten herum und Leni schlug ihm auf den Rücken.
Wie fünfjährige. Ein Glück war ich diese Verräter endlich los.

,,Gut, dass du dich nicht mehr mit denen abgibst", meinte Kalle, der meinen Blick bemerkt hatte. ,,Bald hätte ich dem auch ein Ende gesetzt. Immerhin gehörst du mir." Ja, vielleicht in der Schule. Vielleicht mein Körper. Aber nicht meine Seele. Jedes Treffen bei mir zuhause, das Kalle bis jetzt vorgeschlagen hatte, hatte ich abgelehnt und da er nicht wusste, wo ich wohnte, musste er es darauf beruhen lassen. Bei sich, wollte er sich aus irgendeinem Grund ich treffen, aber ich kannte den Grund nicht.

Alles in mir wehrte sich, aber ich sagte nichts. Crimson unterhielt sich am anderen Tischende mit Tyler, der wild gestikulierte. Adrian, der seit kurzem mit uns am Tisch sitzen durfte, disskutierte angeregt mit Jeremy. Natürlich über Schulstoff. Nur Hannes rührte gedankenverloren in seiner Tasse. Ich wusste nicht, an was er dachte, aber er schien nicht die Hausaufgaben zu machen, die vor ihm lagen.

Auch Kalle bemerkte das, aber bevor er ihn zurechtweisen konnte, wurde es hinter uns laut.

,,Du hast ihr WAS gesagt? Sag mal, tickst du noch ganz richtig!?"
Alle an unserem Tisch und in der ganzen Mensa drehten sich zu Jonathan und Robin, die aufgesprungen waren und dabei Jonathans Krücken umgeworfen hatten. Jonathan sah aus, als würde Robin am liebsten am Kragen packen.

,,Es war das Beste für dich. Endlich brauchst du dich nicht mehr verstellen."
,,Was das Beste für mich ist, entscheide immernoch ich!"

Ich begriff, dass es um mich ging. Dann setzten Jonathan und Robin sich aber auch schon wieder und unterhielten sich leise aber hitzig weiter, da der Aufsichtslehrer schon auffällig in ihre Richtung gesehen hatte.

Ich wandte mich wieder um und ging meine Vokabeln noch einmal durch.

Als wir die Mensa verließen, da die Mittagspause vorbei war, wartete Jonathan am Ausgang auf mich.

Ich wollte an ihm vorbeigehen, doch er ließ nicht locker und versperrte mir den Weg.
,,Hör mir zu, Liz! Bitte."
,,Elizabeth. Versteh es doch endlich! Ich heiße nicht Liz oder Lizzy. Mein Name ist Elizabeth!"
Jonathan fuhr sich durchs Haar, während er seine Krücken mit einer Hand festhielt.

,,Ich weiß nicht, was Robin dir erzählt hat, aber..."
,,Oh doch, das weißt du."
,,Stimmt. Ich weiß es. Aber es ist nicht so wie du denkst", gab er zu.

,,Ach und wie ist es sonst? Was Robin erzählt hat, hat nämlich ziemlich viel Sinn gemacht."
Nahezu erschreckend viel Sinn. Aber ich verdrängte meine Gefühle wie ich es immer getan hatte.

Jonathan schien nervös. Vermutlich fühlte er sich ertappt.
,,Was hat er dir denn erzählt?"
Als ich nicht antwortete, sah er mich bittend an. ,,Liz, fall nicht wieder dahin zurück, bitte.
Deine Art war früher einfach unerträglich."

,,Wenn meine Art so unerträglich ist, warum hälst du dich dann nicht von mir fern? Lass mich einfach in Ruhe."

Ich schob ihn weg und ging.

1000 Wörter

Fünf im KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt