30. Meer, Eis und Zoo

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Jonathans Mutter sprang auf und lief ihm entgegen.
,,Wie geht es ihm?", fragte sie atemlos.

Der Arzt atmete tief durch.
Ich lehnte mich auf dem Stuhl so weit es ging nach vorne. Ein Stich fuhr durch mein Handgelenk, aber es störte mich kaum.

,,Jonathan hat die OP den Umständen entsprechend gut überstanden."
Der Arzt schob seine Brille hoch und fuhr sich über die Schläfen.
,,Allerdings mussten wir ihn in ein künstliches Koma versetzen."

Entsetzt wich Jonathans Mutter zurück und taumelte.
Ich sprang so schnell es ging auf und schob ihr mit der linken Hand einen Stuhl hin.
Sie setzte sich.

,,Was bedeutet das?", wollte sie leise vom Arzt wissen.

,,Jonathan wurde außer dem Aufreißen alter Verletzungen eine Rippe gebrochen, die sich in die Lunge gebohrt hat, was einen Lungenkollaps ausgelöst hat. Momentan muss er noch beatmet werden."

Jonathans Mutter fing leise an zu weinen. Mein Magen drehte sich um.
Pami neben mir zitterte.
Ich legte meine heile Hand auf ihre.

Der Arzt legte Jonathans Mutter die Hand auf die Schulter, bevor er weiterging.
,,Wir geben unser Bestes. Jonathan ist hartnäckig, der wird schon wieder."

Sein Blick ruhte einen Moment auf mir, als er an mir vorbeiging, aber er sagte nichts.

Eine Zeit lang war alles still, dann stand Jonathans Mutter auf.
,,Es ist spät, Pami, wir gehen nach Hause und kommen morgen wieder."

Ich sah den Schmerz in ihren Augen.
Pami winkte mir zum Abschied. Ich winkte zurück.

Nachdem ich eine Weile auf dem Flur gestanden hatte, entschied ich mich, ein wenig spazieren zu gehen.
Ich weiß nicht genau, ob ich hoffte, Jonathans Zimmer zu finden, aber vermutlich war es so.

Ich wanderte durch die Krankenhausflure, bis ich keine Ahnung mehr hatte, wo ich war und auch nicht mehr konnte.

Die Fliesen des Boden verschwammen vor meinen Augen und setzten sich neu zusammen. Wie Mosaiksteine.
Oder...in einem...Kaleidoskop.
Die Steine glitzerten so hell wie die Sterne.
Als könnten sie unzählige Bilder formen.

Mein Blickfeld wurde von außen her wieder schwarz.
Ich hob den Kopf leicht zur Wand.
Ein roter Streifen.
Rot. Rotes Licht. Rot wie Blut.
Rot...wie die Rosen im Garten meiner Mutter. Oder meines Vaters? Die Rosen?

Mein Vater...die Sterne...der Ausflug in den Zoo.
Rot. Der Streifen war immernoch rot.
Wellen spülten durch meinen Kopf.
Ohrenbetäubend brandeten sie an den Strand.
Strand. Sand.
Sand?
Warum?
Und überhaupt wo? Wo war ich? War ich am Strand?

Ich schwankte bedrohlich.
Meine Knie gaben nach und ich sank in weichen Sand, ließ mich an der Wand hinabgleiten.
Es wurde dunkel. Wurde am Meer so schnell Nacht?
Das Rauschen der Wellen schien nahe zu sein. Oder doch weit weg? Ich war nicht sicher.

Mein Kopf kippte zur Seite. So...müde...nur kurz...ich...ich...bald...oder letzte Woche?
Hatte ich Jonathan etwas getan?
Wo war er? Wo war...ich? Was war ich?
Schwarz. Kein Rot mehr, nur schwarz. Dunkel. Unterschied sich dunkel von schwarz?

Leise Stimmen. Knirschen im Sand. Fußspuren, nein, Schritte. Machte jemand einen Strandausflug?
Wieso nicht...in den Zoo?

Schnellere Schritte. Keine Zeit für Zoo. Nur kurzer Strandbesuch...

Der Sand war kalt. Und so glatt. Glatt wie Eis. War Eis nicht durchsichtig? Wenn ich die Augen öffnen würde, würde ich auf Eis liegen. Es war kalt. Kalt. Dunkel.

Stimmen. Laute Stimmen.
Bitte nicht reden. Mein Kopf tut so weh. Die Löwen wollen schlafen. Und die Robben auch. Es ist ja schon dunkel.
So dunkel.

,,Hallo? Aufwachen junge Dame!"
Die Stimme dröhnte schmerzhaft in meinen Ohren.

Meine Augen öffneten sich langsam. Aber merkwürdigerweise war dort weder Sand noch Eis, noch Zoo.

Ein bebrilltes Gesicht.
Ich murmelte etwas.
Der Schwindel nahm langsam ab und mein Blickfeld wurde klarer.

Der Arzt von Jonathan.
,,Was machen Sie hier?", fragte ich halb empört, halb müde.
Was machte er abends im Zoo?

,,Na hör mal, du bist doch direkt in die Arme meiner armen Stationsschwester gestolpert."

Der Arzt leuchtete mit einer kleinen Lampe in meine Augen. Dann musterte er mich.
,,Kannst du dich daran erinnern, was grade passiert ist?"

Meine halb geöffneten Augen sahen ihn an.
Direkt hinter ihm durch die geöffnete Tür konnte man der roten Wandstreifen sehen.
Etwas fiel mir ein.
,,Die Rosen meiner Mutter sind weiß", murmelte ich.

,,Das ist schön. Hast du noch Schmerzen?"
Ich schüttelte langsam den Kopf.
,,Dann wird dich Schwester Gerta jetzt zurück auf dein Zimmer bringen."

Die freundliche dunkelhaarige Schwester half mir von der Liege hoch, auf der ich anscheinend gelegen hatte, und stützte mich, um mich in einen bereitstehenden Rollstuhl zu setzen.

Auf halber Höhe verharrte ich. ,,Was ist mit Jonathan?", wollte ich wissen.
Der Doktor seufzte.
,,Der Dickkopf wird schon wieder. Dieses Mal scheinst du allerdings auch nicht unverletzt davongekommen zu sein. Wenn du den Jungen verprügeln kannst, hast du offenbar eine echt starke Rechte."

Als der Arzt meinen entgeisterten Gesichtsausdruck sah, winkte er ab.
,,War nur ein Witz. Und jetzt ab ins Bett. Vielleicht kannst du morgen zu ihm."

Ich nickte und die Wände schienen wieder an mir vorbeizuschwimmen, als die Schwester mich zurück auf meine Station und auf mein Zimmer schob.

Ich bedankte mich und beschloss nachdem ich meine Mutter angerufen hatte, ins Bett zu gehen. 
Meine Mutter war regelrecht geschockt und ich weiß nicht mehr, wie ich sie überredet bekommen hab, heute nicht mehr zu kommen, sondern morgen, zusammen mit ein paar Kleidungsstücken für mich.

Ich legte mein Handy auf den kleinen Tisch neben dem Bett und lehnte mich zurück ins Kissen. Bevor mein Kopf noch über die Ereignisse des Tages nachdenken wollte, fiel ich schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Fünf im KopfWhere stories live. Discover now