19. Wow, Elizabeth.

16 1 0
                                    


,,Nein. Das Neue Testament kann nicht vor Christus geschrieben worden sein. Wenn du mir sagen kannst, wieso, dann mache ich weiter."

Lotta sah mich verzweifelt an.
,,Weil es mit Tinte geschrieben wurde und es die vor Christus noch nicht gab?"

Ich senkte den Kopf.
Fast drei Wochen gab ich Lotta jetzt schon Nachhilfe und sie war ein hoffnungsloser Fall.
Ich verdrehte die Augen, als sie mit dem Stift gegen die Tischkante tippte und mich flehend ansah.

,,Bitte Liz. Mach weiter. Die Arbeit schaffe ich schon."
Streng blickte ich sie an. ,,Das hast du bei den letzten vier Arbeiten auch gesagt."

Lotta nickte. ,,Und in Englisch hatte ich sogar eine zwei!"
,,Verhauen worden bist du trotzdem."
Lotta ließ den Kopf sinken.
,,Was soll ich denn machen, wenn Kalle mir nicht glaubt, dass nicht meine Note den Schnitt runtergezogen hat?"
Das Ende ihres Kullis verhakte sich in ihren schulterlangen Haaren und sie zog daran.

,,In den Pausen bei uns bleiben und nicht alleine überall hingehen."
Lotta sah ein wenig weinerlich aus.
,,Aber ich kann doch nicht so aufdringlich sein, wenn ich noch nichtmal mit euch befreundet bin"

Ich überkreuzte die Beine.
,,Na wenn du es nicht versuchen willst, dich anzufreunden, dann bist du selbst schuld."
Ich stand auf und wandte mich zum Gehen.
,,Bitte warte Liz. Bitte unterrichte mich weiter."
Stolz setzte sie sich gerade hin und klopfte sich mit der Hand auf den Kopf.

,,Ich fühle mich schon viel schlauer."

Ich verdrehte die Augen wieder.
,,Wir machen morgen weiter."

Dann verließ ich das leere Klassenzimmer.
Warum verschwendete ich meine freie Zeit mit Nachhilfe an jemanden, dem nicht zu helfen war?

Fast wäre ich mit Jonathan zusammengestoßen, der mir auf dem Flur entgegenkam.
,,Was machst du denn hier?", wollte ich wissen.

,,Ich hab Mittagschule", meinte er.
,,Und du LizzyLiz?"
Ich lachte.
,,Ich bringe Lotta Schule bei."
Jonathan legte eine Hand ans Kinn.
,,Bist du zur Lehrerin mutiert?"
,,Vielleicht."

,,Weißt du, Liz, manchmal weiß ich nicht recht, was ich von dir halten soll", sagte Jonathan nachdenklich.
,,Was meinst du?"
Er kratzte sich am Kopf.
,,Im einen Moment bist du nett ohne es selbst zu merken und im nächsten bist du die reinste Mimose."

Ich riss die Augen auf.
,,Ich eine Mimose?"
Jonathan hob abwehrend die Arme.
,,Das meinte ich nicht böse. Ich meinte nur, dass du mich verwirrst."
,,Ich verwirre dich? Wer hasst mich im einen Moment und wirft sich dann für mich vor den Bus!? Ich hab mir das alle nicht gewünscht, ok!?"

Ich spürte eine Wut in mir aufsteigen, obwohl ich gar nicht wusste wieso.
Jonathan antwortete nicht.

Ich drehte mich um und ließ ihn stehen.
,,Liz!", rief er mir hinterher, aber ich ignorierte ihn und setzte meine eiskalte Maske wieder auf.

Um ein Haar wäre ich zum zweiten Mal beinahe mit jemandem zusammengestoßen.
Es war Robin.
Ihn ignorierend lief ich an ihm vorbei um die Ecke, wo mich keiner der beiden mehr sehen konnte, doch Robin drehte sich und wirbelte mich blitzschnell am Arm herum.
Seine grünen Augen funkelten beinahe hasserfüllt, als sein Gesicht meinem so nahe kam.

,,Was ist?", wollte ich kühl wissen.
Robin ließ meinen Arm los und stieß mich ein Stück von sich, als wäre ich etwas Ekliges.
,,Wir müssen reden", sagte er.
,,Ich wüsste nicht über was", gab ich ihm zu verstehen.

Robin packte mich wieder am Arm und zog mich in den kleinen Raum, wo die Putzfrauen ihre Utensilien aufbewahrten.
Dort war es halb dunkel, weil es nur ein vergleichsweise winziges Fenster gab.

Robin lehnte sich mit dem Rücken gegen ein Regal mit Putzlappen.
,,Wow", sagte er, während er mich mit seinen Blicken abfällig musterte.
,,Wow was?", fragte ich abweisend.
,,Wow, Elizabeth. Ich dachte wirklich, du hast dich geändert, aber grade hast du mir wieder das Gegenteil bewiesen."

,,Was willst du? Ich hab Besseres zu tuen, als mit jemandem, der mir Zeug über mich erzählen will, zu streiten."

Robin grinste überheblich. ,,Oh ich weiß das. Du hast immer Besseres zu tuen.
Aber lass mir dir eins sagen."
Er kam mir näher und ich wich zurück.
,,Lass Jonathan aus allem raus."

Ich stieß mit dem Rücken gegen eine Reihe von Wischmops.
Robin redete weiter.
,,Jonathan hat sein Leben für dich aufs Spiel gesetzt, wofür du ihm nicht einmal dankbar warst.
Ich hab gesehen, wie du nach seinem Unfall seelenruhig mit dem Bus nach Hause gefahren bist.
Ich hab gesehen, wie du die Wochen danach seelenruhig und glücklich weitergelebt hast, während Jonathan im Krankenhaus fast draufgegangen ist!
Und weißt du, was? Ich hab es satt, dich anzusehen, wie du herumstolzierst!
Mit deiner widerlichen Drecksvisage. Ich könnte Kotzen!
Jonathan hat das alles für dich getan. Ohne einen einzigen Hintergedanken und ohne darüber nachzudenken.
Du hast dich nie bedankt und auch nie irgendetwas Nettes freiwillig ihm gegenüber getan.
Er kann vielleicht nie wieder Eishockey spielen."
Die letzten Sätze hatte er gefährlich leise gesagt.

Er ballte die Faust.
,,Ich würde dich sehr gerne schlagen, aber Moni hat mich gebeten, dir nichts zu tun. Die beiden sind unfassbar. Jemanden, der so nett ist, hast du gar nicht verdient!"

Ich wusste das. Aber ich sagte nichts.
Robin drehte sich um und ging auf und ab.
,,Wir dachten, du hättest dich vielleicht wenigstens ein kleines Bisschen geändert, aber du bist immer noch die Selbe. Hinterhältig und eiskalt!"

Ich kniff die Augen zusammen. ,,Warum sollte ich mich auch geändert haben?"

Robin sah mich aus schmalen Augen an.
,,Unglaublich, dass du es bis jetzt noch nicht bemerkt hast."

In seinen Augen glitzerte etwas, das mir ein mulmiges Gefühl machte.
,,Was meinst du?", fragte ich und versuchte meine Stimme ruhig zu halten.

Robin kam mir so nahe, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte.
Eine seltsame Spannung lag sekundenlang zwischen uns in der Luft.
Wir starrten uns einfach nur in die Augen und sagten nichts.

Dann wich er wieder zurück.
Und lachte.
Er lachte mich aus.
,,Was ist so lustig!?"

Nachdem er sich beruhigt hatte, fixierte er mich wieder.
,,Es ist unglaublich, dass du so intelligent sein sollst, wenn du es bis jetzt noch nicht verstanden hast.
Glaubtest du wirklich, dass ein frisch Operierter Hausaufgaben machen muss?
Und dazu noch so viele?
Du bist wirklich dümmer als ich dachte."

Ich spürte wie meine Hände schwitzig wurden. Ja, es war mir aufgefallen, aber ich hatte nicht länger darüber nachgedacht.
,,Was willst du damit sagen?"

Robins grüne Augen funkelten belustigt.
,,Damit will ich sagen, dass das alles ein riesengroßer Trick war.
Ich, Jonathan und Moni hatten den Plan gefasst, dass wir dir eine Lektion erteilen wollen, nach der du ein wenig sozialer bist. Wir dachten, wenn wir dich ein wenig einwickeln und mit Nettigkeit umgarnen, klappt das schon.
Und Frau Lorenz fand die Idee großartig.
Nachden du die Klasse gewechselt hattest, hatten wir fast keine Hoffnung mehr, aber es war ja auch nicht mehr unser Problem.
Und dann hast du Jonathan und Moni schön da mit hineingezogen.
Um sie auszunutzen, wie du es immer machst!
Hast du ernsthaft geglaubt, wir würden dich nach alldem immernoch mögen?
Im Gegenteil, um es mit deinen eigenen Worten zu sagen:
Wir waren schliesslich nie Freunde. Und wir werden es wohl auch nie sein."

Mit einem letzten Augenfunkeln drehte er sich um und verließ den Raum.

Die Tür fiel zu und ich war allein.

1104 Wörter

Fünf im KopfWhere stories live. Discover now