5. Krankenhaus

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,,Hast du sonst irgendwo Schmerzen?", fragte mich die Sanitäterin, in der orangenen Warnkleidung, die schon die letzten 15 Minuten neben mir stand.

Ich schüttelte den Kopf, nur um gleich danach an ihn zu greifen und den weichen Verband zu fühlen. Die Kopfschmerzen pochten in meinem Kopf, dort wo er gegen den Straßenbelag geknallt war.

Langsam drehte ich den Kopf zu dem anderen Rettungswagen, der hier am Bahnhof stand.

,,Keine Sorge, deinem Freund geht es bald wieder besser. Du solltest ihm sehr dankbar sein."

,,Er ist nicht mein Freund", sagte ich langsam. Die Sanitäterin sah mich an. ,,Dann solltest du dem Jungen noch dankbarer sein. Was er für dich getan hat..."

,,...hätte er nicht tuen müssen. Kann ich jetzt gehen? Mir gehts gut", fiel ich ihr ins Wort. Sie sah mich verständnislos an. Dann schien sie sich aber etwas zu verkneifen und nickte. ,,Pass in den nächsten 48 Stunden etwas auf und sollte es schlimmer werden, kommst du nochmal ins Krankenhaus."

Ich nickte und rutschte von der Liege. Als meine Füße auf Boden aufkamen, pochte mein Kopf, aber ich riss mich zusammen. Meine Schultasche stand auf dem Boden des Rettungswagens. Ich nahm sie und ging zur Bushaltestelle. Mein Bus würde bald kommen. Meine Mutter war zwar verständigt worden, aber sie hatte natürlich keine Zeit mich abzuholen. Und das war auch nicht nötig, ich war kaum verletzt

Ich ging am Polizeiauto und am anderen Krankenwagen vorbei, neben dem Robin und Monicia standen. Robin hatte eine Hand um Monicia gelegt, da diese offensichtlich weinte. Gefühlsduselei. Die beiden verpassten wohl den Bus. Aber das sollte mir recht sein.

Der Bus war sowieso voll. Aber das war klar. Um diese Zeit fuhren viele Schüler nach Hause. Zu Hause erledigte ich schnell die Hausaufgaben. Die waren mal wieder viel zu einfach.

Mein Handy klingelte die Zeit durch, da in der Klassengruppe diskutiert wurde. Es ging wohl um Jonathan. Was regten sich denn alle so auf ? Unfälle passierten nun einmal. Mir gefiel zwar nicht, dass ich in diesen verwickelt worden war, aber jetzt war sowieso nichts mehr daran zu ändern. Ich schaltete mein Handy stumm, während in der Gruppe heftig und unüberlegt Anschuldigungen ausgesprochen wurden.

Dieser Unfall war doch nicht meine Schuld gewesen. Der Busfahrer, der in viel zu hohem Tempo in die Straße eingebogen war, würde zur Verantwortung gezogen werden. Er hatte eventuell ein Menschenleben auf dem Gewissen. Im nächsten Moment wunderte ich mich über so etwas so ruhig denken zu können. War ich herzlos oder war ich realistisch? Aber so war ich schon immer gewesen.

Am nächsten Morgen hatten wir Geschichte. Unsere Geschichtelehrerin, die gleichzeitig auch unsere Klassenlehrerin war, fing natürlich gleich am Anfang der Stunde an zu fragen, wo Jonathan steckte. Robin meldete sich.

,,Ah, Robin?" ,,Jonathan ist im Krankenhaus." Die Lehrerin mit den rötlichen Haaren schlug die Hand vor den Mund. ,,Was ist denn passiert?" ,,Er wurde gestern von einem Bus angefahren." Die Lehrerin musste sich setzen. ,,Aber doch nicht hier am Bahnhof, oder?" ,,Doch."

,,Aber hat er nicht geschaut oder wie konnte das passieren?"

,,Er hat Liz gerettet, die vor den Bus gelaufen ist."

Alle in der Klasse schauten mich an.
,,Ich heiße Elizabeth", sagte ich.

,,Ist das wahr, Elizabeth?", fragte unsere Klassenlehrerin. ,,Nein, ich habe sehr wohl auf die Straße geschaut. Der Busfahrer hat mich übersehen", wies ich die Schuld klar von mir.
Unsere Lehrerin bemerkte nun auch das Pflaster an meiner Stirn. Den Verband hatte ich gestern schon abgemacht.
Sie war ein bisschen kurzsichtig, wie wir alle wussten.
,,Dann ist er ja ein richtiger Held!"
Ich zuckte die Schultern. ,,Ich hab ihn nicht darum gebeten."

Unsere Lehrerin schaute mich vorwurfsvoll an. ,,Also wirklich, Elizabeth." Dann wandte sie sich an die Klasse. ,,Ich habe eine wunderbare Idee. Warum schreiben wir ihm nicht eine Karte und unterschreiben alle? Da freut er sich bestimmt."

Einstimmendes Gemurmel und Gebrabbel brach los.
Nadine meldete sich. ,,Vorne auf die Karte können wir doch ,,Held" oder so schreiben! Aber wer bringt sie ihm vorbei?"

,,Das ist eine wundervolle Idee, Eileen!" ,,Nadine." ,,Ja genau. Entschuldigung, das passiert mir immer, obwohl ich euch schon seit zwei Jahren habe. Ich hab auch schon eine gute Idee, wer sie vorbeibringt!"

Sie sah mich an. ,,Nein, ich habe heute keine Zeit", versuchte ich mich rauszureden. Das letzte, was ich wollte, war meinen Nachmittag damit zu vergeuden meinem Möchtegern-Helden Geschenke vorbei zu bringen.

,,Och, Elisabeth. Du kannst auch gleich die Hausaufgaben für ihn mitnehmen."

Sie beharrte darauf. Und so musste ich mich wohl oder übel am Nachmittag auf den Weg zum Krankenhaus machen.

,,Name?" Die Frau hinter der Theke schien stark gelangweilt und so klang auch ihre Stimme. ,,Jonathan Gehrer, gestern eingeliefert." ,,Zimmer 313, zweiter Stock."

Ich machte mich auf den Weg und lief die Treppe links hinauf in den zweiten Stock. Die Zimmernummern fingen bei 300 an. Das bedeutete, Jonathans Zimmer war das dreizehnte.

Ich verdrehte die Augen und machte mir nicht die Mühe zu klopfen, bevor ich eintrat.

Jonathan schlief. Wie konnte er jetzt schlafen. Ein Glück hatte ich Aufgaben für ihn dabei. Einen Zimmernachbarn hatte er nicht. Allerdings war das Zimmer groß genug und es gab einen zweiten Nachttisch, aber kein zweites Bett, was vermuten lies, dass der andere Bewohner gerade unterwegs war. Ich setzte meinen Schulranzen ab und kramte den Schulstoff für heute heraus. Musste ich ihm jetzt jeden Tag das Zeug bringen? Konnte das nicht einer seiner Freunde machen?

Ich nahm auch die Karte heraus und legte sie auf die Blätter. Dann nahm ich das nächstbeste Buch, das zufälligerweise mein Geschichtebuch war und schlug es auf. Hitler starrte mich entschlossen von einem abgedruckten Propaganda-Plakat an. Ich schlug das Buch wieder zusammen und ein lauter Knall ertönte.

Jonathan schreckte hoch. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz und er ließ sich zurück in die Kissen sinken.

,,Schön, dass du wach bist. Hier ist der Schulstoff von heute." Ich ließ den Stapel auf seinen Nachttisch fallen.

Mein Blick wanderte zum Fenster, wo Blumen standen. Der Farbe nach waren sie von Monicia, hellblau war ihre Lieblingsfarbe. Nicht dass es mich interessiert hätte, aber sie hatte fast alles in dieser Farbe, da war es schwer zu übersehen.

,,Zu liebenswürdig", antwortete Jonathan, während er den Stapel durchsah und schliesslich die Karte nahm, die oben auflag. ,,Sag der Klasse danke von mir. Das ist echt lieb."

Ich zuckte die Schultern. ,,Mal sehen." Jonathan lehnte sich zurück und stützte sich in den Kissen ab.
,,Wie komm ich eigentlich zu der Ehre, dass du mir das Zeug bringst. Das hast du doch sicherlich nicht freiwillig getan."

,,Stimmt. Frau Lorenz hat mich darum gebeten." ,,Du meinst gezwungen." ,,Ja."

Er strich sich durch die braunen Haare und ich sah, dass er an der gleichen Seite des Kopfes wie ich eine Platzwunde hatte. Sie war nicht viel größer als meine. Warum war er dann hier? Aufmerksamkeit vermutlich. Innerlich schalt ich mich ein wenig für diesen Gedanken, aber ich konnte ihn nicht so recht vertreiben.

Das war ja eigentlich auch typisch. Ich hatte nichts anderes erwartet.

1000 Wörter

Fünf im KopfWhere stories live. Discover now