3. Der Jacken - Konflikt

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Ich bemerkte nicht, wie alle mich gespannt angeschaut hatten, bevor ich das sagte.
Die Lehrerin nickte langsam.

,,In Ordnung, hat noch jemand eine andere Beschreibung von Freundschaft?"
Sie blickte sich um. Jonathan meldete sich. ,,Ja, Jonathan?" ,,Wahre Freundschaft ist, wenn man alles füreinander tun würde."

,,Ah, du hast jetzt schon einen interessanten Begriff genannt. Was ist denn deiner Meinung nach der Unterschied zwischen einer wahren und einer falschen Freundschaft?"

Jonathan blickte von seinem Blatt auf, dass er schon die ganze Zeit fixierte. ,,Ich denke, dass wahre Freunde alles für einander tun würden."

,,Das sagtest du schon", sagte ich leise, so dass die Lehrerin es nicht hörte. Jonathan hörte es. Er starrte mich finster an. ,,Und falsche Freunde wollen nur ihren eigenen Vorteil aus der Freundschaft ziehen!"

Die Lehrerin nickte zustimmend. ,,Hast du vielleicht ein Beispiel dafür? Das musst nicht du sagen, es kann sich auch jemand anderes melden." Robins Hand schoss in die Höhe. ,,Ja Robin?"

,,Zum Beispiel, wenn man nur in der Schule neben jemandem sitzt und so tut, als wäre man mit dieser Person befreundet, um neben ihr sitzen zu können, damit man nicht als einsamer Sonderling dasteht. Aber in wichtigen Momenten lässt man den anderen dann im Stich!"

Seine Stimme war zum Ende hin immer lauter geworden und er hatte die Hände auf dem Tisch fest zu Fäusten geballt. Ich ignorierte den Vorwurf. Sollte er doch sagen, was er wollte. Ich war ja wohl nicht Monicias Kindermädchen. Was konnte ich denn dafür, wenn sie für andere Personen Hausaufgaben machte. 

Die Lehrerin nickte. ,,Wir können das mal an einem anderen Beispiel herausarbeiten und dann werden wir uns mit den Grundlagen befassen, warum Menschen so handeln." Sie holte Luft.

,,Stellt euch vor: Zwei Jungen haben die selbe Jacke. So eine tolle. Gucci oder Espresso oder was ihr da heutzutage alles habt." ,,Ellesse", murmelte Quentin.
,,Auf jeden Fall sind die beiden eigentlich Freunde. Ob wahre oder falsche sei mal außen vor gelassen. Sie sind in der Schule und am Ende des Tages ist eine Jacke verschwunden. Wohin weiß keiner."

,,Joni hat sie aus dem Fenster geschmissen", lachte Felix.  Die Lehrerin zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Das war auch etwas, dass die Jungen regelmäßig taten: Sie warfen die Sachen von einander aus dem Fenster. Wahre Freundschaft.

Die Lehrerin fuhr fort, nachdem sie sich eine braune Strähne aus dem Gesicht gestrichen hatte. ,,Eine Jacke ist noch da. Sie hängt über dem Stuhl von...sagen wir mal Franz. Gustav ärgert sich darüber wahnsinnig, weil seine Jacke  verschwunden ist. Da aber wirklich beide exakt die selbe haben, kommt Gustav der Verdacht, dass ja auch die Jacke von Franz verschwunden gewesen sein könnte und dieser hätte dann die von Gustav nehmen können, während er beim Kiosk war, um sich etwas zu kaufen. Was denkt ihr, würde ein echter Freund jetzt tun?"

Nadine meldete sich. ,,Nadine?"
Nadine setzte sich gerade hin. ,,Also ich denke, ein echter Freund würde den Verdacht für sich behalten und mit ...Fritz die Jacke suchen gehen, weil wenn sie wahre Freunde sind, hilft er ihm bestimmt."

,,Franz", korrigierte die Lehrerin Nadine. ,,Aber sonst bin ich mit deiner Lösung völlig einverstanden. Hat jemand eine Idee, was ein falscher Freund tuen würde?"

In der ganzen Klasse schossen Hände nach oben. ,,Wir haben heute Morgen ja ein gutes Beispiel gesehen", flüsterte Robin Jonathan zu.
,,Ja Quentin?", rief die Lehrerin über das Geflüster hinweg.

Quentin räusperte sich. ,,Wahrscheinlich wird der falsche Freund ihn beschuldigen und das ganze wird in einem Streit ausarten, der niemandem von beiden hilft."

Wieder nickte die Lehrerin. ,,Das ist ebenfalls eine gute Idee. So und jetzt werden wir uns mal mit der Psychologie befassen, die dahinter steckt. Immerhin sind wir hier in Psychologie-ie." Die letzten Worte, hatte sie gesungen, war vom Tisch geglitten und zur Tafel gegangen. Dort zückte sie ihre Kreide wie ein Schwert und schrieb mit schwungvoller Schrift an:

Gründe, falsche Freunde zu sein:

,,Wie?", fragte Becki, eines der Make-up-Mädchen. ,,Sammeln wir jetzt Gründe, warum man ein falscher Freund sein sollte?" Ich verdrehte die Augen.

Die Lehrerin blieb freundlich. ,,Nein, wir versuchen herauszuarbeiten, warum Menschen sich als falsche Freunde verhalten. Hast du vielleicht einen Vorschlag?"

Becki zuckte die Schultern. ,,Vielleicht weil sie gemein sind?"
Die Lehrerin wiegte den Kopf hin und her, schrieb den Punkt aber an die Tafel. ,,Und warum sind sie gemein?" Die ganze Klasse schwieg. ,,Hmm, ich geb euch mal einen Tipp. Oft sind Leute gemein, um sich vor etwas zu schützen. Dieser Schutzmechanismus liegt meist wegen etwas vor, dass man früh als Kind erlebt oder gelernt hat."

,,Also haben sie Angst?", schlug Jeremy vor. ,,Ja. Vor was?", hakte die Lehrerin nach. Angst schrieb sie schon an die Tafel. Jonathan meldete sich. ,,Sie haben Angst, dass jemand ihr Innerstes sieht und sie verletzt werden können." 

,,Sehr gut." Die Lehrerin schrieb den Vorschlag an die Tafel. ,,Das ist tatsächlicher ein guter Grund, ein schlechter Freund oder eine schlechte Freundin zu sein."

Meine Gedanken drifteten schnell ab. Mich interessierte nicht, warum Menschen schlechte Freunde waren. Nur noch ab und zu meldete ich mich, meiner mündlichen Note zuliebe.

Als die Stunde aus war schulterte ich meinen schwarzen Schulrucksack und verließ das Klassenzimmer. Draußen warteten Robin und Jonathan auf mich. Ich zog die Augenbrauen hoch. ,,Was wollt ihr?"

Robin verschränkte die Arme. ,,Warum bist du so eine furchtbare Freundin?", fragte er gerade heraus. Ich sah ihn erstaunt, mit einer hochgezogenen Augenbraue an. ,,Was meinst du?"

Jonathan machte einen Schritt auf mich zu. ,,Du weißt genau, was wir meinen!"

Ich machte einen Schritt zurück um Abstand zu gewinnen. So nah wollte ich nicht an Jonathan stehen. Vielleicht war Dummheit ansteckend. Doch er drängte mich mit dem Rücken gegen die Wand. ,,Vor was hast du Angst? Vor Bindungen?"

Ich schob ihn weg. ,,Ich habe keine Angst vor nichts. Warum sollte ich? Im Gegensatz zu euch werde ich Karriere machen und einen guten Arbeitsplatz bekommen."

Jonathans Handfläche schlug nur knapp neben meinem Kopf an die graue Wand. Er beugte sich vor und zum ersten Mal bemerkte ich, dass er blaue Augen hatte.


1000 Wörter.

Fünf im KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt