6. Eishockey

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,,Elizabeth, du möchtest Jonathan doch heute sicher wieder gerne die Hausaufgaben vorbeibringen." So wurde ich nach dem Unterricht von Frau Lorenz abgefangen.

,,Nein", antwortete ich wahrheitsgemäß.

,,Danke." Frau Lorenz drückte mir einen Stapel Blätter in die Hand. ,,Sag ihm einen Gruß von mir."

Seufzend zog ich meine Winterjacke an und machte mich auf den Weg ins Krankenhaus, das glücklicherweise nicht weit vom Schulgebäude entfernt war. Ein Arzt und mehrere Schwestern waren gerade bei Jonathan, Grund genug für mich, mich noch mehr zu beeilen, als ohnehin schon.
Ich legte ihm die Blätter auf den Nachttisch. ,,Schönen Gruß von Frau Lorenz."

Jonathan verzog die Miene zu einem spöttischen Grinsen. ,,Zu viel der Ehre, Liz."

Ich schnaubte und verließ den Raum. Die Tür ließ ich angelehnt, wie ich sie vorgefunden hatte.

Gerade wollte ich den Gang wieder hinuntergehen, da hörte ich die Stimme die zum Arzt gehören musste.
,,Nett von Ihrer Freundin, Ihnen die Aufgaben ins Krankenhaus zu bringen."
Ich hörte Jonathan leise lachen.
,,Elizabeth meine Freundin? In den schlimmsten Alpträumen doch nicht."

Ich wandte mich ab und wollte gehen, doch der Arzt sprach weiter und etwas an seiner Stimme schien meine Neugierde magisch auf die Situation zu ziehen.
Sie hatte nun einen geschäftlichen Unterton, in den auch Frau Lorenz manchmal verfiel, wenn sie eine Klassenarbeit zurückgeben musste, in der alle außer mir außerordentlich schlecht abgeschnitten hatten.

,,Jonathan, Sie haben sicher schon mitbekommen, dass die Operation gut verlaufen ist. Allerdings ist das keine Garantie auf Genesung bei Ihrem Verletzungsgrad, so leid es mir tut."

Etwas raschelte. Vermutlich setzte Jonathan sich im Bett auf. ,,Was heißt das?"

Der Arzt seufzte. ,,Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Es kann sein, dass Sie nie wieder...Sie spielen Eishockey, haben Sie gesagt? Es könnte gut sein, dass Sie das ebenfalls nie wieder können. Ihr rechtes Bein ist schwer beschädigt, ebenso haben Sie schwere Verletzungen im Bereich des Abdomens davongetragen.

Wir mussten einen Teil des Magens entfernen und auch andere innere Organe wurden durch den Aufprall leicht geschädigt. Es grenzt an ein Wunder, dass sie sich so schnell stabilisiert haben. "

Ich blieb weiterhin wie angewurzelt auf dem Gang stehen. Etwas drängte mich zu gehen, aber eine selten gekannte Neugier in mir bat mich zu bleiben.
Etwas in mir wollte wissen, wie es um seine Verletzungen stand und ein anderer Teil schrie, dass es mir egal sein sollte.
So stand ich hin und her gerissen im Flur, bis der Arzt weiter sprach.

,,Selbst wenn Ihr Bein heilt, sollten Sie nicht so schnell wieder mit dem Eishockey anfangen und am besten jeden Schritt mit den Ärzten abklären. Wenn Sie einen Unfall haben und innere Verletzungen wieder aufreißen, könnte Sie das das Leben kosten.
Vorrausgesetzt Ihr Bein heilt wieder. "
Der Arzt schob die Akte wieder in die Halterung am Bett. ,,Es tut mir leid, um die schlechten Nachrichten, aber nun sollten sie sich noch ein wenig ausruhen. Schwester Sara wird Ihnen noch ein Schmerzmittel geben."

Der Arzt verließ den Raum. Er warf mir einen Blick zu. ,,Sie sind das Mädchen, für das er das getan hat, nicht? Sie sollten ihm dankbar sein. Auch wenn Sie das nicht sind."

,,Woher wissen Sie das", fragte ich argwöhnisch.
Der Arzt lachte leise. ,,Es steht quer über Ihr Gesicht geschrieben."
Im Weggehen warf er noch einmal einen Blick über die Schulter.
,,Auch wenn er das nicht hätte tuen müssen, er hat es getan. Würden Sie dort liegen wollen?"

Damit ging er den Flur hinunter.
Ich warf einen Blick durch den Spalt der Tür. Jonathan lag zurückgelehnt in den Kissen seines Bettes, beide Arme ordentlich auf der Bettdecke ruhend. Sein Gesicht war von der Schwester mit den hellen Haaren abgewandt, vermutlich da ihm Tränen in den Augen standen.

Am nächsten Morgen kamen ein Junge und ein Mädchen in der Pause auf mich zu.
Der blonde Junge räusperte sich.
Ich blickte von meinem Toastbrot auf. ,,Ja?"
,,Entschuldige die Störung, aber bist du Liz?" ,,Elizabeth."
Das dunkelhaarige Mädchen hinter dem Jungen wollte wohl etwas sagen, aber der Junge ließ sie nicht.

,,Tut uns leid." ,,Gar nicht wahr", murmelte das Mädchen kaum hörbar. ,,Cora", sagte der Junge warnend.
,,Wir sind von der Eishockey AG der Schule. Wir wollten uns erkundigen, wie es Jonathan geht. Er darf nicht telefonieren, aber deine Klassenlehrerin meinte, dass du ihm die Hausaufgaben bringst?"

Ich nickte gezwungen.
,,Er hat sich das Bein gebrochen. Der Arzt meinte, Hockey spielen kann er erstmal nicht mehr."
Der hellhaarige Junge winkte ab. ,,Das muss er auch nicht. Er soll sich erst erholen, dann sehen wir weiter. Weißt du, ob wir ihn besuchen können?"
,,Ich denke schon. Sonst noch was?" Ich wollte mich wieder dem Brot zuwenden, aber der blonde Junge überlegte kurz und sprach dann weiter.
,,Da wäre in der Tat noch etwas. Jetzt wo Jonathan erst einmal ausfällt, bräuchten wir einen Ersatz für ihn, da grade ein paar Spieler das Team verlassen haben. Also falls du dein Glück versuchen möchtest? Du siehst doch nicht unsportlich aus."

,,Vergesst es." Durch mein wöchentliches Joggen ließ ich mich zwar nicht als unsportlich verbuchen, aber geeignet für das Eishockey-Team war ich dadurch noch lange nicht. Außerdem hegte ich keinerlei Bedürfnis mich mit noch mehr Menschen und dann auch noch mit Jonathans Freunden abzugeben.
Gerade in diesem Moment kam Frau Lorenz um die Ecke. Ausgerechnet sie hatte heute Pausenaufsicht.
,,Was sollen sie vergessen?"
,,Hallo Frau Lorenz, wir haben gerade gefragt, ob Liz vielleicht mit in unser Eishockeyteam kommen würde. Als Ersatz für Jonathan." Cora lächelte wie der reinste Engel.

Frau Lorenz lächelte. ,,Das ist doch eine wunderbare Idee, Elizabeth, warum probierst du das nicht aus? So kannst du Jonathan ein wenig zurückgeben."
Ich wollte gerade protestieren. Ich schuldete Jonathan doch keinerlei Gefallen. Doch Frau Lorenz unterbrach mich.

,,Na komm, was ist denn dabei?"

Der blonde Junge lächelte. ,,Eben, du kannst es gerne erstmal ausprobieren, danach kannst du immer noch entscheiden.
Ich bin übrigens Dean, der Teamcaptain und wie du schon kennengelernt hast: Cora, mein Assistenzcaptain."

Cora grinste mich an, als hätte sie Zahnschmerzen. Ich lächelte gar nicht.
,,Also dann bis nächsten Dienstag um 15.00 Uhr."

Die beiden gingen davon und ich blieb zurück und fragte mich, was zurzeit eigentlich los war. Dauernd tauchte Frau Lorenz in den unpassendsten Situationen auf und ich musste irgendetwas tun, auf das ich gar keine Lust hatte.

Zuerst das Hausaufgabenbringen, jetzt das Eishockey. Jetzt wünschte ich mir, dass Jonathan schnell gesund wurde, damit ich endlich wieder meine Ruhe hatte.

Doch am Nachmittag musste ich Jonathan wieder die Hausaufgaben bringen.
Ich ging den Blätterstapel dieses Mal durch. So viele Hausaufgaben hatten wir doch niemals.
Irgendwie war ich schadenfroh, dass Frau Lorenz Jonathan jeden Tag so viele Aufgaben gab. Dann lag er wenigstens nicht tatenlos rum, aber ein wenig wunderte ich mich auch.

Am Nachmittag als ich den Raum betrat, schlief Jonathan wieder. Ich wollte ihn gerade unsanft wecken, um ihm so gnädigerweise die Möglichkeit zu geben, seine Aufgaben zu machen, da zuckte Jonathan im Schlaf zusammen. Eines der vielen Geräte fing an zu piepen. Ich stand da wie festgefroren.

1000 Wörter

Fünf im KopfWhere stories live. Discover now