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Duschen fühlte sich noch nie so gut an. Finn Campbell scheint nicht nur auf Klamotten zu stehen, sondern auch auf Technik (als ich den Wandschrank im Badezimmer öffnete, ging darin sogar automatisch ein Licht an und der Handtuchhalter neben der Duschkabine wurde warm, ohne dass ich etwas eingeschaltet habe) und auf Duschgelvariationen, denn ich muss mich zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten entscheiden, mit denen ich meinen neuen Körper wasche.

Der neue Körper ist.. der Wahnsinn. Nicht nur die Zehen sind lang, auch die Finger und.. naja. Er ist eben recht groß. Außerdem ist er gut trainiert, ich habe sogar einen Sixpack. Nicht, dass mein Caleb-Körper unattraktiv war, er konnte sich durchaus sehen lassen, aber der hier eben auch.

Ich stocke für einen kurzen Moment und schüttele meinen Kopf unter dem warmen Wasser, das unaufhörlich auf mich niederprasselt. Der neue Körper? Was stimmt denn nicht mit mir? Als könnte ich das hier ewig weiterspielen und würde nicht irgendwann aufwachen. Und was, wenn ich wach bin und plötzlich stellt das Universum fest: ‚Huch! Mein Fehler, sorry!' und ich stecke mirnichtsdirnichts wieder im Körper von Caleb Martínez? Wie erkläre ich das Kitty und Kilian?

Meine großen Hände reiben über mein Gesicht. Als würde die das interessieren! Sie würden mich vermutlich verklagen und den echten Finn suchen und mir Vorwürfe machen, warum ich mir seinen Körper klaue und sie an der Nase herumführe.

Und wenn ich gar nicht wach bin, sondern im Koma liege oder noch schlimmer? Fühlt sich so Sterben an?
Hey Caleb, guck' mal, was andere so gemacht haben, während du nicht mal für ein halbes Jahr einen Job behalten konntest, denke ich mürrisch.

Es hilft alles nichts. Ich kann es niemandem sagen und keiner würde mir glauben. Ich würde es ja selbst nicht glauben, wenn mir jemand erzählte, dass er in Wahrheit jemand ganz anderes ist und nur in einem anderen Körper aufgewacht ist. Mir wird also nichts weiter übrig bleiben als die Rolle des Finn Campbell so gut es geht weiterzuspielen und die Fahrt zu genießen.

Ich atme tief durch, drehe das Wasser ab und seufze leise, als ich das nun durch den Handtuchhalter angewärmte, weiche Frotteetuch um meine Hüfte lege. Ich will auch so einen Handtuchwärmer. Und so ein Haus. Und so eine Familie.

Ein Klopfen an der Badezimmertür lässt mich zusammenzucken.
„Finn?", höre ich Kitty besorgt rufen. „Ist alles okay?"
„Ja", erwidere ich schnell. „Ich hab' nur lange nicht geduscht."
„Okay", antwortet sie lachend. „Ich hab uns das Sofa schon vorbereitet."
Vorbereitet? Was hat sie bitte vorbereitet?

Nachdem ich ihre Schritte die Treppe herunterhüpfen höre, öffne ich die Badezimmertür und husche, nur mit dem Handtuch um meine Hüfte, ins Schlafzimmer und dort in den Klamottenladen, der sich Kleiderschrank schimpft. Nach einigem Suchen finde ich eine Schublade mit feinsäuberlich sortierten Boxershorts, eine Weitere mit Socken und auch eine schwarze Jogginghose, sowie einen Hoodie. Den Etiketten nach zu urteilen scheint Finn Campbell keine billigen Klamotten zu besitzen. Und wer zur Hölle sortiert seine Unterhosen nach Farben?

Kopfschüttelnd gehe ich nach unten und glaube auf den ersten Blick, dass Kitty einfach das gesamte Buffet aus der Küche im Wohnzimmer aufgebahrt hat. Das vorher schon riesig wirkende Sofa wurde von ihr ausgezogen, sodass seine Größe sich nochmal verdoppelt hat. Neben flauschig aussehenden Decken erkenne ich unzählige Kissen und zwei Tabletts, auf denen kleine Schälchen mit Essen stehen. Als stünde auf dem Couchtisch nicht schon jede Menge zu essen.

„Übertreibst du immer so?", frage ich skeptisch und stelle begeistert fest, dass dieser für mich neue Körper in der Lage ist, eine Augenbraue hochzuziehen.
„Übertrieben wäre, wenn ich zu dem ganzen Zeug auch noch Pizza bestellt hätte", kichert Kitty, die, ebenfalls in Jogginghose und Hoodie, mit zwei Wasserflaschen aus der Küche kommt. „Oder das Ganze im Bett zu veranstalten."

Die kleine Frau reißt ihre Augen auf und ruft begeistert: „Wollen wir das im Bett machen? Du hasst es, im Bett zu essen, aber du kannst dich ja nicht erinnern, oder?"
Ich hebe abwehrend die Hände und lache auf.
„Vergiss' es", antworte ich und lasse mich aufs Sofa fallen. „Wir bleiben jetzt hier, allein schon, weil ich überhaupt keine Lust hätte, das ganze Zeug nach oben zu schleppen. Außerdem habe ich im Schlafzimmer keinen Fernseher."

Kitty setzt sich neben mich und schmunzelt.
„Du kannst dich wirklich nicht erinnern, was?"
Meine Augen weiten sich.
„Ich habe einen Fernseher im Schlafzimmer?", frage ich verdattert.
Sie nickt nur grinsend und tippt auf einer winzigen Fernbedienung herum, die für meinen Eindruck nicht einmal Tasten hat. Dennoch fährt hinter der Kommode, auf der nun auch meine Frikasseeschale von vorhin nicht mehr steht, plötzlich ein gigantischer Flatscreen nach oben, der offenbar zuvor darin verborgen war.

Kitty scrollt durch mehrere Apps, öffnet einen Streamingdienst und fragt: „Film? Serie? Dokumentation?"
Ich decke mich gemütlich mit der kuscheligen Decke zu und zucke mit den Schultern.
„Mir egal", brumme ich schläfrig. „Such' du dir was aus."
Sie gluckst leise vor sich hin und meint: „Wegen mir musst du dich nicht sofort erinnern. Jetzt muss ich wenigstens keine langweiligen Dokus gucken."

Sie entscheidet sich offenbar für eine Serie und zieht die Decke ein wenig weiter über meine Schulter.
„Ist dir kalt?", möchte sie wissen und ich schüttele mit dem Kopf.
„Geht schon", gebe ich zurück.
Kitty fummelt kurz am Ende der Decke herum und flüstert: „Wird gleich besser."

Ich mache es mir mit einem Kissen unter dem Kopf bequem und stibitze mir eine Weintraube aus einer der kleinen Schalen auf dem Tablett. Plötzlich spüre ich, wie meine Beine unnatürlich warm werden und taste auf der Decke herum. Sie fühlt sich weich und ungewöhnlich warm an und erst jetzt kann ich fühlen, dass anscheinend Drähte in ihr Futter eingearbeitet wurden.

„Ist das eine Heizdecke?", frage ich entsetzt und Kitty neben mir nickt kichernd.
„Gott", seufze ich. „Ich bin im Himmel."
„Immer noch gern geschehen", bekomme ich als Reaktion und blicke sie fragend an. „Es war das beste Geburtstagsgeschenk, das du je bekommen hast und natürlich kam es von mir."

„Wie konnte ich das vergessen?", flunkere ich und rolle mich noch enger in die mollig warme Decke.
Noch bevor das Intro der Serie ganz vorbei ist, bin ich schon eingeschlafen.

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