gιzᥒᥲᥕz

550 114 20
                                    

„Caleb", flüstere ich und kann auf einmal nicht atmen. Es ist, als würde ich in den Spiegel schauen. Nur dass sich mein Gesicht anfühlt, als wäre es schockiert mit aufgerissenen Augen und Mund, mein Gegenüber jedoch hat seine - oder meine - Arme vor der Brust verschränkt, die Augenbrauen wütend zusammengezogen und den Kiefer angespannt.

Ich fühle mich schockiert, sehe aber wütend aus.

Sämtliches Blut in dem Körper, in dem ich stecke, sackt nach unten und mir wird leicht schwindelig. Ich stütze mich am Türrahmen ab und schnappe hilflos nach Luft. Oh Gott, mir ist schlecht. Ich glaube, ich muss mich über-

„Wage es nicht, auf dieses Parkett zu kotzen!", herrsche ich mich an. „Das kostet achthundert Dollar pro Quadratmeter."
Entsetzt starre ich den wütenden Caleb an. Nein, Finn. Finn steckt in meinem Körper. Es muss Finns Geist sein, wenn er sich hier auskennt.

Ehe ich etwas antworten kann, drücke ich - nein, er - die Tür auf und geht an mir vorbei ins Haus. Verdattert starre ich ihm nach und er schlägt die Tür wieder zu, ehe er mich abschätzig von oben bis unten betrachtet.

„Die Hose und das Hemd gehen überhaupt nicht zusammen", motzt er und ich blicke zögernd an mir herunter. Ich trage eine blaue Jeans und ein schwarzes Hemd und fand es heute Morgen ganz passend.
„Und was fällt dir ein, Howard mein Auto fahren zu lassen? Der Typ hat schon die vierte Beule in seinem Van, weil er zu dumm ist, um eine Kurve zu fahren!", zetert mein Körper mich weiter an, während ich ihn noch immer anstarre.

So sehe ich aus, wenn ich wütend bin? Und was hat er mit meinen Haaren gemacht? Eigentlich style ich sie immer ein wenig mit Gel, weil sie so glatt sind. Er hingegen hat sie einfach irgendwie zauselig auf dem Kopf und sieht damit aus, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen. An seinem Körper mag das ja funktionieren, aber an meinem sieht es vollkommen lächerlich aus.

„Warte", schimpft er weiter. „Bist du etwa mit meinem Auto gefahren?" Sein - nein, mein - Finger bohrt sich in meine - nein, seine - Brust.
Okay, das ist noch verwirrender, als ich es mir vorgestellt habe.
„Du hast nicht mal einen Führerschein! Weißt du, wie teuer dieses Auto war? Ich lasse nicht mal meinen eigenen Bruder-"

„Bist du bald fertig?", unterbreche ich sein hysterisches Geschimpfe und er starrt mich verblüfft an.
„Toll, dass du lebst, Finn", sage ich so ruhig es mir möglich ist. „Und du bist offenbar unversehrt, bis auf den unglücklichen Umstand, dass du in meinem Körper steckst."

Empört schnappt er nach Luft und wirft die Arme nach oben.
„Unglücklicher Umstand?", schreit er nun außer sich. „Wohl nur für mich! Du bist ja offenbar ein Loser, dem es nur allzu recht ist, dass er sich hier schön in meinem-"

Ohne dass ich weiß, wie es geschieht, verpasse ich seinem - oder besser meinem - Gesicht eine schallende Ohrfeige.
„Du weißt gar nichts über mich", zische ich und zeige mit einem zitternden Finger auf ihn. „Also wage es nicht, darüber zu urteilen wie diese Situation für mich ist."

Entsetzt und mit der Hand an der Wange starrt er mich an.
„Ich mache uns etwas zu trinken", wechsele ich das Thema und gehe an ihm vorbei in die Küche. „Für dich einen Tee, nehme ich an? Ist Fenchel in Ordnung?"

Finn in meinem Körper folgt mir in die Küche und bleibt im Türrahmen stehen, als ich den Wasserkocher einschalte und mich an der Kaffeemaschine zu schaffen mache.
„Nur drei Minuten ziehen lassen", sagt er leise und ich deute mit der Hand durch die Küche.
„Mach' es doch allein und fühl' dich ganz wie zu Hause", entgegne ich trocken.

Ich versuche mir nichts von meiner Faszination anmerken zu lassen, als ich heimlich beobachte wie mein Körper gezielt eine dieser merkwürdigen Teetassen aus dem Schrank holt und auch sofort weiß, wo sich der Tee befindet. Gekonnt gießt er heißes Wasser aus dem Kocher in die Tasse und blickt prüfend auf die Uhr am Kühlschrank.
„Auch einen Tee?", fragt er an mich gewandt und ich schüttele ertappt den Kopf.

Irgendwie habe ich bei meinem Gestarre die Kaffeemaschine vergessen. Schnell greife ich nach meiner Tasse, die ich heute früh daneben habe stehen lassen, stelle sie darunter und drücke auf den Knopf. Mein Gesicht hebt angeekelt eine Augenbraue, sagt aber nichts.

Finn Campbell benutzt offenbar nicht zweimal die gleiche Tasse.

Sein Blick geht wieder zur Uhr am Kühlschrank und er entfernt fachmännisch den Teefilter, dessen Inhalt er sogleich in den Mülleimer entsorgt, ehe er den Filter abspült, mit dem Geschirrtuch abtrocknet und wieder im Schrank verstaut.

Er nimmt seine Tasse und geht ganz selbstverständlich ins Wohnzimmer, als wäre das hier sein Haus.
Oh richtig, fällt mir ein. Ist es ja auch.
Hastig greife ich meine Tasse und folge ihm.

„Ich muss wohl nicht erwähnen, dass es hier aussieht wie in einem Schweinestall, oder?", brummt er kritisch, während er nicht vorhandene Krümel vom Couchtisch fegt und seine Tasse darauf abstellt. Dann beginnt er allen Ernstes, das Sofa zusammenzuklappen.

Gestern Abend bei meinen Recherchen über die verbliebenen Opfer habe ich mir das Sofa wieder ausgezogen und sah keine Notwendigkeit, es wieder zusammenzuklappen. Er sieht das offenbar anders.

„Ich finde es so ganz gemütlich", entgegne ich schnippisch und ernte einen entsetzten Blick von ihm. Immer noch bin ich vollkommen fasziniert darüber, wie mein Gesicht in Bewegung aussieht. Sicherlich habe ich auch schon Videos von mir gesehen, aber das hier ist eine komplett neue Erfahrung für mich. Ich frage mich, ob es ihm nicht genauso geht? Hat er sowas schon öfter erlebt, dass er mich nicht die ganze Zeit anstarrt?

„So", erklärt mein Körper gefasst, als er schließlich auf dem Sofa Platz nimmt und seine Tasse in den Händen hält. „Was hast du angestellt und wie bekommen wir unsere Körper wieder zurück?"

Lügenleben | ✓Where stories live. Discover now