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Ich fühle mich wirklich fast ein wenig wie ein Actionheld, der aus einem Neunziger-Jahre-Film entflohen ist, als ich in meinem zusammengesammelten Outfit die Turnhalle betrete.
Inzwischen sind auch allerhand Schüler in der Halle und rennen brav in Runden. Keiner von ihnen trägt Sportklamotten mit Tarnmustern.

Finn steht neben der Tür und mustert mich einmal kurz von oben bis unten, ehe er zustimmend nickt und in eine Trillerpfeife bläst, die er aus der Tasche seiner Jogginghose zieht.

Sofort drehen sich alle Köpfe zu uns und die Schülerinnen und Schüler kommen auf uns zugelaufen. Ein paar der Jungs grinsen, als sie mich sehen, einige Mädchen kichern, aber ihre Blicke scheinen eher an meinem Oberkörper, der nur mäßig durch das weiße Muskelshirt bedeckt, hängen zu bleiben.

Beschämt verschränke ich die Arme vor meiner Brust und sehe erwartungsvoll zu Finn.

„Leute, das ist mein Praktikant Caleb Martínez", stellt er mich vor. „Er wird meinen Unterricht bis zu den Sommerferien begleiten und auch zu eurer Bewertung beitragen. Es wäre also besser, ihr hört ebenso auf ihn wie auf mich."

„Ich höre bestimmt auf ihn", flötet ein Mädchen von weiter hinten, was aufgeregtes Gekicher ihrer Freundinnen nach sich zieht.

Finn hebt eine Augenbraue und sofort verstummen die aufgescheuchten Hühner.
„Nach den Ferien starten wir heute entspannt mit Volleyball, wir bilden drei Mannschaften, von denen jeweils eine immer auf der Bank sitzt, während die anderen gegeneinander spielen. Kann mir jemand noch einmal die Volleyballregeln erklären?"

Mehrere Hände gehen nach oben und nach einem Fingerzeig von Finn zählt ein schlaksiger Junge die Regeln auf. Ich höre aufmerksam zu, denn ich habe in meinem Leben noch nie Volleyball gespielt. Das, was ich kenne, weiß ich nur aus Mila Superstar, wenn ich bei anderen Kindern, wo ich zu Geburtstagen eingeladen war, fernsehen durfte.

Finn ernennt ein Mädchen und zwei Jungs zu Mannschaftskapitänen und weist sie sogleich an, ihre Teams zusammenzustellen. Die Jungs wählen natürlich die in ihren Augen stärksten und coolsten Spieler, während das Mädchen ihre Freundinnen aufruft.

Diesen Teil des Sportunterrichts hasste ich immer besonders. Ich war nie besonders unsportlich, aber ebensowenig war ich ein aggressiver Spieler und hielt mich meist eher zurück. Außerdem zeigten diese Momente immer, welche Schüler die offensichtlichen Außenseiter waren.

„Mr. Martínez", flötet das Mädchen und ich zucke zusammen.
„Hey, den wollte ich", beschwert sich einer der Jungs.
„Aber jetzt war ich an der Reihe", kontert sie und streckt ihrem Kontrahenten die Zunge heraus.
„Dann nehme ich Mr. Campbell", kommt es stolz von dem Jungen und Finn begibt sich schulterzuckend in seine Richtung. Ich geselle mich zu dem Mädchen, was den anderen natürlich ein leises Kichern entlockt und warte, bis sich alle Mannschaften formiert haben.

Finn entscheidet, dass die Mannschaften der Jungs zuerst gegeneinander antreten, um sich etwas abzureagieren und so folge ich den Mädchen und setze mich neben sie auf die Bank. Einige von ihnen betrachten mich neugierig und ich lächele unbeholfen. Gerade, als ein blondes Mädchen mit einem T-Shirt, das beinahe so eng anliegt wie mein eigenes, sich zu mir herüberbeugt, um etwas zu sagen, ruft Finn: „Wir haben Aufschlag! Und die Mannschaft auf der Bank schaut aufmerksam zu und beschäftigt sich nicht mit anderen Dingen."

Ich kann es nicht genau erkennen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass er dabei scharf in meine Richtung sieht. Augenblicklich lehne ich mich gerade aufgerichtet zurück und auch das Mädchen, das eben ein Gespräch mit mir beginnen wollte, hat sich auf ihren Platz zurückgezogen.

Finn schlägt gekonnt gegen den Ball, der sogleich zum anderen Spielfeld fliegt und das Spiel beginnt.

•••

Nachdem ich das erste Spiel aufmerksam verfolgt und die Spielabläufe einigermaßen verstanden habe, mache ich im nächsten Spiel gar keine so schlechte Figur, wie ich meine. Finns Mannschaft sitzt während dieser Runde auf der Bank und Finn ruft ab und zu Dinge wie „Die Finger mehr spreizen!" oder „Sehr gut gekontert!". Er spricht dabei niemanden mit Namen an, aber ich bin mir sicher, dass der ein oder andere Zuruf eindeutig mir galt und heimlich bin ich ihm ein wenig dankbar für seine Tipps.

Zwar verliert meine Mannschaft ganz knapp, aber dennoch klatschen die Mädels begeistert mit mir ab, keiner scheint böse darüber zu sein und dann treten wir gegen Finns Mannschaft an.

Während die Gewinner das Spielfeld verlassen, kommen Finn und die anderen heran und im Vorbeigehen murmelt Finn mir zu: „Der Verlierer muss heute Abend kochen."
Gerade will ich noch etwas erwidern, doch er duckt sich bereits unter dem Netz hindurch und zwinkert mir dabei zu.

Verlegen blicke ich auf den Boden und nehme meine Position ein. Ein hysterisches Kichern steckt in meiner Kehle, denn wenn ich daran denke, dass Finn heute Abend kochen muss, sind wir am Ende beide Verlierer, weil es mit Sicherheit ungenießbar sein wird. Dennoch ist mein Ehrgeiz geweckt und so schlage ich den Ball kraftvoll über das Netz.

•••

„Okay", keucht Finn atemlos und lässt sich von mir auf die Füße ziehen. Die Mädels hinter mir jubeln und springen kreischend durcheinander, während die Jungs hinter Finn grimmig dreinschauen.

Finn hatte eben noch versucht, meinen Konter über das Netz im Flug zu blocken, jedoch flutschte der Ball zwischen seinen langen Fingern hindurch, um direkt hinter ihm auf dem Boden zu landen und uns den Siegpunkt zu bescheren. Finn landete unsanft auf dem Hallenboden und selbst die Schüler auf der Bank kreischten begeistert auf, als entschieden war, dass unsere Mannschaft gewonnen hatte.

„Gutes Spiel", lobt der Sportlehrer mich und ich grinse schief.
„Ich bin noch nicht sicher, ob jetzt nicht ich der Verlierer bin, wenn du heute Abend kochst", witzele ich und werde nun sogar von den Jungs aus Finns Mannschaft zum Sieg beglückwünscht.

„Gutes Spiel, Mr. Martínez", sagen die Jungs und gratulieren auch den Mädchen aus meinem Team.

Finn entlässt die Schüler in die Umkleiden und als wir allein in der Halle stehen, dreht er sich zu mir und sagt: „Vielleicht lade ich dich ja einfach zum Essen ein. Zählt das dann auch?"

Lügenleben | ✓Where stories live. Discover now