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Die ganze Fahrt zurück nach Hause sprechen Finn und ich kein Wort. Gelegentlich blicke ich verstohlen zu ihm herüber, doch er starrt gerade nach vorn durch die Fensterscheibe, sein linker Ellbogen abgestützt an der Fahrertür, so dass seine Finger mühelos sein Kinn oder seine Haare bearbeiten können. Die Finger seiner rechten Hand umklammern fest das Lenkrad.

Finn sah schon entspannter aus und obwohl ich ihn bislang nur wütend in meinem eigenen Körper gesehen habe, spüre ich, dass das auch jetzt der Fall ist.

Zu Hause angekommen, manövriert er selbstsicher und mit absoluter Präzision das Auto in die Garage und ich beneide ihn ein wenig darum. Nachdem ich selbst vor nicht all zu langer Zeit genau diese Prozedur ausprobieren wollte, weiß ich noch besser, wie viel schwieriger diese ist, als es auf Außenstehende wirken mag.

Wortlos, wie schon auf der Fahrt, verlässt Finn das Auto und holt die Sachen aus dem Kofferraum. Ich zögere kurz, folge ihm dann jedoch durch die Garagentür ins Haus und drücke die Tür leise hinter mir zu.

Unschlüssig stehe ich in der Küche herum und mein Blick wandert zur Kaffeemaschine. Genauer gesagt starre ich auf meine kleine Holzkiste, die noch immer daneben liegt, beinahe so, als wäre dies der ihr nun angestammte Platz.

Finn kommt zurück in die Küche und sein Blick folgt meinem zu der Kiste.
„Nein, Caleb", sagt er bedrohlich leise und plötzlich spüre ich selbst Wut in meinem Bauch.
Was bin ich? Sein Kind? Sein Hund?
Nein, Caleb. Mach Sitz, Caleb.
Trotzig gehe ich zur Kaffeemaschine und greife nach meinem einzigen Besitz, doch Finn steht augenblicklich neben mir, seine Hand an meinem Arm.

„Wag' es nicht, jetzt abzuhauen", knurrt er, der Griff seiner Hand fest an meinem Arm. Meine Haut kribbelt an der Stelle, wo seine Finger mich berühren.
„Ach komm schon, Finn", mache ich abwertend. „Was wäre daran denn schlimm? Ich würde dir doch einen Gefallen tun. Dann musst du nicht mehr so tun, als wärst du in mich verliebt. Die Erklärungen gegenüber deiner Familie sind vielleicht kurz mal unangenehm, aber dann rufst du eben Christian an und-"

Finns Hände packen mein Gesicht und ziehen mich näher an ihn. Bevor ich weiß, was geschieht, liegen seine Lippen auf meinen, während er mein Gesicht noch immer festhält. Reflexartig lege ich meine Hände an seine Schultern, will ihn von mir drücken, doch dieser Kuss ist anders als der Letzte, als wir beide im jeweils anderen Körper steckten.

Wie beim letzten Mal spüre ich Verzweiflung, doch jetzt ist es eine andere Art davon. Jetzt steckt jeder von uns beiden in seinem eigenen Körper.
Finn saugt meine Unterlippe in seinen Mund und ich höre mich leise seufzen. Meine Hände, die ihn eben noch von mir stoßen wollten, packen nun seine Oberarme, ziehen ihn noch dichter an mich und ich kann nicht verhindern, dass ich seinen Kuss mit der gleichen Intensität erwidere.

Es fühlt sich zu gut an, zu richtig, als dass ich aufhören könnte. In meinem Kopf wünsche ich mir, ich könnte diesen Moment irgendwie festhalten und wie meine anderen schönen Erinnerungen in meine kleine Holzkiste legen, doch da das unmöglich ist, lasse ich einfach los und genieße es. Genieße diesen kurzen Augenblick der Schwäche und gebe mich der Illusion hin, dass das hier wirklich gut ist, dass es so sein soll.

Finns Mund löst sich von meinem und viel zu schnell hat mich die Realität zurück. Seine Hände halten mein Gesicht noch immer fest, als wüsste er, dass ich die Flucht ergreifen würde, sobald er mich loslässt.
„Lauf nicht weg, Caleb", wispert er. „Bitte."
Seine blauen Augen starren in meine, suchen nach einer Art von Bestätigung oder Zustimmung und ich spüre, wie mein Kopf nicken möchte. Doch ich starre nur zurück, unfähig, ihm zu sagen, was er hören möchte, denn ich weiß es selbst nicht.

Kann ich jetzt überhaupt noch weglaufen?
Noch immer bin ich davon überzeugt davon, dass es besser wäre. Besser für Finn und sein perfektes Leben, das durch mich doch nur chaotisch und weniger perfekt wird.

„Ich will, dass du bleibst, Caleb", betont Finn erneut und plötzlich erkenne ich Unsicherheit in seinem Gesichtsausdruck. Der Griff seiner Hände lockert sich und schließlich gleiten sie langsam nach unten, geben mein Gesicht frei, um sogleich in seinen stets zerzausten Haaren zu verschwinden. „Ich.. ich glaube nicht, dass ich noch so tue, Caleb."

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und fahre mir mit meiner Zunge über meine Lippen, dort, wo eben noch seine Lippen lagen.
„Du musst das nicht sagen, Finn", höre ich mich sagen.

„Doch", erwidert er energisch. „Doch, ich muss es dir sagen, weil es die Wahrheit ist. Ich dachte allen Ernstes, ich wäre ein total selbstverliebtes Arschloch, denn um ehrlich zu sein wurde es mir immer egaler, ob wir zurücktauschen oder nicht. Ich hab mir nächtelang den Kopf darüber zerbrochen, wie ich einem Therapeuten erkläre, dass ich offenbar in mich selbst verliebt bin, denn du warst in meinem Körper und ich wollte einfach, dass alles so bleibt. Dass du bleibst."

Finn beginnt, durch die Küche zu tigern und redet einfach weiter: „Und als wir heute früh so unerwartet zurücktauschten, war ich so erleichtert, dass ich wieder ich bin. Dass mir niemand auf die Schliche kommt, was für ein Narzisst ich bin,
aber-"
„Du dachtest, ich weiß es", unterbreche ich ihn.
Er nickt kurz.
„Aber dann wurde mir klar, dass ich immer noch will, dass du bleibst. Egal, in welchem Körper du steckst, Caleb."

Finn bleibt stehen und sieht mich einfach nur an.
Er sieht müde aus. Müde und leer. Als hätte er alles gesagt, was noch zu sagen ist.

„Ich gehe mal duschen", ist meine Antwort und einfach so, ohne auf seine Offenbarung zu reagieren oder sie gar zu erwidern oder zu bestätigen, gehe ich an ihm vorbei aus der Küche nach oben ins Gästezimmer.

Lügenleben | ✓Where stories live. Discover now